Modellierung der Resistenz bei allosterischer Inhibition
Auf dem DGHO Kongress 2022 wurde unter anderem die Modellierung der Resistenz bei allosterischer Hemmung besprochen: Eine Innovation.
Die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML) befindet sich im Wandel
Die CML-Behandlung der letzten Jahrzehnte beruhte u.a. auf dem Einsatz verschiedener ATP-kompetitiver Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI). Jedoch können TKI-Unverträglichkeiten und TKI-Resistenzen einen Therapiewechsel notwendig machen. Mit jeder Therapielinie steigt das Risiko für Therapieversagen: Nach der 2. Therapielinie liegt dieses bereits bei 80 %. Während des Behandlungsverlaufs können Mutationen im Bereich der ATP-Bindestelle der Tyrosinkinase auftreten und so zu einem Wirkverlust ATP-kompetitiver TKI führen. Neue Behandlungskonzepte sind notwendig, um diesem mit jeder Therapielinie steigenden Risiko für Therapieversagen entgegentreten zu können. Der erste und einzige TKI der STAMP-Klasse mit dem Namen Asciminib ist für CML-Betroffenen zugelassen, bei denen eine Ph+ CML in der chronischen Phase diagnostiziert wurde und die bereits mit ≥ 2 TKI vorbehandelt worden sind. In der ASCEMBL-Studie konnte der STAMP-Inhibitor hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Verträglichkeit überzeugen. In der besagten Studie wurde er mit einem ATP-kompetitiven TKI der 2. Generation (Bosutinib) verglichen. Das Besondere an Asciminib ist sein innovatives Wirkkonzept, das die allosterische Inhibition beinhaltet.1-6
Wie genau funktioniert die allosterische Inhibition der Tyrosinkinase?
Das Kernelement des Vortrages bildete die CML-Behandlung. Die CML ist eine myeloproliferative Erkrankung, die auf molekularer Ebene durch die Expression von BCR::ABL1, einem Fusionsprotein mit deregulierter Tyrosinkinase-Aktivität, gekennzeichnet ist. Bei der CML liegt eine ganz spezifische Chromosomenanomalie, das Philadelphia-Chromosom, vor. Dieses ist das Resultat einer Translokation der beiden Chromosomen 9 und 22. Das so entstandene BCR::ABL1-Fusionsgen kodiert für eine konstitutiv aktive Tyrosinkinase. Die BCR::ABL1-Tyrosinkinase stellt eine Kombination aus dem BCR-Protein und der Tyrosinkinase ABL1 dar. Die genetischen Informationen für das BCR-Protein stammen vom Chromosom 22, die genetischen Informationen für ABL1 vom Chromosom 9. Das BCR-Protein ersetzt einen entscheidenden Bauteil der ABL1, was zu einem Verlust der autoinhibierenden Konformationsänderung der Tyrosinkinase führt. Unter physiologischen Umständen besitzt die Tyrosinkinase die Fähigkeit der Autoinhibition. Dies ist möglich durch die Bindung des N-terminalen Myristatrests der Tyrosinkinase im Bereich der Myristattasche. Durch die Mutation ist diese Fähigkeit allerdings verloren gegangen, da das BCR-Protein unpassend für diese Myristattasche ist. Durch die ständig aktive Tyrosinkinase kommt es zu einer Hemmung der Apoptose und einer Förderung der Zellproliferation. Die Behandlung der CML hat die Hemmung genau dieser Tyrosinkinase zum Ziel.7-13
Unmet medical need in der CML-Therapie aus biochemischer Sicht
Der Einsatz der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) hat die Prognose bei vielen Patienten und Patientinnen mit onkologischen Erkrankungen drastisch verbessern können. Das Gesamtüberleben konnte auf über 90 % angehoben werden. Die CML beispielsweise hat sich so von einer sonst nach rund 4,5 Jahren tödlich verlaufenden Erkrankung zu einer Krankheit mit relativ normaler Lebenserwartung gewandelt. PhD O. Hantschel betonte in seinem Vortrag, dass trotz dieser enormen Entwicklung in der CML-Behandlung weiterhin folgende unmet medical needs bestehen:1
Primäre Resistenz
- Sekundäre Resistenz
- Reduziertes Therapieansprechen der TKI bei AP/BP+ PH+ ALL
- Problematische (akute) Nebenwirkungen
- Langzeitnebenwirkungen1
Neue Wirkkonzepte sind nötig für die Behandlung der CML
Alternative Therapiekonzepte würden an dieser Stelle Abhilfe schaffen können. Für die Entwicklung der hierfür notwendigen Therapeutika müssten Hantschel zufolge zuerst folgende Fragen geklärt werden:
- "Können wir durch ein Verständnis der molekularen Mechanismen, welche c-Abl inaktiv halten, alternative pharmakologische Wege finden, um Bcr-Abl zu hemmen?
- Wie ist c-Abl inhibiert?
- Warum ist Bcr-Abl konstitutiv aktiv?"1
STAMP-Inhibition bei CML
Im gleichen Atemzug lieferte Hantschel bereits einen passenden Kandidaten für die Lösung der meisten unmet medical need. Er stellte dem Auditorium den STAMP-Inhibitor Aciminib vor. Das Akronym STAMP steht für Specifically Targeting the ABL Myristoyl Pocket). Anders als die bisher zugelassenen ATP-kompetitiven TKI, bindet Asciminib nicht an die ATP-Bindestelle der Tyrosinkinase, sondern an die Myristattasche. Durch diesen neuen und einzigartigen Wirkmechanismus kann Asciminib auch bei CML-Betroffenen eingesetzt werden, bei denen eine TKI-Resistenz aufgrund einer Mutation im Bereich der ATP-Bindestelle besteht. Zugelassen ist der erste und einzige TKI der STAMP-Klasse für mit mindestens 2 TKI vorbehandelten Philadelphia Chromosom positiven CML-Patientinnen und -Patienten in der chronischen Phase mit einer Dosierung von 40 mg zweimal täglich.1
Asciminib besitzt eine hohe Spezifität für die Tyrosinkinase
Hantschel nannte in seinem Vortrag folgenden Grund für die hohe Spezifität von Asciminib: Es gibt keine anderen Tyrosinkinasen mit homologer Myristattasche.1
Der BCR::ABL1-Inhibitor GNF-2
Neben dem bereits zugelassenen TKI der STAMP-Klasse Asciminib stellte Hantschel dem Auditorium gleich mehrere wissenschaftliche Publikationen zu einem anderen allosterischen Inhibitor von BCR::ABL1 mit dem Namen NF-2 vor. NF-2 wurde als eine neue Klasse von Krebsmedikamenten zur Behandlung resistenter CML-Fälle entwickelt. GNF-2 zeigt eine ausschließliche antiproliferative Aktivität gegenüber BCR::ABL1-transformierten Zellen. Das bedeutet, dass GF-2 keine Hemmung der Kinaseaktivität von c-ABL1 zeigt. GF-2 besitzt eine ähnliche Wirkung wie Imatinib. Es wird vermutet, dass die Wirkung auf einem allosterischen, inhibitorischen, nicht-ATP-kompetitiven Mechanismus beruht. Bisher konnte jedoch – aufgrund schlechter Proteinkinase-Eigenschaften – kein klinischer Kandidat für klinische Studien bestimmt werden.1,14,15
Resistenzmechanismen bei der CML-Behandlung mittels Asciminib
Durch Mutationen kann es auch zu Resistenzen bei der CML-Behandlung mittels Asciminib kommen. Die gute Nachricht nannte Hantschel vorab: Die meisten Mutationen, die eine Asciminib-Resistenz verursachen, sind empfindlich gegenüber einem oder mehreren ATP-kompetitive Inhibitoren.1
Fazit für die Praxis
- Die ABL1-Tyrosinkinase wird durch Myristoylbindung an kryptische Tasche im Bereich der Kinasedomäne gehemmt.
- Die Myristattasche ist bei BCR::ABL1 unbesetzt, da das BCR-Protein nicht hineinpasst.
- Asciminib ist ein potenter und hochselektiver Inhibitor, der an die Myristattasche BCR::ABL1 binden kann.
- Asciminib ist ein sicheres und wirksames Medikament bei stark vorbehandelten CML-Patientinnen und -Patienten.
- Das Besondere an Asciminib ist sein Wirkmechanismus: Asciminib hemmt auf allosterischem und somit nicht-kompetitivem Weg die onkogene Aktivität von BCR::ABL1.
- Ein weiterer Pluspunkt: Asciminib kann mit ATP-kompetitiven Kinaseinhibitoren kombiniert werden.
- Die Kombination aus Asciminib mit ATP-kompetitiven Kinaseinhibitoren kann zu einer verbesserten Wirksamkeit führen. In vitro konnte eine Unterdrückung der Resistenzentwicklung beobachtet werden.
- Oliver Hantschel, PhD, Prof. Dr. med., DGHO 2022, Modellierung der Resistenz bei allosterischer Inhibition, Resistenzmechanismen der CML, Aachen, 11:00-11:30 Uhr, 10.10.2022.
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