Ob in der Hausarztpraxis oder im Krankenhaus – das Gesundheitswesen ist immer mehr übers Internet erreichbar. Die Corona-Pandemie treibt die Entwicklung voran. Eine Neuerung erlebt besonders viel Zuspruch.
Ein schneller Austausch von Daten zwischen ÄrztInnen übers Internet, der virtuelle Patientenbesuch per Videosprechstunde. Die Corona-Pandemie hat viele Dinge auf den Kopf gestellt. Bei den ÄrztInnen im Freistaat wirkt sie vor allem auch als Treiber der Digitalisierung. Die Telemedizin erlebt einen deutlichen Aufschwung.
Großen Anteil daran hat die Videosprechstunde. Der Freisinger Hausarzt Wilhelm Schröttle etwa hat sich mit Beginn der Pandemie erstmals dazu entschlossen, auch per Video mit seinen PatientInnen in Kontakt zu treten. "Wenn ich einen Patienten bereits kenne, ist ein Gespräch auch gut über Video möglich", sagte Schröttle. Ihm war es außerdem wichtig, so auch seine Angestellten vor möglichen Corona-Infektionen zu schützen, sagte er weiter. Ende Juli boten bereits 7.000 ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen in Bayern die Videosprechstunde an, wie eine Auswertung von Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern durch die Techniker Krankenkasse (TK) ergab.
Die hohe Popularität hat dabei auch finanzielle Gründe. Eine Videosprechstunde könne mittlerweile wie ein persönliches Gespräch in der Praxis abgerechnet werden, so Schröttle. Die Krankenkassen haben hier einen finanziellen Anreiz gesetzt, um den Ausbau zu beschleunigen. Zudem soll es nach Auslaufen der Übergangsregelung der Krankschreibung per Telefon dauerhaft möglich sein, sich auch in einer Videosprechstunde krankschreiben zu lassen. Vorausgesetzt, ÄrztInnen und PatientInnen sind einander bekannt und die Erkrankung lässt eine Untersuchung per Video zu, wie etwa die TK betont.
Doch auch abseits der Videosprechstunde schreitet die Digitalisierung in den Arztpraxen und Krankenhäusern in Bayern voran. Ein weiterer Baustein beim digitalen Schulterschluss mit seinen PatientInnen ist für Hausarzt Schröttle ein Online-Anamnese-Bogen, mit dem PatientInnen Vorerkrankungen und Gesundheitsdaten online an die Praxis übermitteln können. So erhält er schnell und ohne zusätzlichen Aufwand Informationen seiner PatientInnen, die er zum Beispiel auch mit Kollegen für gemeinsame Diagnosen nutzen kann. Auch Labordaten erhält und überträgt Schröttle bereits seit langem digital.
Die Rückmeldungen seiner PatientInnen zu den digitalen Angeboten der Praxis seien dabei fast durchweg positiv. Lediglich Menschen über 70 Jahren erreiche er etwa mit der Videosprechstunde nicht, sagte Schröttle. Um die Akzeptanz der Arztkontakte übers Internet weiter zu erhöhen, wünscht sich der Hausarzt vor allem eine bessere Aufklärung. Einige seiner PatientInnen seien skeptisch in Bezug auf den Datenschutz. Dabei seien die Arztanwendungen alle verschlüsselt, der Datenschutz viel besser als bei den meisten Apps, die viele Menschen privat nutzten, so Schröttle.
Neben den zahlreichen Arztpraxen spielt die Telemedizin auch an den Krankenhäusern in Bayern eine bedeutende Rolle. Auch hier steht aktuell der Austausch mit PatientInnen über Video im Fokus. Dass die Nutzung der Videosprechstunde in Bayern "massiv zugenommen" habe, begrüßt auch das Gesundheitsministerium ausdrücklich. In den Hochzeiten der Pandemie haben zum Beispiel ÄrztInnen am Uniklinikum München bis zu 200 Videotelefonate pro Tag geführt. Inzwischen seien es noch rund 30 täglich, wie eine Sprecherin des Klinikums mitteilt.
Da die Pandemie bei vielen Menschen nicht nur physische Folgen hinterlässt, besteht ein Schwerpunkt der Videotelefonie am Uniklinikum München auf der Betreuung von Menschen mit psychosozialen Beschwerden durch Corona. Bereits zu Anfang des Jahres wurde von PsychiaterInnen, PsychologInnen und SeelsorgerInnen ein Team zusammengestellt, das rund um die Uhr erreichbar ist. Mit Tablets nehmen sie im Klinikum Gespräche von Menschen entgegen, um ihnen psychologische Unterstützung zu geben.
Die Menschen seien durch die Videoschalte unmittelbarer in Mimik und Gestik zu erleben, erklärte die Psychologin Eva Hoch von der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie. Sie hat die MitarbeiterInnen für die Gespräche geschult und betont, wie wichtig eine niedrigschwellige und zeitnahe Unterstützung in Situationen akuter psychischer Belastung sei.
Ebenfalls auf Telemedizin setzt das Klinikum zudem mit einer App zur Nachsorge von COVID-19-Erkrankte. Denn auch wer sich von einer Erkrankung erholt hat und wieder nach Hause gehen kann, sollte ärztlich eng betreut werden. Dafür wurde an der Uniklinik München eine App zur Betreuung von KrebspatientInnen umgewandelt. Genesende Corona-PatientInnen können damit Gesundheitsdaten wie Körpertemperatur oder Atemfrequenz an ÄrztInnen des Klinikums übertragen. Besonders für den Ernstfall sei das sehr hilfreich, hieß es vom Klinikum. Zeigten die Daten eine Verschlechterung, könnten PatientInnen umgehend wieder stationär aufgenommen werden.
Neben solchen Leuchtturmprojekten zeigt die Umstellung auf das digitale Gesundheitswesen jedoch auch dessen Tücken. Von Ende Mai bis Mitte Juni war die Telematikinfrastruktur in Deutschland teilweise gestört. Mit ihr sollen alle Beteiligten des Gesundheitswesens nach und nach miteinander vernetzt werden. Über Wochen war in Arztpraxen ein Abgleich der Daten der Gesundheitskarte von PatientInnen nicht möglich. Zur Behebung der Störung, für die jede Praxis selbst tätig werden musste, gab es zudem zunächst Streit um die Übernahme der Kosten. All dies zog zusätzliche Kritik an der Telematikinfrastruktur nach sich, die von vielen Beteiligten als zu zentralistische Lösung mit nicht ausreichendem Datenschutz kritisiert wird.
Dabei hat die Politik in Bayern wie im Bund die flächendeckende Versorgung des Gesundheitswesens mit dieser digitalen Infrastruktur als Ziel ausgegeben. Die tägliche Bewältigung der Corona-Pandemie zeigt deutlich, wie hilfreich eine solche Infrastruktur für das Gesundheitswesen schon heute sein könnte – und welche Probleme auf dem Weg dahin noch lauern.