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“Wir brauchen eine bundesweit einheitliche Studienplatzvergabe”

Myriam W. Heilani, stellvertretende Bundeskoordinatorin für Medizinische Ausbildung bei der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd), fordert im esanum-Interview eine fac

Myriam W. Heilani, stellvertretende Bundeskoordinatorin für Medizinische Ausbildung bei der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd), fordert im esanum-Interview eine fachorientierte Studienplatzvergabe sowie ein Kerncurriculum. Spezielle Anreize für “Landärzte” lehnt sie ab.

esanum:  Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem “Masterplan Medizinstudium 2020”. Warum ist dieser notwendig? Was muss sich am Medizinstudium ändern?

Heilani: Der im Koalitionsvertrag festgeschriebene “Masterplan Medizinstudium 2020” soll Maßnahmen für eine zielgerichtetere Auswahl der Studienplatzbewerber beinhalten sowie zu einer größeren Praxisnähe und Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium führen. Befeuert wird die Debatte um die Umstrukturierung des Medizinstudiums durch die drohende medizinische Unterversorgung der ländlichen Bevölkerung in Deutschland – Stichwort Ärztemangel.

Wir befürworten eine stärkere Verzahnung von vorklinischen und klinischen Studieninhalten, sowie die longitudinale Einbindung der Fächer in die Curricula. Dabei sollte eine Überladung des Studiums mit zu speziellem Wissen vermieden werden. Wenn wir nicht mehr versuchen, das sich kontinuierlich potenzierende medizinische Fachwissen in das Studium zu integrieren, an das sich in aller Regel eine Weiterbildung zum Facharzt anschließt, erhalten die Studierenden mehr Raum für individuelle Schwerpunkte.

Stattdessen sollte auf ein Kerncurriculum gesetzt werden, dass die Absolvierenden dazu befähigt, nach dem Studium eine evidenzbasierte, patientenzentrierte und individualisierte Therapie zu veranlassen. Dazu muss er während seines Studiums wissenschaftliche Kompetenzen erwerben, die es ihm ermöglichen, wissenschaftliche Studien und Quellen hinsichtlich ihrer Validität bewerten und einordnen zu können.

Wir als bvmd erkennen die Notwendigkeit einer Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium an. Die allgemeinmedizinische Lehre sollte vor allem qualitativ verbessert werden, beispielsweise mit einer longitudinalen Einbindung des Fachs in das Curriculum und der flächendeckenden Einführung von allgemeinmedizinischen Lehrstühlen an den Fakultäten. Ohne Lehrstuhl fehlt die nötige Repräsentanz des Fachs und darunter leidet die Wahrnehmung des Fachs Allgemeinmedizin.

esanum:  Die Auswahl von Medizinstudenten ist derzeit stark noten- und wartezeitbasiert. Weshalb werden in Auswahlprozessen nicht stärker psychosoziale Kompetenzen und Persönlichkeitsprofile berücksichtigt?

Heilani: Es ist tatsächlich so, dass durch das derzeitige Auswahlverfahren zum Medizinstudium mit einer starken Gewichtung der Abiturnote und immerhin 20 Prozent der Vergabe der Plätze nach Wartezeit die individuelle Persönlichkeit zu kurz kommt.

Das aktuelle Auswahlverfahren vernachlässigt Eigenschaften wie empathisches Einfühlungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein. Diese lassen sich nur schwer messen und können darüber hinaus bei den immer jünger werdenden Studienplatzbewerbern noch nicht in voller Ausprägung erwartet werden. In der langen Zeitspanne zwischen Antritt des Studiums und ärztlicher Tätigkeit reifen zudem viele Kandidaten in ihrer Persönlichkeit.

Deshalb fordert die bvmd eine ständige Evaluation und Weiterentwicklung des Auswahlverfahrens, das transparent und bundesweit einheitlich sein muss. Eine “Landarztquote”, welche einen Teil der Studienplätze speziell für Bewerber vorsieht, die sich noch vor Beginn des Studiums verpflichten, nach Abschluss des Studiums für eine gewisse Zeit in ländlichen Regionen zu arbeiten, lehnen wir ab. Von einer freien Studien- und Berufswahl könnte dann keine Rede mehr sein.

Stattdessen fordert die bvmd fachspezifische Studierfähigkeitstests, die zielgerichtet Bewerber nach u.a. wissenschaftlichen Kompetenzen auswählt und in die neben einer Berufsausbildung in einem relevanten Bereich die Abiturnote in ein Ranking der Studienplatzbewerber einfließt. Auf diese Art wird sichergestellt, dass auch Bewerber mit einer schlechteren Abiturnote, dafür aber mit gutem Studierfähigkeitstest eine adäquate Chance auf einen Studienplatz haben. Wartezeit- und Abiturbestenquote wollen wir abschaffen.

esanum:  Die hohe Anzahl abgelehnter Bewerber um einen Studienplatz führt dazu, dass zahlreiche Studenten im Ausland studieren und dort auch arbeiten. Verliert nicht Deutschland dadurch enorme medizinische Kompetenz?

Heilani: Rein quantitativ gesehen bedeutet die “Abwanderung” von abgelehnten Bewerbern ins Ausland keinen Verlust medizinischer Kompetenz. Die Zahl der Studienplätze ist nun einmal begrenzt, es muss demnach zwangsläufig zu einer Auswahl kommen, weswegen sich der Traum vom Medizinstudium nicht für alle erfüllen kann.

Bei inzwischen 4,8 Bewerbern auf einen einzelnen Studienplatz rückt umso stärker die Notwendigkeit einer zielgerichteten Auswahl der Studienplatzbewerber in den Vordergrund, die in der Lage ist, die vielversprechendsten Kandidaten aus der Masse der Bewerber auszuwählen. In der Diskussion um den “Ärztemangel” ist aber aus Sicht der Studierenden Vorsicht geboten: In Deutschland gibt es weniger einen absoluten Ärztemangel, als vielmehr ein Verteilungsproblem der vorhandenen Ärzte, das durch mangelnde Attraktivität des Berufsbilds ‘Landarzt’ genährt wird. Eine schlichte Vermehrung der Studienplätze würde auch nicht mehr Ärzte aufs Land locken.

esanum:  Die Bewerberzahlen für Medical Schools sind enorm. Die Medical School ist Nürnberg ist ein Beispiel. Ist ein Studium an einer Medical School eine geeignete Alternative zu einer Universität?

Heilani: Schon 2013 äußerte die bvmd in ihrem Positionspapier “Auslandskooperationen deutscher Krankenhäuser” handfeste Bedenken an den privaten Medical Schools in Deutschland. Ganz allgemein zielt eine Privatisierung im Rahmen der Medical Schools stets auf eine Ökonomisierung ab, sowie auf eine Zufriedenstellung der Kunden – hier der Studenten – hinter denen begüterte Eltern stehen, die bereit sind horrende Studiengebühren von oftmals über 10.000 Euro pro Studienjahr zu zahlen. In den Augen der bvmd führt die Möglichkeit, ein Medizinstudium unter Umgehung des hiesigen Auswahlverfahrens, aber dafür mit dem nötigen Kleingeld aufnehmen zu können, zu einer nicht hinnehmbaren sozialen Selektion der Studierwilligen.

Der Fall der Medical School in Nürnberg ist insofern ein Novum, als dass kein Universitätsklinikum an der Ausbildung beteiligt ist, also auch keine deutsche Universität. Immatrikulierte studieren nach dem österreichischen Curriculum und erhalten einen österreichischen Abschluss, mit dem sie nach EU-Recht europaweit praktizieren dürfen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob sich Qualitätsstandards in Medical Schools tatsächlich auf dem Niveau deutscher Universitäten befinden.

esanum:  Immer wieder ist vom Ärztemangel in ländlichen Regionen die Rede. Umfragen zeigen, dass Ärzte eine ausgeglichene Work-Life-Balance höher einschätzen als früher. Warum wollen junge Ärzte nicht mehr aufs Land? Wie kann das Studium zum Eröffnen einer Landarztpraxis motivieren?

Heilani: Die Gründe für die mangelnde Attraktivität der Landarzttätigkeit reichen von schlechteren Job- und Ausbildungsaussichten, über mangelnde kulturelle Angebote zu fehlenden Karrieremöglichkeiten. Zahlreiche Studenten fürchten eine von Arbeitskollegen abgeschnittene, dem Einzelkämpfertum anmutende Tätigkeit. Dabei stehen gerade das Arbeiten im Team, sowie geregelte Arbeitszeiten bei den Studenten von heute hoch im Kurs. Mediziner fordern heute eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei einem Prozentsatz von weiblichen Studierenden von mittlerweile 63 Prozent ist sowieso klar, dass familien- und frauenfreundliche Arbeitsbedingungen Standard sein müssen.

Hauptursache der Unattraktivität einer Landarzttätigkeit ist also nicht wie von den entsprechenden Verbänden postuliert, das Desinteresse der Studenten an einer hausärztlichen Tätigkeit an sich. Laut einer bundesweiten Umfrage der Universität Trier (Berufsmonitoring Medizinstudenten 2014), an der 13,5 Prozent aller Medizinstudierenden teilnahmen, belegte die Allgemeinmedizin den zweiten Platz in der Frage, welche Facharztrichtung für sie infrage käme. Es gibt also durchaus genügend Studenten, die sich eine Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin vorstellen können. Diese Studierende sollten speziell gefördert und für eine Tätigkeit auf dem Land motiviert werden – zum Beispiel durch entsprechende Stipendienprogramme, Förderung und Organisation von Famulaturen auf dem Land und ähnlichen Anreizen. Es kann kein adäquater Weg sein, Studierende während ihres Studiums ihrer ohnehin schon stark eingeschränkten Wahlmöglichkeiten im Studium zu berauben und sie beispielsweise zu einem Pflichtquartal in der Allgemeinmedizin zu zwingen.