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Unterernährung als Störung des Immunsystems

Unterernährte Kinder sterben am ehesten an den Folgen von Infektionen und nicht durch das Verhungern selbst. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie (DOI:10.1016/j.it.2016.04.003), die am 26. Mai im Journal Trends in Immunology veröffentlicht wurde.

Unterernährte Kinder sterben am ehesten an den Folgen von Infektionen und nicht durch das Verhungern selbst.

Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie (DOI:10.1016/j.it.2016.04.003), die am 26. Mai im Journal Trends in Immunology veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse deuten darüber hinaus darauf hin, dass angeborene Defekte des Immunsystems, selbst bei einer gesunden Ernährung, zu einer Unterernährung des betroffenen Menschen führen kann. Darauf aufbauend vermuten die Forscher, dass bestimmte immunologische Pathways potenziell neue Targets darstellen, um die schlechte Gesundheit sowie Sterblichkeit von unter- und überernährten Patienten zu reduzieren. Erstautorin des Reviews ist Claire Bourke, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Genomik und Kindergesundheit an der Queen Mary University of London.

Bourke ist der Meinung, dass unser traditionelles Bild, von hungernden und bis auf die Knochen abgemagerten Kindern, nur das äußere Bild der Unterernährung wiederspiegelt. Tatsächlich sei die für uns sichtbare Reduktion von Größe und Gewicht, lediglich die Spitze des Eisbergs – es gebe nämlich eine ganze Reihe von vorbestehenden Pathologien, die dem äußeren Erscheinungsbild letztendlich zugrunde liegen. Dazu gehören zum Beispiel verschiedene pro-inflammatorische Erkrankungen, eine beeinträchtigte Darmfunktion, geschwächten Immunantworten auf Infektionen sowie eine daraus resultierende hohe metabolische Belastung.

Unterernährung hat nicht nur äußerliche Auswirkungen

Die weltweit häufigste Form der Unterernährung ist die sogenannte Verkümmerung, bei der die Kinder nicht ihre zu erwartende Körpergröße erreichen. Trotz eines gesunden Aussehens zeigen Kinder mit unterentwickelter Körpergröße in der dritten Welt zusätzlich eine verkümmerte Entwicklung ihres Immunsystems. Sie sind deshalb oftmals anfälliger für ein Ableben durch übliche Infektionskrankheiten.

Erst seit Kurzem haben Wissenschaftler den Zugang zu Technologien, die es erlauben, eine Immunschwäche genau zu untersuchen. Auch wenn Immunparameter in unterernährten Kindern schon seit Jahrzehnten berücksichtigt worden sind, ist ein großer Teil dieser Daten mittlerweile veraltet und überholt. Wie Unterernährung und Immunfunktion miteinander verbunden sind ist deshalb im Großen und Ganzen noch immer wenig verstanden. Nichtsdestotrotz gibt es einen breiten Konsens darüber, dass Unterernährung mit einer Reihe von Problemen seitens des Immunsystems einhergeht. Dazu gehört unter andrem eine verringerte Anzahl von weißen Blutkörperchen, das Vorhandensein von Haut und Darm-Membranen, die für Krankheitserreger leichter zu durchbrechen sind sowie eine Fehlfunktion der Lymphknoten.

Unterernährung beeinflusst die Gene

Was in diesem Zusammenhang erwähnt werden sollte ist die Annahme, dass die Beziehung zwischen Unterernährung und einer Immunschwäche ein wenig der von “Huhn und Ei” gleicht, da beide einander verursachen und gleichzeitig die Folge des jeweils anderen sein können. Eine immunologische Dysfunktion entsteht, wenn Menschen wegen eines Nahrungsmangels zu wenige Kalorien zu sich nehmen oder einen Überschuss an Fett und Zucker in ihrer Ernährung vorweisen. Eine solche Dysfunktion wird daraufhin in der DNA durch epigenetische Markierungen gewissermaßen aufgezeichnet. Wenn unterernährte Menschen im Laufe ihres Lebens Nachkommen bekommen, erben ihre Kinder somit ein verändertes Immunsystem (auch nach mehreren Generationen noch nachweisbar). Ein auf diese Weise modifiziertes Immunsystem kann im Laufe der Zeit eine Unterernährung verursachen, obwohl sich die Kinder angemessen ernähren.

Es ist schon seit geraumer Zeit bekannt, dass das Immunsystem verschiedenste Pathologien verursachen kann. Aber erst die Entwicklung neuer experimenteller Werkzeuge hat es möglich gemacht, die Auswirkungen des Immunsystems von denen der Diät allein zu trennen. So gibt es beispielsweise neue Mausmodelle für die umweltbedingte Dysfunktion des Darms, an der sowohl aus epigenetischer als auch mikrobiotischer Sicht ein wachsendes Interesse besteht. Alle sich mit dieser Thematik befassenden Studien zeigen, dass unser Immunsystem in einer immer größer werdenden Zahl von physiologischen Systemen eine wichtige Rolle spielt. Es ist bei weitem nicht nur für die Bekämpfung von Infektionen verantwortlich – Es beeinflusst unseren Stoffwechsel, verschiedene neurologische Funktionen, sowie das Körperwachstum – Allesamt Bereiche, die bei der Unterernährung auch beeinträchtigt werden.

Bourke hofft auf eine Zukunft, in der Kliniker in der Lage sind eine individualisierte “Ablesung” des Immunsystems vorzunehmen. Mit dieser Methode würde es möglich sein, diejenigen Kinder zu identifizieren, welche ein besonders hohes Risiko für Infektionen als Folge einer Unterernährung aufweisen. Indem solche Kinder früher mit gezielten Interventionen behandelt werden, könnte ein solches Vorgehen die Last einer der Hauptursachen für die weltweite Kindersterblichkeit deutlich verringern,

Einige Experten werden diesbezüglich jedoch argumentieren, dass das letzte Wort zu der Debatte rund um die Immun-Dysfunktion-Unterernährung-Verbindung noch nicht gesprochen sei. Es stehen noch eine Reihe von Studien aus, bevor die Hypothese von Bourke als gesichert gelten kann. So sollte zum Beispiel die Entwicklung der Immunsysteme von Unterernährten mit der von gesunden Kindern im Laufe des Wachstums prospektiv verglichen werden. Auch sollte man überprüfen, ob die Wiederherstellung bestimmter Immunfunktionen die Auswirkungen der Unterernährung abmildern kann. Trotz dieser wichtigen und gegenwärtig noch offenen Fragen, verdichten sich die Hinweise darauf, dass es den kausalen Zusammenhang zwischen Immunstörungen und Unterernährung tatsächlich gibt. Das Team von Bourke hofft, dass ihr Paper die Beantwortung der offenen Fragen sowie die allgemeine Debatte zu der Thematik weiter anregen kann.