*Hinweis vom 1.11.2022: Dr. Caroline Werkmeister, ärztliche Leiterin und Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie am UKE Hamburg, ist keine Mannschaftsärztin mehr, betreut teilweise allerdings immer noch Profisportler.
Als sie den rund 30 Spielern des HSV (Hamburger Sportverein) als neue Team-Ärztin vorgestellt wurde, musste Caroline Werkmeister das Ritual aller Neulinge durchmachen: Singen vor versammelter Mannschaft. Die junge Frau mit den bernsteinfarbenen Augen und den dicken braunen Locken sang tapfer: "Und ich flieg, flieg, flieg wie ein Flieger, bin so stark, stark, stark wie ein Tiger…" Die Jungs waren nett und klatschten mit.
"Stark wie ein Tiger!" – da scheint etwas dran zu sein, denn der Auftritt vor der Bundesliga-Mannschaft war nicht ihr erster mutiger Coup auf ihrem bisherigen Karriereweg. Sie hatte schon fünf Jahre im OP-Saal der Chirurgie im Hamburger Unfall-Krankenhaus gestanden, als sie beim Frühstück die Anzeige las: …Uniklinik Hamburg sucht eine Internistin für das neu gegründete Athleticum, dem Kompetenzzentrum für Sport- und Bewegungsmedizin… Schade, dachte sie wie elektrisiert, warum suchen die keine Orthopädin? Das wäre mein Traumjob! Sie bewarb sich trotzdem, überzeugte beim Vorstellungsgespräch, dass es keine Internistin, sondern eine Orthopädin, Sportmedizinerin und Fuß-Chirurgin war, die sie dort jetzt brauchten. Genau sie: Tochter argentinischer Eltern, an der Nordsee geboren und aufgewachsen, studiert und promoviert in Heidelberg, hart erprobt im Schichtdienst der knallharten Notfall-Medizin.
Ein halbes Jahr später bekam ihr Chef überraschend ein Angebot, das er nicht ablehnen wollte. Und er sagte: "Caroline, du bist gut, du trittst meine Nachfolge an." "Klar habe ich eine Nacht drüber geschlafen und zwei Tage mit meinem Freund diskutiert", erzählt die Frau im makellosen Chefarzt-Weiß lächelnd. Aber eigentlich wusste sie schnell, dass sie es machen würde. "Die Fachkenntnis, die bringe ich mit", dachte sie. "Also kann ich das." Aber was war mit Menschenführung?
Es gab nur eine Antwort: Probieren! Ihr Freund ist Personaler, er bestärkte sie: "Das schaffst du!" Und Caroline Werkmeister erinnerte sich an den schönen Spruch: Wenn du auf die Nase fällst, dann: Krönchen richten und weitermachen.
Klar war: Chefärztin, das hieß nicht nur, ein junges, hochmotiviertes Team von 18 Kolleginnen zu führen, das hieß zugleich: Mannschaftsärztin beim HSV. Der damalige Trainer Mirko Slomka sagte: "Dass du eine Frau bist, ist mir egal. Mich interessiert: Kannst du das?" Es ist natürlich nicht egal, dass sie eine Frau ist. Respekt und Autorität sind in einer Männerdomäne keine Geschenke – schon gar nicht, wenn man jung, weiblich und auch noch hübsch ist. "Entweder sie trainieren – oder sie sind nackt", erklärt die Ärztin trocken. "Zu Anfang haben manche auch gelauert: wird sie rot, wenn ich aus der Dusche komme? Sie sind ja alle viel jünger als ich."
Sieben Monate war sie täglich bei der Mannschaft, sechs Tage die Woche. Inzwischen macht die Arbeit vor Ort ihr Kollege Götz Welsch, mit dem sie seit einigen Monaten eine Doppelspitze am Athleticum bildet. Sie sah jedes Training, fuhr zu jedem Spiel mit, hatte ihren Platz im Mannschaftsbus, stand vor dem Auflaufen mit im legendären Tunnel, wo die Jungs das Summen und Dröhnen des Stadions hören und der Adrenalin-Spiegel ins Unermessliche steigt. Sie sah sie in der Halbzeit, "wenn sie echt geschreddert in die Kabine kamen", war bei der "Pflege" dabei, wenn sie nach dem täglichen Training massiert wurden. Sie machte die so genannten Einkaufsuntersuchungen genauso wie die Reha-Pläne für Verletzte. Und empfahl individuelle Trainingsschwerpunkte, um die körperliche und mentale Fitness jedes Einzelnen zu erhalten und zu erhöhen. Ihr Fazit: "Ich habe sehr, sehr große Hochachtung vor denen. Die Jungs sind superlieb und ungeheuer professionell." Klar kommen die schon mal mit dem Maserati beim Athleticum vorgefahren. Und ihre Frauen sind oft puppenhübsch. "Na und? Die machen einen sehr harten Job, wohnen, sogar wenn sie in Hamburg sind, die Woche über im Mannschaftshotel, ihr Tag ist auf zehn Minuten genau getaktet. Der Strafenkatalog ist lang – 200 Euro zum Beispiel, wenn das Handy beim Mittagessen klingelt. Sie kommen aus aller Welt, oft ganz allein, manche sprechen vier Sprachen, wechseln alle paar Jahre die Mannschaft und ihr Zuhause." Hochleistungsfußballer sind diszipliniert, willensstark, leistungsorientiert – und da treffen sich offenbar die Spieler-Qualitäten mit den Stärken ihrer Ärztin.
Die Frage ehemaliger Kommilitonen: "Wie bist du denn an den Job gekommen?" könnte damit schon fast beantwortet sein. Aber Caroline Werkmeister will gar nicht alle Lorbeeren für sich allein: "Man braucht auch jemanden, der an einen glaubt," sagt sie ehrlich. Das war ihr Doktorvater an der Uni Heidelberg, das war der Chef in der Unfall-Klinik Hamburg, das ist heute der ärztliche Direktor des UKE. Dass da immer wieder jemand an sie glaubt, das ist natürlich mehr als Glück. Das verdankt sie sicherlich ihrem handwerklichen Geschick als Chirurgin, ihrem Fachwissen, ihrer Flexibilität, ihrer Belastbarkeit und der Lust, sich ständig weiterzubilden. Ein Händchen für Networking hat auch nicht geschadet: Gerade erhielt das Athleticum des UKE den Zuschlag als lizenziertes Untersuchungszentrum für Berufs- und Spitzensportler vom Deutschen Olympischen Sportbund. Das heißt nicht nur mehr Prestige, das heißt auch: Neues erfahren, lernen, ausprobieren. Bei der Chefärztin weckt das nichts als Begeisterung und Vorfreude: "Arzt ist ein lebenslanger Lernberuf."
Beim Abschied führt sie die Besucherin stolz durch die Räume des Athleticums: Untersuchungszimmer, Trainingsräume, modern, hell, edle, gedämpfte Töne, alles sehr einladend. In der Lobby ein großes Foto der HSV-Mannschaft, links unten, zweite Reihe: Frau Dr. Werkmeister im roten Mannschaftstrikot. Mit einem umwerfenden Lächeln sagt sie: "Ich arbeite jetzt so viele Stunden wie nie vorher – aber ich habe den schönsten Beruf der Welt!" Eine Nebenwirkung ihrer Berufung als Mannschaftsärztin war übrigens: Der Heiratsantrag ihres Lebensgefährten nach zwei gemeinsamen Jahren. Jetzt wollte er doch ganz gern klare Verhältnisse schaffen.
Das Gespräch führte Vera Sandberg.
Vera Sandberg, geboren 1952 in Berlin, absolvierte ihr Journalistik-Studium in Leipzig und war 12 Jahre lang Redakteurin einer Tageszeitung in Ost-Berlin. Im Juni 1989 wurde ihr die Ausreise bewilligt, seit 1990 ist sie Autorin für verschiedene Publikationen, Journalistin für medizinische Themen und hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt “Krebs. Und alles ist anders”. Vera Sandberg ist Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern und lebt seit 2000 bei Berlin.