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Icosapent-Ethyl: Ist die Omega-3-Fettsäure wirkungslos?

Die viel zitierte Zulassungsstudie REDUCE-IT für Icosapent-Ethyl kommt erneut in die Kritik. Neue Daten stützen die Vermutung, dass das verwendete Mineralöl-Placebo eher schadet als "neutral" zu sein.

Falsche Daten aus der REDUCE-IT-Studie?

Die Zulassung von Icosapent-Ethyl in Deutschland, Europa und den USA basiert auf den Daten der REDUCE-IT Studie. Dort wurde an über 8.200 Patientinnen und Patienten untersucht, ob die Einnahme von 2 g Icosapent-Ethyl zweimal täglich das kardiovaskuläre Risiko senken kann. Voraussetzung für die Studienteilnahme waren eine vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung oder ein Diabetes mellitus. Gleichzeitig mussten die Studienteilnehmer bereits eine Statintherapie erhalten und darunter niedrige Low-Density-Lipoprotein-C (LDL-C) Werte und hohe Triglyceridwerte aufweisen.

Nachmessung der Blutproben aus REDUCE-IT

Die Ergebnisse, die 2019 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden, verblüfften: so konnte Icosapent-Ethyl das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um 25% senken. Doch schnell kam Kritik auf. Einige Wissenschaftler stellten die Ergebnisse infrage, da die Placebogruppe ein bestimmtes Mineralöl erhalten hat, das wohl nicht "neutral" war, sondern möglicherweise das kardiovaskuläre Risiko erhöhte. So zeigte schon das originale Paper, dass in der Placebo-Gruppe die LDL-C- und CRP-Werte anstiegen. Eine neue Studie von Paul Ridker vom Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA, gießt nun Öl ins Feuer um die REDUCE-IT Studie.

Sein Team hat sich die Blutproben der Probanden besorgt und wichtige Atherosklerose-Marker nachgemessen. Das Wissenschafts-Team konnte zeigen, dass es in der Placebogruppe zu einem Anstieg von Homozystein (+ 1,5%), Lipoprotein(a) (+ 2,2%), oxidiertem LDL-C (+ 10,9%), Interleukin-6 (+ 16,2%), lipoprotein-assoziierter Phospholipase A2 (+ 18,5%), hoch-sensitivem C-reaktivem Protein (+ 21,9%) und Interleukin-1β (+ 28,9%) kam. In der Icosapent-Ethyl-Gruppe blieben diese Biomarker jedoch unverändert. Damit schien, laborchemisch gesehen, das Risiko für Atherosklerose in der Placebogruppe tatsächlich gestiegen zu sein.

Ergebnisse von REDUCE-IT falsch positiv?

Die Daten führen zu neuen Diskussionen rund um das hochdosierte EPA-Präparat. Kommt die positive Wirkung nur durch das schlechte Abschneiden des Placebos zustande? Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat den potentiell schädlichen Effekt des Mineralöls in ihre damalige Zulassungsbewertung mit einbezogen. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich die Wirkung von Icosapent-Ethyl dadurch nur um ca. 3% vermindert. Die aktuellen Daten standen der FDA aber nicht zur Verfügung. 

Zur weiteren Beurteilung lohnt sich auch ein Blick auf andere Omega-3-Studien. Hier ist insbesondere die STRENGTH-Studie zu nennen, die in einem vergleichbaren Studiendesgin die tägliche Einnahme einer Kombination von 2 g EPA und 2 g Docosahexaensäure (DHA) untersucht hat. Sie konnte keinen Effekt der Omega-3-Fettsäuren auf kardiovaskuläre Ereignisse feststellen. Interessanterweise verwendete die STRENGTH-Studie aber nicht Mineralöl, sondern Maisöl. Und darunter kam es in der Placebogruppe nicht zu einem Anstieg von LDL-C und CRP.

Andererseits gibt es auch Argumente, die für Icosapent-Ethyl sprechen. So ist die Messung von Biomarkern zwar interessant, am Ende zählt aber der tatsächliche Outcome. Und der war in der REDUCE-IT-Studie unter Icosapent-Ethyl nun mal günstiger als unter Placebo. Auch fiel die Erhöhung der Biomarker, die Ridker und sein Team gefunden hatten, in absoluten Konzentrationen eher minimal aus. Zudem gibt es die JELIS-Studie, eine randomisierte Icosapent-Ethyl-Studie ohne Placebo, die in Japan durchgeführt wurde. Hier konnte eine 19% Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse beobachtet werden, die den 25% aus REDUCE-IT schon sehr nahekommt.

Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte

Zusammenfassend lässt sich aus den neuen Daten ableiten, dass Icosapent-Ethyl wahrscheinlich nicht so effektiv wirkt, wie ursprünglich angepriesen. Die REDUCE-IT-Studie wurde in Bezug auf das Placebo nicht optimal designt. Doch genauso unwahrscheinlich ist es, dass Icosapent-Ethyl in der 4 g Dosis überhaupt keine Wirkung besitzt. Denn dann wäre die JELIS-Studie ebenfalls neutral ausgefallen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Daher steht einer weiteren Verordnung für die entsprechende Zielgruppe vorerst auch nichts im Wege. Seien wir aber gespannt, ob FDA und EMA aufgrund der neuen Datenlage ihre Bewertung zu Icosapent-Ethyl aktualisieren und neue Empfehlungen aussprechen.

Quelle: Ridker et al. Effects of Randomized Treatment With Icosapent Ethyl and a Mineral Oil Comparator on Interleukin-1β, Interleukin-6, C-Reactive Protein, Oxidized Low-Density Lipoprotein Cholesterol, Homocysteine, Lipoprotein(a), and Lipoprotein-Associated Phospholipase A2: A REDUCE-IT Biomarker Substudy. Circulation. 2022 Jun 28.