Fehlbildungen bei Neugeborenen wie Gallengangs-Verschlüsse oder angeborene Zwerchfellhernien gehören zu den Seltenen Erkrankungen und erfordern aufwändige Korrekturoperationen. Ähnliches gilt für die Therapie von Tumoren, die Kinder etwa an Niere, Leber oder Weichteilen entwickeln. Um die medizinische Versorgung der jungen Patienten zu verbessern, fordern Experten eine Konzentration dieser Behandlungen an Spezialkliniken. Warum eine Zentralisierung sinnvoll ist, erläuterten Experten gestern auf einer Pressekonferenz anlässlich des 135. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH).
Die Behandlung der Krebserkrankungen im Kindesalter hat große Fortschritte gemacht. Noch Ende der 70er Jahre verstarben 80 Prozent der Kinder relativ kurze Zeit nach der Operation – heute überleben 80 Prozent der kleinen Patienten fünf Jahre und länger, viele erreichen das Erwachsenenalter. "Die Gründe für den Erfolg liegen in der Zusammenarbeit spezialisierter Zentren, die alle Behandlungen protokolliert und daraus optimale Behandlungsstrategien entwickelt haben", erklärt DGCH-Präsident Professor Dr. med. Jörg Fuchs.
Dieser Prozess müsse nun weitergeführt werden, fügt der Tübinger Kinderchirurg hinzu. Denn viele der zunächst erfolgreich behandelten Kinder entwickeln im Laufe der Zeit Metastasen, erleben einen Rückfall oder erleiden eine zweite Krebserkrankung an der Schilddrüse oder in Form einer Leukämie. In diesen Fällen sind die Behandlungserfolge mit einer Fünf-Jahres-Überlebensrate von unter 40 Prozent deutlich schlechter.
"Um die Behandlungsergebnisse auch bei fortgeschrittenen Tumoren und Zweitkrebserkrankungen zu verbessern, benötigen wir eine Zentralisierung der Kinderkrebsbehandlungen in wenigen Spezialeinrichtungen", sagt Fuchs. Dort würden internationale Behandlungsprotokolle erstellt, verglichen und Therapiestrategien erneut optimiert. Etwa 1800 Kinder erkranken jedes Jahr in Deutschland neu an Krebs.
Die Notwendigkeit einer Konzentration hat auch die deutsche Krebsgesellschaft erkannt und im zurückliegenden Jahr eine Zertifizierung von kindlichen Zentren zur Krebsbehandlung gestartet – erforderlich für eine Zertifizierung sind unter anderem Behandlungszahlen von mindestens 30 Neuerkrankungen pro Jahr. "Dieser Weg, die Expertise auf wenige Zentren zu konzentrieren, ist richtig, um die Ergebnisse weiter zu verbessern", sagt Fuchs.
Gleiches fordern die Kinderchirurgen für die Behandlung von angeborenen Fehlbildungen, die in Deutschland höchstens 200 bis 250 Mal pro Jahr auftreten. Gemäß Art. 24 der UN-Kinderrechtskonventionen sollte jedem Kind das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit zukommen "Realität ist, dass viele kleine kinderchirurgische Einheiten diese komplizierten Korrektureingriffe durchführen, häufig seltener als einmal jährlich", erläutert Professor Dr. med. Dr. h. c. Lucas Wessel, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH).
"Die Folgen der begrenzten Operationserfahrung sind für Betroffene oftmals sehr unbefriedigend und werden seit Jahrzehnten von Selbsthilfeorganisationen beklagt", fügt der Direktor der Kinderchirurgischen Klinik an der Universitätsmedizin Mannheim hinzu. Eine weitgehende Zentralisierung der Behandlung seltener Fehlbildungen in Deutschland würde zu einer Verbesserung der Operationsergebnisse, zu einer Abnahme schwerwiegender Komplikationen und Folgeerkrankungen samt Folgeoperationen führen und damit die Teilhabe der Betroffenen gewährleisten.
"Dafür kommen alle Fehlbildungen in Frage, die schon vor der Geburt diagnostiziert werden, so dass eine rechtzeitige Verlegung möglich ist", sagt Wessel. Die Zentren sollten mit den vier "European Reference Networks" (ERN) für Seltene Erkrankungen im Kindesalter vernetzt sein. Die ERN-Netzwerke tauschen europaweit Informationen zu Therapie, Diagnostik und Nachsorge bei Fehlbildungen aus, um die Therapie zu optimieren.
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