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Allergien im Wandel: Von Müdigkeit bis Migräne – Neue Symptome und innovative Diagnoseverfahren

Pollenallergien verändern sich: Vom klassischen Niesreiz bis hin zu Müdigkeit und Migräne – immer mehr Menschen leiden unter neuen, oft unerkannten Symptomen.

Von Müdigkeit bis Migräne: Wenn Pollenallergien anders aussehen als gedacht

Allergien gehören heute zu den häufigsten chronischen Erkrankungen – doch sie verändern sich. Während früher vor allem klassische Symptome wie tränende Augen, laufende Nase oder Hautausschläge im Vordergrund standen, treten heute immer häufiger unspezifische Beschwerden auf: Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Gereiztheit oder sogar depressive Verstimmungen.1 Viele Menschen fühlen sich anhaltend müde oder unwohl, ohne die Möglichkeit einer Allergie als Ursache in Betracht zu ziehen. Diese neuen Symptome sind eine Herausforderung für die Diagnose. Oft bleibt eine Allergie unerkannt, gerade wenn sie nicht saisonal, sondern das ganze Jahr über auftritt – z. B. durch Hausstaubmilben oder Schimmelpilze.2

Weniger bekannte oder neuartige Symptome

Neben den klassischen Symptomen gibt es auch weniger bekannte oder neuartige Beschwerden, die mit Pollenallergien in Verbindung gebracht werden können:

  • Müdigkeit: Erschöpfung ist ein oft unterschätztes, aber bedeutendes Symptom, das häufig auf eine schlechte Schlafqualität aufgrund unkontrollierter Allergien zurückzuführen ist.1 
  • "Benommenheit": Ein Gefühl von "Benebeltsein" oder erhöhter Druck in den Nebenhöhlen kann auftreten.3 
  • Ohrensausen: Ein Klingeln in den Ohren kann durch eine Blockade der Eustachischen Röhre infolge von Schleimhautschwellungen in den Nasennebenhöhlen entstehen.4  
  • Gelenkschmerzen: Gelenkschmerzen können aufgrund von Entzündungen, die durch Allergien verursacht werden, möglich sein. 
  • Kopfschmerzen: Kopfschmerzen, insbesondere im Bereich der Stirn und Wangen, können durch eine erhöhte Verstopfung der Nase und der Nebenhöhlen verursacht werden.6 
  • Juckreiz im Mund, Bauchschmerzen, Durchfall: Das orale Allergiesyndrom (PFAS/OAS) beschreibt eine Reaktion, bei der Pollenallergiker nach dem Verzehr bestimmter roher Früchte und Gemüse lokale Reaktionen im Magen-Darm-Trakt erfahren, bedingt durch Kreuzreaktionen. 
  • Halsschmerzen: Halsschmerzen können mit postnasalem Tropfen oder übermäßiger Trockenheit durch die Einnahme von Antihistaminika zusammenhängen.1 
  • Verhaltensauffälligkeiten: Stimmungsschwankungen, Hyperaktivität und Konzentrationsschwierigkeiten können auftreten, oft in Verbindung mit schlechter Schlafqualität.1  
  • Hautausschläge: Saisonale Allergien können Ekzemschübe auslösen oder zu Juckreiz und Hautausschlägen bei direktem Kontakt mit Allergenen wie Gräsern führen.
  • Schwindel: Allergien können Schwindel oder Vertigo verursachen, da Entzündungen und Schleimansammlungen in den Eustachischen Röhren das Gleichgewichtssystem beeinträchtigen können.9
  • Exercise-induzierte Symptome: Körperliche Anstrengung kann allergische Reaktionen verstärken und zu Husten, Keuchen und Kurzatmigkeit führen (exercise-induzierte Bronchokonstriktion).10 
  • Nächtliche Allergien: Allergiesymptome können sich nachts verschlimmern, bedingt durch Hausstaubmilben, Tierhaare oder Pollenansammlungen.9 

Klimawandel: Der Turbo für Allergien

Der Klimawandel beeinflusst die Ausbreitung, Stärke und Dauer allergischer Reaktionen massiv. Durch steigende Temperaturen beginnt die Pollensaison immer früher – oft schon im Januar – und endet später im Herbst. Das bedeutet: Allergiker haben mittlerweile drei bis vier Monate länger Beschwerden als noch vor wenigen Jahrzehnten. Zudem führt die erhöhte CO₂-Konzentration in der Luft dazu, dass Pflanzen mehr Pollen produzieren – und diese Pollen sind oft aggressiver als früher. Untersuchungen zeigen: Birken oder Gräser, die unter erhöhtem CO₂ wachsen, enthalten mehr allergene Proteine. Der Körper reagiert also stärker auf kleinere Mengen. Ein weiteres Problem ist die Einwanderung neuer Pflanzenarten: Besonders die aus Nordamerika stammende Ambrosia breitet sich in Deutschland aus – besonders in Städten und entlang von Verkehrswegen. Schon kleinste Mengen Pollen dieser Pflanze können starke allergische Reaktionen bis hin zu Asthma auslösen. Immer mehr Menschen leiden unter Allergien, deren Saison sich verschiebt und deren Symptome heftiger werden. Besonders in Städten wie Berlin, wo der „urban heat island“-Effekt die Luft zusätzlich aufheizt, ist die Belastung besonders hoch.13

Allergietests im Wandel: Von Prick-Test bis Molekulardiagnostik

Moderne Allergiediagnostik geht heute weit über den klassischen Prick-Test hinaus. Zwar bleibt dieser Hauttest (bei dem kleine Allergenlösungen in die Haut geritzt werden) ein wichtiges Basisinstrument, doch er zeigt oft nur, ob eine Sensibilisierung vorliegt – nicht, wie stark die Reaktion tatsächlich ist oder ob Symptome auftreten.12 Hier kommt die molekulare Allergiediagnostik ins Spiel. Bei dieser Methode – auch als Komponentendiagnostik bekannt – wird im Blut genau analysiert, auf welche Proteine innerhalb eines Allergens das Immunsystem reagiert. Das macht es möglich, echte Allergien von Kreuzreaktionen zu unterscheiden. Beispiel: Wer auf Birkenpollen allergisch ist, reagiert manchmal auch auf Äpfel – das sogenannte Birkenpollen-Apfel-Syndrom. Mit der Komponentendiagnostik lässt sich feststellen, ob die Beschwerden durch echte Nahrungsmittelallergene oder nur durch eine Kreuzreaktion ausgelöst werden – was entscheidend für die Therapie ist.14 Zudem zeigen die molekularen Tests, wie hoch das Risiko für schwerwiegende Reaktionen ist. Diese Informationen sind besonders wichtig bei Insektengiftallergien, Nahrungsmittelallergien oder der Frage, ob eine Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie) sinnvoll ist.15

Beispiele moderner Tests:

  • ImmunoCAP ISAC-Test (ImmunoCAP ISAC®): Testet mehr als 100 Allergenkomponenten gleichzeitig.16
  • ALEX-Test (Allergy-Allergietest): Noch breiteres Panel, inklusive Molekülstruktur-Analyse.16
  • Basophilenaktivierungstest (BAT): Misst die Reaktion lebender Immunzellen auf Allergen-Kontakt – besonders bei unklaren Fällen hilfreich.17

Hilfe per App: Wie digitale Tools Allergiker unterstützen können

Es wird mittlerweile auch auf digitale Unterstützung gestützt. Mit der App „Pollenius“ etwa lässt sich in Echtzeit verfolgen, welche Pollen gerade in der Luft sind. Die App kombiniert persönliche Symptomtagebücher mit lokalen Pollenmesswerten – das hilft Betroffenen, Zusammenhänge besser zu erkennen. Wer also morgens regelmäßig Kopfschmerzen hat, kann mithilfe der App prüfen, ob dies mit einem Pollenanstieg zusammenhängt. Zusätzlich liefern KI-gestützte Systeme Frühwarnungen, wenn eine persönliche Belastungsschwelle erreicht ist.18

Fazit: Wer die neuen Wege geht, bekommt auch neue Antworten

Allergien haben viele Gesichter – und die Medizin hat längst reagiert. Die Kombination aus neuem Wissen über Symptome, fortschrittlicher Diagnostik und digitaler Unterstützung kann Betroffenen helfen, endlich eine klare Diagnose zu bekommen und passende Therapien einzuleiten. Gerade in Städten wie Berlin, wo das Pollenjahr immer länger und die Luftbelastung komplexer wird, lohnt es sich, Allergien neu zu denken – und die eigenen Beschwerden nicht einfach hinzunehmen.

Quellen:
  1. TK - Die Techniker. Heuschnupfen: So wird eine Pollenallergie ausgelöst. Online verfügbar unter: https://www.tk.de/techniker/magazin/themen/spezial/allergie/heuschnupfen-2013148
  2. MSD Manual Ausgabe für Patienten. Ganzjährige Allergien. Online verfügbar unter: https://www.msdmanuals.com/de/heim/immunst%C3%B6rungen/allergische-reaktionen-und-andere-hypersensitivit%C3%A4tsst%C3%B6rungen/ganzj%C3%A4hrige-allergien
  3. MSD-Manual. (o. J.). Saisonale Allergien – Behandlung. MSD-Manual für medizinische Fachkreise. Abgerufen am 17. April 2025, von: https://www.msdmanuals.com/de/heim/immunst%C3%B6rungen/allergische-reaktionen-und-andere-hypersensitivit%C3%A4tsst%C3%B6rungen/saisonale-allergien#Behandlung_v779976_de
  4. Weichbold V, Schmidt A, Zorowka PG. Chronischer Tinnitus und Allergien -- besteht ein Zusammenhang? [Chronic tinnitus and allergies -- are they linked?]. Laryngorhinootologie. 2003 Jan;82(1):9-12. German. doi: 10.1055/s-2003-36907. PMID: 12548458.
  5. Dickison P, Harris V, Smith SD. Nickel hypersensitivity following closure of atrial septal defect: A case report and review of the literature. Australas J Dermatol. 2018 Aug;59(3):220-222. doi: 10.1111/ajd.12787. Epub 2018 Jan 29. PMID: 29380348.
  6. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (2022). Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis). Gesundheitsinformation.de. Abgerufen am 17. April 2025, von: https://www.gesundheitsinformation.de/nasennebenhoehlenentzuendung.html?utm_source=chatgpt.com 
  7. Kashyap RR, Kashyap RS. Oral Allergy Syndrome: An Update for Stomatologists. J Allergy. 2015;2015:543928. 
  8. MSD Manual Ausgabe für Patienten. Übersicht über allergische Reaktionen. Online verfügbar unter: https://www.msdmanuals.com/de/heim/immunst%C3%B6rungen/allergische-reaktionen-und-andere-hypersensitivit%C3%A4tsst%C3%B6rungen/%C3%BCbersicht-%C3%BCber-allergische-reaktionen 
  9. Pawankar R, Holgate ST, Canonica GW, Lockey RF, Blaiss M, editors. The WAO white book on allergy (update 2013) Milwaukee (WI): White Book on Allergy; 2013. 
  10. MSD Manual Ausgabe für Patienten. Belastungsinduzierte allergische Reaktionen. Online verfügbar unter: https://www.msdmanuals.com/de/heim/immunst%C3%B6rungen/allergische-reaktionen-und-andere-hypersensitivit%C3%A4tsst%C3%B6rungen/belastungsinduzierte-allergische-reaktionen 
  11. Darsow, U., Vieluf, D., Ring, J. (2001). Prick test. In: Przybilla, B., Ring, J. (eds) Handbook of Practical Allergy. Springer, Berlin, Heidelberg.
  12. Prucha, H., Chen, W., Traidl-Hoffmann, C., Todorova, A., Akdis, C., Lauener, R., & Ring, J. (2021). Atopic eczema and allergies: Practical relevance for diagnostic work-up. Allergo Journal International, 30(5), 163–170.
  13. Lake IR, Jones NR, Agnew M, Goodess CM, Giorgi F, Hamaoui-Laguel L, Semenov MA, Solmon F, Storkey J, Vautard R, Epstein MM. Climate Change and Future Pollen Allergy in Europe. Environ Health Perspect. 2017 Mar;125(3):385-391. doi: 10.1289/EHP173. Epub 2016 Aug 24. Erratum in: Environ Health Perspect. 2018 Jul 11;126(7):079002. doi: 10.1289/EHP2073. PMID: 27557093; PMCID: PMC5332176.
  14. Valenta, R., et al. (2018). The recombinant allergen-based concept of component-resolved diagnostics and immunotherapy (CRD and CRIT). Clinical and Experimental Allergy, 48(2), 161–174. https://doi.org/10.1111/cea.13066
  15. Diem, S., et al. (2022). Real-life evaluation of molecular multiplex IgE test methods in the diagnosis of pollen associated food allergy. Allergy, 77(9), 2671–2681. https://doi.org/10.1111/all.15329
  16. Eberlein, B., et al. (2022). Multiplex Assays in Allergy Diagnosis: Allergy Explorer 2 versus ImmunoCAP ISAC E112i. International Archives of Allergy and Immunology, 183(4), 345–354. https://doi.org/10.1159/000524789
  17. Nucera, E., et al. (2021). Influence of Antihistamines on Basophil Activation Test in Food Allergy to Milk and Egg. Diagnostics, 11(1), 44. https://doi.org/10.3390/diagnostics11010044
  18. Charité – Universitätsmedizin Berlin. (2020). Charité-App liefert erstmals Echtzeitdaten zum Pollenflug in Berlin. Charité – Universitätsmedizin Berlin. Abgerufen von https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/charite_app_liefert_erstmals_echtzeitdaten_zum_pollenflug_in_berlin