Die Zahlen sind mittlerweile eindeutig: Männer sterben häufiger an der Coronavirus-Erkrankung. Aber warum? Forschungsteams gehen verschiedenen Vermutungen nach.
Männer haben bei der Coronavirus-Erkrankung eine schlechtere Prognose als Frauen. Sie erkranken oft schwerer an COVID-19 und sterben häufiger. Was anfangs ein Phänomen aus China mit seiner hohen Zahl rauchender Männer zu sein schien, bestätigt sich nun weltweit. Daten der Forschungsinitiative Global Health 50/50 aus mehr als 20 Ländern zeigen, dass Frauen sich zwar ähnlich häufig infizieren wie Männer. Bei den Sterberaten liegt die Verteilung jedoch etwa bei einem Drittel zu zwei Dritteln.
"Wir sehen das auch hier in Deutschland. Wir haben sehr viele männliche Patienten", sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiologie an der München Klinik Schwabing, der im Februar die allerersten Corona-Patienten in Deutschland behandelt hatte. Und auch Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) sagt: "Es sind definitiv mehr Männer betroffen".
Nach dem Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 21. Juni starben quer durch alle Altersgruppen bis hin zu den 70- bis 79-Jährigen jeweils mindestens doppelt so viele Männer wie Frauen. Erst danach gleicht sich das Verhältnis zunächst an und kehrt sich ab der Altersgruppe der 90- bis 99-Jährigen um, möglicherweise aber deshalb, weil es mehr hochbetagte Frauen als Männer gibt. Zu den Gründen heißt es beim Beim RKI nur, es geben viele offene Fragen. Es werde noch dauern, bis eine belastbare Bewertung möglich sei.
Eine Vermutung: Der oft ungesündere Lebensstil von Männern. Gerade Männer der älteren Generation, in der weniger auf Ernährung und Lebensweise geachtet wurde, könnten mehr an Vorerkrankungen leiden. Denkbar sei auch, dass Männer sich einfach später in ärztliche Behandlung begeben - und deshalb Krankheiten länger verschleppen. Vor allem im Gespräch ist aber der ACE2-Rezeptor, über den das Sars-CoV-2-Virus in die Lunge eindringen kann - er kommt einer Studie zufolge bei Männern in höherer Konzentration vor. Das Team des University Medical Center Groningen hatte den Zusammenhang zwischen ACE2 und chronischer Herzinsuffizienz untersucht und dabei den Geschlechtsunterschied festgestellt. Der Grund für die höhere Konzentration von ACE2 bei Männern sei nicht bekannt, schreiben die Forschenden im "European Heart Journal".
Das Enzym, das in Lunge, Niere, Blutgefäßen, Herz und Magen-Darm-Trakt in Erscheinung tritt, gilt als Eintrittspforte für Coronaviren - bei einfachen Erkältungen wie auch bei den durch Coronaviren ausgelösten Krankheiten COVID-19, Sars und Mers. Auch bei Mers seien Männer stärker betroffen gewesen, sagt Bernhard Zwißler, Direktor der Klinik für Anästhesiologie am LMU Klinikum. Es werde gerade untersucht, ob die Gabe von ACE-Hemmern als Blutdrucksenker dazu führe, dass Zellen vermehrt den ACE2-Rezeptor bilden und dadurch anfälliger sind für eine Infektion. Denkbar sei das durchaus, bewiesen sei es aber bislang nicht.
Herzkreislauferkrankungen sind ohnehin ein Risikofaktor für COVID-19 - und Männer sind davon stärker betroffen als Frauen. "Global gesehen ist es so, dass Männer häufiger an Herzkreislauferkrankungen sterben. Aber ob das der Schlüssel ist, wissen wir nicht", erläutert Spinner. Auch er sieht in der unterschiedlichen Regulation des ACE2-Rezeptors eine mögliche Erklärung, mahnt aber gleichfalls bei Interpretationen der bisherigen Erkenntnisse zu Vorsicht.
Manche Fachleute sehen als Faktoren für die unterschiedlichen Verläufe auch das weibliche Hormon Östrogen mit seinem schützenden Wirkmechanismus oder das stärkere Immunsystem von Frauen - ohne dass es hier eindeutige Belege gibt. Dass das Immunsystem von Frauen auf Virus-Infektionen grundsätzlich schneller und stärker reagiert als das von Männern, zeigt sich laut VirologInnen auch bei anderen Virus-Erkrankungen, etwa bei der Grippe, bei Sars und bei Mers. Oder bei einfachen Erkältungen - Witzeleien über den "Männer-Schnupfen" scheinen einen wahren Kern zu enthalten. Dafür erleiden Frauen häufiger Auto-Immunerkrankungen, bei denen das Immunsystem überschießt und eigene Zellen angreift - eine mögliche Komplikation auch bei COVID-19.
Unzählige Studien laufen derzeit weltweit zu COVID-19, auch zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden. Die MedizinerInnen hoffen, dass auch die Klärung dieser Frage neue Wege zur Behandlung eröffnet.