Ärztetag: GOÄ-Reform und weitere Forderungen Logo of esanum https://www.esanum.de

Wochenrückblick: Neue Preisbildungsregeln für innovative Arzneimittel

Sachverständigenrat empfiehlt neue Regeln für Preisbildung und Nutzenbewertung bei innovativen Arzneimitteln zur Systementlastung.

Gesundheitsweise: Neue Regeln für Preisbildung bei Innovationen 

Vor dem Hintergrund der zuletzt dynamischen Entwicklung der Preise und Ausgaben für innovative Arzneimittel hat der Sachverständigenrat Gesundheit in seinem am Donnerstag Bundesgesundheitsministerin Nina Warken übergebenen Gutachten weitreichende Empfehlungen für neue Regeln bei der Nutzenbewertung, insbesondere bei der Preisbildung, und beim Ausgabenmonitoring abgegeben. Zuletzt erreichte der Anteil der GKV-Ausgaben für Arzneimittel 17,3 Prozent, noch vor der ambulanten ärztlichen Behandlung mit 16,2 Prozent. Die Preise für Innovationen haben sich in den letzten 15 Jahren von durchschnittlich 1000 Euro auf zeitweilig (bei großen Schwankungen der letzten Jahre) bis zu 70.000 Euro erhöht. Der Rat betont den Nutzen dieser Innovationen bis hin zur Heilung von schweren Krankheiten, sieht aber einen zunehmenden Zielkonflikt mit einer dauerhaft gesicherten und für jedermann zugänglichen Versorgung. Es drohe eine „Überforderung des Systems“.

Im Einzelnen macht der Rat folgende Vorschläge:

  • Nutzenbewertung: Der Bundesausschuss sollte seine Praxis aufgeben, von einer einmal vorgegebenen zweckmäßigen Vergleichstherapie bei Vorliegen eines zwischenzeitlich eingetretenen Therapiefortschritts abzuweichen, sondern die zVT dessen ungeachtet beizubehalten.
  • Orphan Drugs: Deren Privileg, das bereits mit der Zulassung einen Zusatznutzen unterstellt, sollte abgeschafft werden; der Orphan-Status sollte vielmehr bei den Preisverhandlungen berücksichtigt werden.
  • Kosten-Nutzwert-Bewertungen: Statt des derzeit üblichen ausschließlichen Vergleichs zweier Arzneimittel (Innovation versus zVT) sollte routinemäßig zur einer Kosten-Nutzwert-Bewertung unter Verwendung einer indikationsübergreifenden Maßeinheit übergegangen werden. 
  • Einführungspreis: Der vom Unternehmen frei gesetzte Initialpreis sei zwar kein Kriterium bei Preisverhandlungen, habe aber psychologische Ankerwirkung. Der Rat empfiehlt, die Preisfreiheit der Unternehmen abzuschaffen und stattdessen einen extern festgesetzten Interimspreis festzusetzen; Differenzen zum später ausgehandelten Erstattungsbetrag sollen nachträglich ausgeglichen werden. 
  • Verhandlungsmacht: Während Hersteller die Möglichkeit haben, durch Opt-out-Entscheidungen einen Markt nicht zu beliefern, kann sich die GKV nach ergangenem Schiedsspruch nicht dagegen entscheiden, ein Arzneimittel in den Leistungskatalog aufzunehmen. Um dieser „Asymmetrie der Verhandlungsmacht“ entgegenzuwirken, soll es dem GKV-Spitzenverband ermöglicht werden, von den Preisverhandlungen zurückzutreten. Dabei sollen verfügbare Behandlungsalternativen berücksichtigt werden. Ferner schlägt der Rat wirkstoffübergreifende Ausschreibungen vor, wenn mehrere gleichwertige Arzneimittel auf dem Markt verfügbar sind. 
  • Gemeinsame Beschaffungsentscheidungen in der EU: Um die Verhandlungsmacht der Sozialversicherungen in Europa gegenüber den Herstellern zu stärken, sollen länderübergreifend EU-Verfahren zur gemeinsamen Beschaffung ausgewählter Arzneimittel entwickelt werden. In diesem Zusammenhang sollte die europäische Forschungsdateninfrastruktur weiter ausgebaut werden. 
  • Evidenzlücken: Der Rat stellt fest, dass etwa die Hälfte der Nutzenbewertungen keinen belegten Zusatznutzen anerkennen. Empfohlen wird daher, einerseits die Preise von Innovationen strikt an deren Zusatznutzen zu koppeln und andererseits durch regelmäßige Re-Evaluationen zur Evidenzgenerierung über den gesamten Produktlebenszyklus zu kommen. 
  • Budget für Arzneiausgaben: Um das Risiko einer unkontrolliertem Ausgabenentwicklung zu begrenzen, sollte nach dem Vorbild anderer Länder ein globales Arzneibudget für patentgeschützte und hochpreisige Arzneimittel geschaffen werden, das jährlich orientiert an Veränderungen des Sozialprodukts weiterentwickelt werden könnte. Bei Überschreiten sollten prospektiv festgesetzte Preisabschläge greifen. 
  • Monitoring der Preisentwicklung: Die sich derzeit „selbstverstärkende Preisspirale im AMNOG-System“ sollte dadurch abgeschwächt oder durchbrochen werden, indem ein systematisches Monitoring   der zVT-Preise und der darauf referenzierten Preise für Innovationen stattfindet – mit dem Ergebnis neuer Preisverhandlungen.   
  • Einmal-Therapien: Für solche Behandlungen, deren Wirksamkeit und Erfolg längerfristig ungewiss ist, werden erfolgsabhängige Vergütungsmodelle, etwa durch Pay-for-Performance-Verträge empfohlen.
  • Förderung des Pharmastandortes: Standort- und Investitionsentscheidungen der Industrie werden nach Auffassung des Rats wesentlich durch die Güte des biomedizinischen Forschungsstandortes, die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte, exzellenter Grundlagenforschung sowie Rahmenbedingungen für klinische Forschung beeinflusst. Es fehle aber überzeugende Evidenz, dass ein hohes Preisniveau zur Industrieansiedlung führt. Aus diesem Grund wird die im Medizinforschungsgesetz vorgesehene Koppelung des Preises an Standortentscheidungen für klinische Forschung abgelehnt.

Eine erste Reaktion des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa) fällt differenziert aus: So sei die strikte Orientierung der Preisbildung am Zusatznutzen und seiner Evidenzgüte schon nach geltendem Recht möglich. Ausdrücklich begrüßt wird die Empfehlung zu Pay-for-Performance-Verträgen. Die vorgeschlagene Einführung eines Gesamtbudgets für innovative Arzneimittel verlasse dagegen den Boden eines nutzenorientierten Systems und führe zu Rationierung. Auch die drastische Verschärfung des Umgangs mit Orphan Drugs könne die Versorgung in einem besonders sensiblen Bereich „massiv gefährden“.   

Verbändeappell an Ärztetag: GOÄ-Reform jetzt auf den Weg bringen!     

Wenige Tage vor dem Deutschen Ärztetag, der in der nächsten Woche auch grundsätzlich mit seinem Votum über eine Reform der ärztlichen Gebührenordnung entscheiden wird, haben die größten Ärzteverbände – der Berufsverband Deutscher Internisten, der Hartmannbund, der Hausärzteverband, der Virchowbund, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sowie der Spitzenverband ZNS – sich dafür ausgesprochen, der neuen GOÄ, so wie sie von der Bundesärztekammer und dem PKV-Verband ausgehandelt worden ist, zuzustimmen. Die neue GOÄ erkenne die Zuwendung zum Patienten in allen Fachgebieten an und führe insgesamt zu einer besseren Honorierung. Nach zwei Jahrzehnten der Beratungen und Diskussionen sei die Voraussetzung für eine Novellierung durch den Verordnungsgeber geschaffen. Ein Scheitern wäre ein „fatales Signal“ für die Zukunft des dualen Versorgungsystems. In dem vereinbarten und praktizierten Clearingverfahren bestehe die Möglichkeit von Korrekturen.

In den letzten Wochen hatten sich verstärkt und teils vehement rund 40 Berufsverbände und Fachgesellschaften – durchweg Vertreter der technischen Disziplinen – kritisch zu Wort gemeldet und dringend weitere Korrekturen bei den Bewertungen der für sie besonders relevanten Leistungen angemahnt. Sie befürchten offenbar gravierende Honorareinbußen, unter anderem im Labor und in der Radiologie. Zuletzt hatte sich dem auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft angeschlossen, weil Kliniken am Umsatz der von Krankenhausärzten generierten Privathonorare beteiligt sind. Bei der PKV existiert keine Bereitschaft, den Entwurf für eine novellierte GOÄ und ihre Bewertungen noch einmal grundlegend aufzumachen – ein ablehnender Beschluss des Ärztetages käme einem Scheitern des gesamten Reformprojekts gleich. 

Weitere Milliarden für GKV und Pflege aus dem Bundeshaushalt?

Offenbar einvernehmlich planen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil, kurzfristig weitere Milliardenbeträge aus dem Bundeshaushalt 2025, der noch erstellt und beschlossen werden muss, zu Eindämmung der Defizite und zur Vermeidung weiterer Beitragssatzsteigerungen zur Verfügung zu stellen. Für die GKV geht es dabei um die Finanzierung von Leistungen für Bezieher von Bürgergeld – insgesamt rund zehn Milliarden Euro –, für die Pflegeversicherung um die Finanzierzung von Lasten aus der Corona-Pandemie. Klingbeil sieht die beiden Sozialversicherungen in einer schwierigen Situation, die stabilisiert werden müsse. Langfristig seien grundlegende und mutige Strukturreformen notwendig. Dazu sollen rasch Kommissionen eingesetzt werden, sagte Warken. Man könne aber nicht auf deren Ergebnisse bis 2027 warten. 

Pandemieabkommen steht – Länder müssen ratifizieren

Nach schwierigen Verhandlungen, in denen gegensätzliche Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern ausgeglichen werden mussten, hat die Weltgesundheitsversammlung am Dienstag in Genf dem Pandemieabkommen zugestimmt. Damit der Vertrag in Kraft treten und Wirksamkeit entfalten kann, müssen mindestens 60 der insgesamt 194 Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation das Abkommen ratifizieren. Die wichtigsten Inhalte:

  • Die Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme und die Überwachung des Tierreichs so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt, früh bekämpft und eine Entwicklung zur Pandemie vermieden werden kann.
  • Lieferketten: Alle Länder sollen Zugang zu Schutzmaterialien, Medikamenten und Impfstoffen erhalten, dabei soll das Gesundheitspersonal vorrangig versorgt werden. Die WHO übernimmt dabei eine koordinierende Funktion. 
  • Pharmafirmen sollen ihr Know how teilen, damit auch in Ländern des globalen Südens Medikamente und Impfstoffe produziert werden können; dieser Punkt war besonders strittig.
  • DNA-Sequenzen von Pathogenen sollen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug stellen Unternehmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zu Verteilung in ärmeren Ländern zu Verfügung, darüber hinaus weitere zehn Prozent, die zu günstigen Preisen abgegeben werden.

Aufgrund des beschlossenen Austritts der USA aus der WHO fehlt das wichtigste und forschungsstärkste Industrieland der Welt bei diesem Abkommen und wird eine tiefe Lücke im Abwehrkampf gegen künftige Pandemien verursachen.

Unterdessen hat Deutschland beschlossen, der WHO weitere zehn Millionen Euro zur Auffüllung der gigantischen Haushaltslücke, die durch den Austritt der USA als dem größten Geberland entsteht, zur Verfügung zu stellen.

Personalie  

Dr. Tanja Machalet (SPD) wurde am Mittwoch in der konstituierenden Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestages unter der Leitung von Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow zu dessen Vorsitzender gewählt. Die aus dem Wahlkreis Montabaur in Rheinland-Pfalz stammende 51jährige Diplom-Volkswirtin gehört dem Bundestag seit 2021 an. In diesem Ausschuss sind auch zahlreiche Ärzte und andere Gesundheitsfachkräfte vertreten, darunter auch ein prominentes Gesicht wie der Virologe Professor Hendrik Streeck, der in Bonn erfolgreich für die CDU kandidiert hatte.