Schon seit langem wird befürchtet: Wer sich mit sogenannter PrEP vor HIV schützt, verwendet seltener Kondome und hat in der Folge ein höheres Risiko für andere sexuell übertragbare Krankheiten. Eine Studie liefert hierzu Zahlen.
Wer Vorbeugemaßnahmen gegen die Infektion mit dem HI-Virus nutzt, kann einer Studie zufolge ein hohes Risiko haben, an einer anderen sexuell übertragbaren Krankheit zu erkranken. Ärzte diagnostizierten bei fast drei Vierteln der Patienten, die eine Prä-Expositionsprophylaxe gegen HIV (PrEP) nutzten, innerhalb des ersten Jahres Tripper, Chlamydien oder Syphilis, berichteten Forscher um Jason Ong von der London School of Hygiene and Tropical Medicine in London im Fachmagazin "JAMA Network Open".
Schon seit Langem gibt es unter Fachleuten die Befürchtung, dass die "Impfung gegen Aids" dazu führt, dass seltener Kondome verwendet werden und so die Gefahr der Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten steigt. Die Wissenschaftler um Ong, darunter Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hatten 88 Untersuchungen von fünf Kontinenten zur Nutzung von PrEP und deren medizinische Begleitung ausgewertet. PrEP ist eine Medikamentenkombination, die wirkungsvoll vor einer Infektion mit HIV schützt. Die Voraussetzung ist, dass die PatentInnen keinen HI-Virus in sich tragen.
Während bei der Eingangsuntersuchung zu PrEP bei 23,9% der PatientInnen Tripper, Chlamydien oder Syphilis diagnostiziert wurden, lag die Anzahl der Erkrankungen innerhalb des ersten Jahres der Nutzung von PrEP bei 72,2. Die erste Zahl gebe an, wie viele der Teilnehmer aktuell eine Geschlechtskrankheit (STI) hatten, die zweite besage, bei welchem Wert dieser Anteil im Zeitraum eines Jahres lag. Damit seien die Daten nicht vergleichbar und es lasse sich nicht ableiten, dass durch PrEP ein Anstieg hervorgerufen wurde, gab die Deutsche Aidshilfe zu bedenken. "Ob oder wie stark Menschen vom Kondom auf PrEP umgestiegen sind und damit ein höheres STI-Risiko hatten, lässt sich aus dieser Studie nicht ablesen."
Für Armin Schafberger von der Deutschen Aidshilfe in Berlin sind die Daten der Studie nicht überraschend. Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Studie Art und Umfang der medizinischen Untersuchungen und Diagnosen nicht berücksichtige. Dies zeige sich beispielsweise darin, dass Tripper, Chlamydien und Syphilis in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen viel häufiger nachgewiesen wurden als in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Durchschnittseinkommen. "Wenn man genauer hinsieht, findet man auch mehr", betonte Schafberger, weil auch diejenigen auf die Krankheiten untersucht werden, die keine Symptome haben.
Ähnliche Studien, wenn auch mit weniger Daten, mit ähnlichen Ergebnissen habe es bereits gegeben, so Schafberger. Er habe sich von der aktuellen Analyse eigentlich erhofft, dass die Daten genutzt würden, um klare Empfehlungen für die medizinische Begleitung zu PrEP zu geben. So bleibe unklar, ob die Bekämpfung der Infektionen ohne Symptome mit Antibiotika den Patienten mehr nutzt oder mehr schadet, etwa, weil die häufige Anwendung von Antibiotika zu Resistenzen führen kann.
Schafberger sieht in den hohen Diagnosezahlen auch etwas Positives: "Sie zeigen, dass man über die PrEP-Behandlung tatsächlich die Gruppen erreicht, die ein großes Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten haben." Dies sei eine gute Chance für vorbeugende Maßnahmen. Denn während der PrEP-Behandlung müssen sich die PatientInnen alle drei Monate auf HIV untersuchen lassen. Die deutsch-österreichischen PrEP-Leitlinien empfehlen außerdem Untersuchungen auf Hepatitis C (alle sechs bis zwölf Monate), Syphilis (alle drei Monate), Tripper (alle drei bis sechs Monate) und Chlamydien (alle drei bis sechs Monate).
Dass sexuell übertragbare Krankheiten auch hierzulande nicht zu vernachlässigen sind, zeigen die vor wenigen Tagen veröffentlichten Zahlen des Robert Koch-Instituts: 2018 lagen in Deutschland die Syphilis-Neuerkrankungen bei 7.232 Fällen und damit auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Vorjahr. Das Ansteckungsrisiko ist in den Bundesländern unterschiedlich: In Berlin gab es 32,5 Fälle pro 100.000 Einwohnern, in Thüringen nur 4,3. Der Bundesschnitt lag bei 8,8 Betroffenen pro 100.000 Einwohner.