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Wirbelsäulen-Chirurgie: Thorakales Schmerzsyndrom und Rückgang bei Wirbelsäulen-OPs

"Das thorakale Schmerzsyndrom – interdisziplinäre Aspekte eines häufigen klinischen Problems", so war ein Symposium auf dem 135. Kongress der DGCH überschrieben. PD Dr. Matthias Pumberger sprach über Schwierigkeiten der zutreffenden Diagnose eines der häufigsten Vorstellungsgründe in der Rettungsstelle.

In der Wirbelsäulenchirurgie hat sich viel getan

"Das thorakale Schmerzsyndrom – interdisziplinäre Aspekte eines häufigen klinischen Problems", so war ein Symposium auf dem 135. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie überschrieben.

PD Dr. Matthias Pumberger vom Zentrum für Muskuloskeletale Chirurgie der Charité Berlin sprach über Schwierigkeiten der zutreffenden Diagnose eines der häufigsten Vorstellungsgründe in der Rettungsstelle. Ein weiteres Kongress-Thema des Wirbelsäulenspezialisten: die Häufigkeit der Wirbelsäulen-OPs.

Mit thorakalen Schmerzen bekommen es Internisten und Chirurgen gleichermaßen zu tun. Rückenschmerz ist nämlich der häufigste Vorstellungsgrund in der Rettungsstelle.Letztendlich suchen die Spezialisten dann jedes Mal die Nadel im Heuhaufen. Sie müssen jene Patienten identifizueren, die tatsächlich etwas haben und nicht einfach eine Interkostalneuralgie. Denn oft ist zu Beginn der Diagnostik überhaupt nicht klar, wohin die Reise gehen wird mit diesem konkreten Patienten. Das Problem kann quasi von jedem Organ ausgehen, welches im Thorax zu finden ist, erläutete Dr. Pumberger. Es kann also thorakal, gastrointestinal, kardial oder pulmonal bedingt sein. So stellt sich die Frage nach der Differenzialdiagnostik.

Dr. Pumberger stellte zur Verdeutlichung den Fall einer jungen Patientin dar. In der Differenzialdiagnostik ließen sich bereits einige Ursachen ausschließen. Es gab keine pulmonalen, kardialen und gastrointestinalen Ereignisse, auch kein Traumaereignis. Der Arzt stand vor der Frage: Ist das ein Fall für die Chest pain unit oder geht die Patientin wieder nach Hause? Doch plötzlich klagte die Patientin über einen pulsierenden Schmerz im Kieferbereich und über zunehmende Unruhe. Der Entlassungsbericht war bereits geschrieben, nun entschloss man sich doch, eine bildgebende Diagnostik zu achen. Es zeigte sich eine große Aortendissektion, beginnend den Aortenklappen. Dieser Verlauf illustriert, so Dr. Pumberger, dass mit derartigen allgemeinen Symptomen auch sehr gefährliche Fälle in die Rettungsstelle kommen. Das Problem sei: bei der Häufigkeit von thorakalen Schmerzen ist es unmöglich, immer gleich alle wichtigen Experten hinzuzuziehen. Das gleiche gilt für die Bildgebung. Ein wesentlicher Punkt ist deshalb die Interdisziplinarität der Rettungsstelle, auch wenn es schwierig ist, dass jede Fachdisziplin ständig einen Experten vorhält. Wichtig sei dennoch, dass jüngere Kollegen auf den Rat und die Expertise von Experten zurückgreifen können, um Katastrophen zu verhindern. Dr. Pumberger räumt ein, dass wegen der hohen Risiken oft überdiagnostiziert wird - und am Ende dann doch in vielen Fällen die Bildgebung steht. Entscheidend sei daher die klinische Erfahrung eines interdisziplinären Teams, um tatsächliche Gefahren zu erkennen.

Revolution in der Wirbelsäulenchirurgie

Der Wirbelsäulenspezialist Dr. Pumberger nahm auf einer Kongress-Pressenkonferenz auch Stellung zum umstrittenen Thema Wirbelsäulen-Operationen. Häufig wird Chirurgen vorgeworfen, sie würden zu viel operieren. Es zeige sich jetzt jedoch, dass die Zahl der Eingriffe rückläufig ist.
Das hat verschiedene Ursachen. Eine dramatische Weiterentwicklung der Wirbelsäulenchirurgie hatte zur Folge, dass altbewährte Konzepte durch neue Strategien ersetzt wurden. Beispielsweise wurde die Versteifungsoperation durch den standardisierten Einsatz von Pedikelschrauben und einer zusätzlichen intersomatischen Fusion revolutioniert.
Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass das Indikationsspektrum erweitert wurde. Vor allem wurde es im Bereich der degenerativen Erkrankungen ausgeweitet. Es wurde vermehrt wegen Abnutzungserscheinungen operiert. Das vor allem hat zur steigenden Zahl von Wirbelsäulen-Operationen geführt.
Doch gerade im degenerativen Bereich ist die Indikationsstellung schwierig. Ausschließlich Patienten mit spezifischem Rückenschmerz, bei denen ein pathologisches Korrelat ursächlich ist und bei denen konservative Therapien fehlgeschlagen sind, profitieren von der Operation.
Die Entwicklung der Wirbelsäulen-Chirurgie wird von den Fachgesellschaften kritisch überwacht, erklärte Dr. Pumberger. Die Frage ist: Wann sollte man tatsächlich operieren?

Die Wirbelsäulenchirurgie habe sich tatsächlich revolutioniert. Hier trifft das Kongressmotto des Chirurgie-Kongresses  hundertprozentig zu: Tradition, Innovation, Globalisierung. Mit den neuen Implantatsysteme kann man nicht nur OPs besser durchführen, sondern auch Patienten operieren, die man vorher gar nicht operieren konnte. Unter diesem schnellen Wandel gab es auch einige Fehlschläge, beispielsweise in der Bandscheibenprothetik. Heute weiß man aus 5- bis 10- Jahresdaten, dass sie kaum Vorteile gegenüber einer Fusionsoperation aufweist. Aufgrund der steigenden Zahlen ist die Wirbelsäulen-Operation in ein schlechtes Licht gerückt, sagte Dr. Pumberger. Er versucht, das Problem zu erklären. Der Wirbelsäulenchirurg unterscheidet verschiedene Bereiche. Bei der traumatologischen Verletzung der Wirbelsäule ist es relativ unstrittig, dass operiert wird, jedenfalls bei den frisch Verletzten. Bei den osteoporotischen Frakturen weiß man, dass man vieles gut konservativ therapieren kann. Zum zweiten Bereich gehören Entzündungen, der destruierende Bereich und Tumoren. Dieser Bereich wächst sehr. Da die Onkologie deutlich besser geworden ist und die Patienten länger leben. Da kann eine OP in der palliativen Situation zu einem Schmerznachlass führen. Der dritte Bereich ist der der Deformation. Dieser Bereich hält sich stabil. Und der vierte Block ist der, welcher am kritischsten gesehen wird: Die Degenerationen. Neue Daten vom Bundesamt für Statistik und der Bertelsmann-Stiftung zeigen, dass dieser Bereich weiterhin zugenommen hat. Neuerdings aber deutlich weniger als von 2007 bis 2011. Danach sind die Zahlen spürbar zurückgegangen. Allerdings gibt es erhebliche regionale Unterschiede. "Manche Bundesländer überoperieren Wirbelsäulen", sagte Dr. Pumberger, "vielleicht weil sie anders kodieren, weil dort große Zentren historisch gewachsen sind."

Was tut nun die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft? "Es geht ja immer darum, Qualität zu sichern." Das ist das einzige Kriterium, wie unnötige Operationen vermieden werden können. Zum einen gibt es strenge Zertifizierungsprozesse. "Das heißt, der Chirurg erwirbt ein Zertifikat in einem sehr strengen Prozess. Das Exzellenzzertifikat haben in Deutschland derzeit 21 Chirurgen."

Auch die Wirbelsäulenzentren durchlaufen einen Zertifizierungsprozess. Aktuell haben 11 Kliniken das Level 1 für Wirbelsäulenoperationen. Darüber hinaus gibt es das Wirbelsäulenregister, in welches jeder, der sich zertifizieren lassen möchte, alle Operationen und Komplikationen einträgt. Das alles setze klare Standards. Hinzu kommt ein Zweitmeinungsportal, das mehr Klarheit schafft bei der Frage: OP – ja oder nein? "Und natürlich werden auch Mindestmengen diskutiert," erklärt Dr. Pumberger. "Damit möchte die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft ein überregionales Versorgungsprinzip erstellen, sodass bestimmte Operationen nur noch in Level-1-Kliniken vorgenommen werden."

Quelle:
Dr. Pumberger auf dem 135. Chirurgie-Kongress, 18.4. 2018, Symposium "Das thorakale Schmerzsyndrom – interdisziplinäre Aspekte einen häufigen klinischen Problems" und PK am 18.4. 2018