Jedes Jahr werden in Deutschland 1.000 bis 2.000 "Rheumakinder" erwachsen. Wo liegen die Unterschiede zwischen Rheuma bei Kindern und Rheuma bei Erwachsenen? Und welche Probleme gibt es beim Übergang von der pädiatrischen zur Erwachsenen-Rheumatologie? Diesen Fragen widmete sich ein Workshop auf dem diesjährigen TNFα-Forum.
Rheuma bei Kindern ist anders
Rheumaerkrankungen bei Kindern sind komplex und treten in vielen verschiedenen Ausprägungen auf, die es bei Erwachsenen so nicht mehr gibt. Die häufigste Form ist die juvenile idiopathische Arthritis, erläuterte Prof. Dr. Gerd Horneff von der Asklepios-Kinderklinik Sankt Augustin.
Zu ihren Merkmalen zählen ein sehr variables Beschwerdebild, oft subjektiv geringere Krankheitslast als bei Erwachsenen, Wachstumsstörungen, spezielle Probleme bei Kiefer- und HWS-Gelenken sowie Augenbeteiligungen. Nur 3 % der Patienten weisen Rheumafaktoren auf, sehr selten CCP-Antikörper, dafür findet man bei der Hälfte antinukleare Antikörper. Mit Ausnahme des Still-Syndroms fehlen häufig auch die Entzündungszeichen.
In der Kinderrheumatologie stellt sich auch die Häufigkeit der Kategorien anders dar als bei Erwachsenen:
Bei Jugendlichen ab 15 Jahren verschieben sich die Zahlen etwas. Die Oligoarthritis geht zurück auf 35 %, die RF-Polyarthritis steigt auf 22 %, ebenso die Enthesitis-assoziierte Arthritis.
Die beste Prognose hat die Oligoarthritis; dennoch leiden nach zehn Jahren – also bereits im Erwachsenenalter – noch 40 bis 60 % an einer aktiven Erkrankung. Bei der Enthesitis-assoziierten Arthritis ist es ungefähr die Hälfte und bei der RF-negativen Polyarthritis sind es sogar drei Viertel der Patienten, die nach zehn Jahren noch therapiert werden müssen.
Die Medikation ist schwierig, da viele Arzneimittel für Kinder nicht ausreichend geprüft sind.
Zugelassen sind die konventionellen DMARDs: MTX, Leflunomid, Sulfasalazin und Hydroxychlorochin. Von den biologischen DMARDs sind Etanercept, Adalimumab und Canakinumab ab 2 Jahren zugelassen, Golimumab ab einem Körpergewicht von 40 kg und Abatacept ab 6 Jahren.
Um die 40 % der Kinder und Jugendlichen erhalten MTX, um die 30 % Biologika. "Das sind sehr viel mehr als bei den Erwachsenen, weil die Kinderrheumatologen das Therapieziel Remission erreichen wollen. Von 1.000 Patienten gelingt das immerhin bei 600", betonte Horneff.
Teenager sind schwierig – erst recht solche mit Rheuma
Der Kinderrheumatologe, die jungen Patienten und die Eltern sind oft ein gut eingespieltes Team. Welche Probleme beim Wechsel zum Erwachsenen-Rheumatologen auftreten, schilderte Dr. Susanne Schalm von der Kinderklinik der LMU-München.
"Wir sprechen von Patienten zwischen 16 und 24 Jahren. Und die beschäftigen sich mit Themen, die wir bei Erwachsenen als geklärt voraussetzen. Diese Altersgruppe steht zwischen Schule, Ausbildung und Beruf, zwischen Abhängigkeit von den Eltern und dem Bestreben nach Unabhängigkeit, zwischen dem Leben in der Familie und dem Leben in der Gesellschaft. Die Jugendlichen haben Konflikte mit den Eltern, sie wollen sich ablösen, ihre eigene Identität finden. Sie haben Probleme mit ihrem Aussehen, der Sexualität, der Partnerschaft und neigen zu Risikoverhalten. Sie leiden häufig unter Depressionen oder Angstzuständen und sie haben wenig Erfahrung mit ihrem Krankheitsmanagement".
Die jungen Erwachsenen stecken zudem mitten in einem großen neurologischen Entwicklungsprozess (z. B. in Bezug auf den präfrontalen Lappen), der sie unberechenbar und weniger leicht beeinflussbar gegenüber medizinischem Rat macht. Wichtiger als Eltern oder Ärzte sind ihnen die Peer-Groups.
Das alles muss bei der Behandlung der jungen Rheumatiker berücksichtigt werden. Doch viele sind mit der erlebten Form des Übergangs nicht zufrieden und hätten sich eine bessere Vorbereitung auf den Betreuungswechsel gewünscht. Das zeigt die prospektive Befragung "Fokus Transition", die von der Deutschen Rheuma-Liga gefördert und vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum durchgeführt wurde. (1) Dabei wurden knapp 250 Patienten über drei Jahre nach dem Wechsel zur Erwachsenenmedizin befragt.
Die Hälfte der jungen Rheumatiker bricht die Behandlung ab
Fast die Hälfte der jungen Rheumatiker brach in der Phase des Übergangs die regelmäßige fachspezifische Versorgung ab. Die Gründe? Die meisten sahen die Notwendigkeit dazu nicht ein, einige gingen lieber zum Hausarzt und andere hatten keine Zeit oder lehnten eine medikamentöse Therapie ab. Der Hauptgrund aber, der hinter diesen Aussagen steckt, ist die Unzufriedenheit mit der Versorgungssituation in der Erwachsenen-Rheumatologie: Die langen Wartezeiten auf einen Termin, die kurzen Konsultationszeiten beim Arzt und das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.
"Die Jugendlichen müssen mehr über ihre Krankheit wissen, sie müssen Selbstmanagement lernen, z. B. um Termine selbst auszumachen, und sie müssen verstehen, warum es so wichtig ist, Medikamente zu nehmen. Und wir als Rheumatologen sollten erkennen, dass Teenager anders sind und dass wir sie nachsichtiger behandeln müssen", mahnte Schalm. Wichtig ist das direkte Gespräch mit dem Patienten selbst. Nur beim ersten Termin sollten die Eltern dabei sein, damit man entscheidende Informationen über den Krankheitsverlauf bekommt.
Neue Standards für die Transition hat kürzlich die EULAR herausgegebe (2). Danach gilt grundsätzlich, dass jeder junge Rheumatiker Anspruch hat auf einen qualifizierten Übergang. Er sollte so früh wie möglich gestartet werden und nicht erst vor dem 18. Geburtstag. Außerdem wird gefordert, dass die Transition gut dokumentiert wird und dass die beteiligten pädiatrischen und Erwachsenen-Rheumatologen sich in direkter Kommunikation miteinander verständigen. In Deutschland, so Schalm, gibt es nur 30 Einrichtungen mit schriftlich geregelter Transition. Lediglich jede vierte Kinderrheumatologie bietet gemeinsam mit Erwachsenenrheumatologen eine Übergangssprechstunde an.
Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie hat übergangsspezifische Unterlagen für Ärzte und Patienten entwickelt, die die Untersuchungstermine von der frühen Adoleszenz bis zum 24. Lebensjahr begleiten können.(3) Dazu zählen Webseiten, Seminare und Schulungen sowie Fragebögen und Checklisten für die Jugendsprechstunde. Für die Patienten wurde ein Transitionspass entwickelt und die Deutsche Kinderrheuma-Stiftung, die Kinder-Rheumahilfe und die Rheuma-Liga veranstalten internationale Jugendcamps, die die Jugendlichen auf ein gutes Leben mit Rheuma vorbereiten sollen.
Referenzen:
[1] https://gkjr.de/forschungsprojekte/kerndokumentation/fokus-transition/ http://dgrh.de/transitioncare.html
[2] http://ard.bmj.com/content/annrheumdis/early/2016/11/01/annrheumdis-2016-210112.full.pdf
[3] https://www.gkjr.de/fuer-patienten-und-eltern/fuer-jugendliche/erwachsen-werden-mit-kinderrheuma/