Die enorme Resonanz auf das Interview "Arzt und Patient, eine Beziehung in der Krise" unseres Kollegen Amedeo Cutuli mit dem italienischen Psychiater Fabrizio Asoli, das er im vergangenen Jahr führte, hat klar gemacht, dass das Thema Arzt-Patienten-Beziehung einen Nerv trifft. Strukturelle Prozesse innerhalb der medizinischen Fächer, zunehmende Spezialisierung und damit einhergehende Fragmentierung des Patientenkörpers, die Fokussierung auf Erkrankungen einzelner Organe statt auf Erkrankungen der Person sowie der allgegenwärtige Zeitmangel haben zu einer Abwertung des Arzt-Patienten-Verhältnisses geführt. Und auch der vermeintlich gut informierte, mitunter fordernde Patient, der die Dokumentation seiner Vitaldaten anhand von Wearables am Körper mit sich trägt, ist nicht ganz pflegeleicht im Umgang und trägt somit seinen Teil zur Beziehungskrise bei. Unser redaktionelles Interesse an diesem Thema, das sich offenbar mit dem vieler Ärztinnen und Ärzte deckt, hat uns zu diesem Themenspecial veranlasst, dessen Titel wir besagtem Interview entliehen haben.
Befindet sich das Arzt-Patienten-Verhältnis wirklich in der Krise, und wenn ja, wie kommt man da wieder raus? Bücher mit Titeln wie "Wir müssen reden, Frau Doktor”, das von der Berliner Dermatologin Yael Adler verfasst und zielsicher auf die Bestsellerliste befördert wurde, machen deutlich, worum es geht: Wie in jeder Beziehung ist Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg. Wie in wahrscheinlich jeder Beziehung ist das aber auch der Teil, der am meisten Arbeit verlangt, von Missverständnissen begleitet wird und dann auch noch ständig gepflegt werden will. Der anstrengende Teil, also. Was heißt das für die Arzt-Patienten-Beziehung in einer pandemischen Zeit, die auch noch von Termindruck, der rasanten Entwicklung komplexer neuer Technologien, Doctor Google und nicht zuletzt nach wie vor ungleichem Zugang zu Information und Bildung gekennzeichnet ist? Wie finden Arzt und Ärztin sich da zurecht und im Umgang mit ihren Patienten den richtigen Ton?
Diesen Fragen ist unser Themenspecial “Arzt, Patient, Beziehungkrise” gewidmet. Denn was die aktuelle Diskussion um Impfstoffe und mit Impfgegnern auf jeden Fall zeigt, ist, dass da, zumindest bei einigen, ein Vertrauensbruch besteht und dass man nicht aufhören darf, sich um Aufklärung, Information und gegenseitiges Verständnis, kurz - um diese Beziehung - zu bemühen. Im Zentrum dieser steht noch immer das Arzt-Patienten-Gespräch. Und auch, wenn es immer öfter auch Video- oder Telefonsprechstunden gibt, ist das persönliche Gespräch noch immer am besten geeignet, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen oder schwierige Themen zu besprechen. Und zuzuhören.
Ich erinnere mich noch gut an einen Vortrag von Prof. Dr. Jalid Sehouli, in dem er eindrucksvoll schilderte, was beim Patienten passiert, wenn dieser mit einer Krebsdiagnose konfrontiert wird. "Bekommt eine Patientin die Diagnose 'Sie haben Krebs' mitgeteilt, kann sie in der Folge maximal zweieinhalb Minuten zuhören, danach kann sie in der Regel nicht mehr sehen, nicht mehr hören, nicht mehr riechen, nicht mehr tasten", beschrieb Sehouli die Einschlagskraft einer schlechten Diagnose. Umso wichtiger sei es, eine solche Mitteilung mit einer vorhergehenden Warnung zu versehen, damit der Patient die Möglichkeit habe, sich darauf vorzubereiten. In der Regel benötige ein Patient 18 Sekunden, um sich zu orientieren, wohingegen Untersuchungen gezeigt hätten, dass Ärzte durchschnittlich nicht länger als 16 Sekunden schweigen können. Zwei Sekunden, die für den Patienten und die Beziehung zum Arzt ausschlaggebend sein können.
In der Medizinerausbildung hat der Schwerpunkt "Gesprächsführung" mittlerweile generell mehr Gewichtung erhalten. Dennoch stehen Ärztinnen und Ärzte oft vor Situationen, in denen Standardlösungen nicht greifen. Sei es bei der Übermittlung schlechter Nachrichten, bei kulturellen oder Sprachbarrieren oder im Umgang mit schwierigen Patientinnen und Patienten. Hier die richtige Sprache zu finden, ist oft nicht so einfach, und manchmal erscheint es vielleicht leichter, dies gar nicht erst zu versuchen. Aber eben nur kurzfristig. Auf lange Sicht ist der einfühlsame Weg der bessere. Sein Gegenüber ernst zu nehmen, zuzuhören und sich in seine Lage zu versetzen, ohne sich dabei zu sehr emotional einzulassen, erfordert viel Feingefühl, gute Rhetorik und die Bereitschaft, an dieser Beziehung zu arbeiten. Eigenschaften, die wir bei allen Interviews und Gesprächen, die wir im Rahmen dieses Themenspecials führten, vorgefunden haben. Die Inspiration und Motivation, die unsere Gesprächspartner vermittelt haben, hat uns begeistert. Und uns glauben lassen: diese Beziehung ist zu retten.