Vom Mut und der Freiheit: Die Faszination einer eigenen Hausarztpraxis Logo of esanum https://www.esanum.de

Loblied auf die eigene Praxis

Dr. Petra Sandow empfiehlt jungen Ärztinnen und Ärzten trotz aller Herausforderungen und Veränderungen in der Medizinwelt die Gründung einer eigenen Hausarztpraxis.

Hausarztpraxen in der Krise?

Schön, dass so viele Kolleginnen und Kollegen aus den Praxen meine Erfahrungen bestätigen und ergänzen. Zum Thema "Neue Ausbildungsberechtigung nach Punkten", die ich als "Schildbürgerstreich" bezeichnet habe, hat ein Kollege geschrieben: "Jetzt warten wir einmal drei bis fünf Jährchen ab. Dann gibt´s keine Hausarztpraxen mehr und spätestens dann wird jedem, der sich weiterbilden lassen möchte, die Weiterbildung hinterhergeschmissen." Bei dem Satz musste ich erstmal schlucken. Ob es in fünf Jahren soweit ist, das weiß ich nicht. Aber wir niedergelassenen Hausärzte sind sicherlich eine aussterbende Kaste. Alles strebt ja immer mehr in die medizinischen Versorgungszentren. Dort arbeiten natürlich auch Fachärzte für Allgemeinmedizin. Aber die angestellten Ärztinnen und Ärzte sind einem Eigentümer unterstellt. Das sind Konsortien, die natürlich rein wirtschaftliche Interessen haben. Was also gemacht wird und was geht, das entscheiden dann Betriebswirtschaftler und nicht Mediziner. 

Es sind bereits viele Praxen an derartige Konsortien verkauft worden. Etliche Kollegen finden das sehr angenehm, weil sie erstens keine wirtschaftliche Verantwortung mehr tragen müssen und weil sie zweitens nicht mehr Vollzeit arbeiten müssen. Man kann also die Work-Life-Balance etwas besser leben.

Selbstständigkeit: Zwischen Risikobereitschaft und Verantwortung

Ich habe ja seit 25 Jahren eine Weiterbildungsermächtigung. Und wo ich vor zehn, fünfzehn Jahren noch fünfzehn Bewerber auf eine Stelle hatte, finde ich jetzt kaum noch eine junge Kollegin, die das machen will. Die meisten wollen die Verantwortung für die Einkünfte und die Mitarbeiter nicht tragen. Für mich und meine Kommilitoninnen damals war es sehr erstrebenswert, der eigene Herr und Meister zu sein. Das finanzielle Risiko haben wir gern auf uns genommen. Selbstständig zu sein, war ein hehres Ziel. 

Das ist vorbei. Ich finde das schade. Ich möchte die wenigen Kolleginnen und Kollegen, die das anders sehen, die sich eine eigene Praxis durchaus zutrauen, diese Leuchttürme der Selbstständigkeit, ermutigen und stärken. Es ist gut, zu erkennen, dass zu einem gelingenden Leben auch eine gewisse Risikobereitschaft gehört und zu erleben, wie groß der Vorteil eines selbstbestimmten Lebens ist. Ich sage den Jüngeren: Ja, klar, du trägst das Risiko, wenn du Mist machst, kannst du in die Insolvenz gehen. Aber du hast die Möglichkeit so zu arbeiten, wie du es dir vorstellst. Du kannst dein Leben so gestalten, wie du möchtest. Und wenn du eine Zeit lang nicht voll arbeiten kannst, etwa wegen der Familienplanung, kannst du dir jederzeit Unterstützung für die Praxis suchen. Man muss wirklich nicht 24/7 arbeiten, auch nicht als Hausärztin. Ich zum Beispiel habe vier Kinder groß gezogen und meine eigene Praxis geführt. Eine meiner Töchter macht sich gerade als Medizinerin selbständig. Also war das Beispiel nicht so schlecht. Ich würde mich immer wieder selbständig machen. Auch heute noch.

Krankenkassen: Bürokratische Hürden und Therapiefreiheit

Eines möchte ich hier einmal klarstellen: Die möglicherweise abschreckenden Regularien der Abrechnung bei den Krankenkassen werden häufig fehlinterpretiert. Ganz so heiß, wie es gekocht wird, wird das alles dann doch nicht gegessen. Tatsächlich gibt es manche lästigen Regeln für die Niedergelassenen und es kommen immer wieder Drohungen von den Krankenkassen, wenn man anscheinend irgendetwas zu teuer verordnet hat. Das schreckt sicher Berufsanfänger etwas ab und macht auch Angst vor der Bürokratie. Dennoch gilt die absolute Verordnungsfreiheit. Alles, was wir begründen können, dürfen wir auch machen. Wir sollten selbstverständlich sowieso nichts tun, was wir nicht begründen können. Es klingt zwar manchmal so, dass wir dieses oder jenes nicht können. Aber es ist de facto nicht so. Wir haben volle Therapiefreiheit. Ich muss natürlich wirtschaftlich arbeiten, aber das heißt nicht, dass ich immer die preiswertesten Dinge verordnen muss. Das Gebot gilt nur, wenn zwei Dinge absolut gleichwertig sind. Und das sind sie ganz, ganz selten. Selbst die unterschiedliche Tablettengröße rechtfertigt, ein bestimmtes Medikament vorzuziehen, auch wenn es teuer ist. Bleibt also hauptsächlich die Angst vor dem Brief von der Krankenkasse: Sie haben soundso viel Euro mehr verordnet als ihre Fachgruppe. Das müssen Sie zurückzahlen. Das ist meistens Quatsch. Man muss diese Drohbriefe nicht so ernst nehmen. Man guckt dann eben, wo man etwas teurer verordnet hat, begründet das kurz und muss dann nichts zurückzahlen. Wer in diesen Dingen zu Beginn unsicher ist, kann sich gerne einmal von einem Medizienrechtsanwalt aufklären lassen - dann sieht das alles schon viel entspannter aus. Ich habe allerdings in 35 Jahren genau zweimal einen Anwalt gebraucht. 

Für junge Ärzte ist die Digitalisierung kein Hindernis

Wenn Niedergelassene gelegentlich Stöhnen und Schimpfen über neue Regeln, dann betrifft das häufig die digitalen Neuerungen. Die sind natürlich für alte Hasen wie mich etwas aufwändiger. Aber für die jungen Kollegen ist das alles gar kein Thema. Elektronische AU und elektronische Rezepte, elektronische Patientenakte - das sind für sie Selbstverständlichkeiten. Und sie wundern sich höchstens, wenn das noch nicht so funktioniert. Während ich die neuen IT-Tools erst kennenlernen musste. Wer sich jetzt niederlassen will, kennt das alles schon aus der Klinik. 

Ich sage ganz klar: Mädels und Jungs, habt den Mut zur Selbständigkeit! Lasst euch nicht verrückt machen, weil Kolleginnen und Kollgegen manchmal jammern und klagen. Die machen sich mal Luft, aber die lieben auch ihren Job! Weil das nämlich ein Superjob ist. Ich kann Urlaub machen, wann ich will, ich richte meine Sprechstunden ein, wie ich will. Ich suche mir die Mitarbeiterinnen, die ich will - und wenn ich sie gut behandle, bleiben sie meistens auch. Die eigene Praxis, das ist Freiheit und Selbstbestimmtheit. Neuerdings gibt es übrigens monatlich 600 Euro mehr für die Weiterbildungsassistenten, um die Stellen attraktiver zu machen. Das ist doch mal ein zusätzliches Bonbon!
 

Weitere Informationen zum Thema Allgemeinmedizin