Klimawandel: Der Turbo für Allergien
Der Klimawandel beeinflusst die Ausbreitung, Stärke und Dauer allergischer Reaktionen massiv. Durch steigende Temperaturen beginnt die Pollensaison immer früher – oft schon im Januar – und endet später im Herbst. Das bedeutet: Allergiker haben mittlerweile drei bis vier Monate länger Beschwerden als noch vor wenigen Jahrzehnten. Zudem führt die erhöhte CO₂-Konzentration in der Luft dazu, dass Pflanzen mehr Pollen produzieren – und diese Pollen sind oft aggressiver als früher. Untersuchungen zeigen: Birken oder Gräser, die unter erhöhtem CO₂ wachsen, enthalten mehr allergene Proteine. Der Körper reagiert also stärker auf kleinere Mengen. Ein weiteres Problem ist die Einwanderung neuer Pflanzenarten: Besonders die aus Nordamerika stammende Ambrosia breitet sich in Deutschland aus – besonders in Städten und entlang von Verkehrswegen. Schon kleinste Mengen Pollen dieser Pflanze können starke allergische Reaktionen bis hin zu Asthma auslösen. Immer mehr Menschen leiden unter Allergien, deren Saison sich verschiebt und deren Symptome heftiger werden. Besonders in Städten wie Berlin, wo der „urban heat island“-Effekt die Luft zusätzlich aufheizt, ist die Belastung besonders hoch.13
Allergietests im Wandel: Von Prick-Test bis Molekulardiagnostik
Moderne Allergiediagnostik geht heute weit über den klassischen Prick-Test hinaus. Zwar bleibt dieser Hauttest (bei dem kleine Allergenlösungen in die Haut geritzt werden) ein wichtiges Basisinstrument, doch er zeigt oft nur, ob eine Sensibilisierung vorliegt – nicht, wie stark die Reaktion tatsächlich ist oder ob Symptome auftreten.12 Hier kommt die molekulare Allergiediagnostik ins Spiel. Bei dieser Methode – auch als Komponentendiagnostik bekannt – wird im Blut genau analysiert, auf welche Proteine innerhalb eines Allergens das Immunsystem reagiert. Das macht es möglich, echte Allergien von Kreuzreaktionen zu unterscheiden. Beispiel: Wer auf Birkenpollen allergisch ist, reagiert manchmal auch auf Äpfel – das sogenannte Birkenpollen-Apfel-Syndrom. Mit der Komponentendiagnostik lässt sich feststellen, ob die Beschwerden durch echte Nahrungsmittelallergene oder nur durch eine Kreuzreaktion ausgelöst werden – was entscheidend für die Therapie ist.14 Zudem zeigen die molekularen Tests, wie hoch das Risiko für schwerwiegende Reaktionen ist. Diese Informationen sind besonders wichtig bei Insektengiftallergien, Nahrungsmittelallergien oder der Frage, ob eine Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie) sinnvoll ist.15
Beispiele moderner Tests:
- ImmunoCAP ISAC-Test (ImmunoCAP ISAC®): Testet mehr als 100 Allergenkomponenten gleichzeitig.16
- ALEX-Test (Allergy-Allergietest): Noch breiteres Panel, inklusive Molekülstruktur-Analyse.16
- Basophilenaktivierungstest (BAT): Misst die Reaktion lebender Immunzellen auf Allergen-Kontakt – besonders bei unklaren Fällen hilfreich.17
Hilfe per App: Wie digitale Tools Allergiker unterstützen können
Es wird mittlerweile auch auf digitale Unterstützung gestützt. Mit der App „Pollenius“ etwa lässt sich in Echtzeit verfolgen, welche Pollen gerade in der Luft sind. Die App kombiniert persönliche Symptomtagebücher mit lokalen Pollenmesswerten – das hilft Betroffenen, Zusammenhänge besser zu erkennen. Wer also morgens regelmäßig Kopfschmerzen hat, kann mithilfe der App prüfen, ob dies mit einem Pollenanstieg zusammenhängt. Zusätzlich liefern KI-gestützte Systeme Frühwarnungen, wenn eine persönliche Belastungsschwelle erreicht ist.18
Fazit: Wer die neuen Wege geht, bekommt auch neue Antworten
Allergien haben viele Gesichter – und die Medizin hat längst reagiert. Die Kombination aus neuem Wissen über Symptome, fortschrittlicher Diagnostik und digitaler Unterstützung kann Betroffenen helfen, endlich eine klare Diagnose zu bekommen und passende Therapien einzuleiten. Gerade in Städten wie Berlin, wo das Pollenjahr immer länger und die Luftbelastung komplexer wird, lohnt es sich, Allergien neu zu denken – und die eigenen Beschwerden nicht einfach hinzunehmen.
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