Die Tiefe Hirnstimulation (THS) lindert bei der fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit nicht nur Störungen der Bewegung, sondern stabilisiert auch die Stimmung. Die im Fachmagazin Lancet Neurology publizierte zusätzliche Auswertung einer deutsch-französischen Studie (EARLYSTIM) widerlegt die Befürchtung, dass das operative Verfahren emotionale Schwankungen und Störungen der Impulskontrolle bei Parkinson-Patienten verstärken könnte.
"Im Gegenteil: Die Auswertung der EARLYSTIM-Studie zeigt, dass Fluktuationen unter der Stimulationsbehandlung sogar abnehmen. Die THS bessert die Befindlichkeit deutlich und in einem Maße, wie es mit Medikamenten alleine nicht erreicht wird", so Professor Dr. Günter Deuschl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), renommierter Parkinson-Experte aus Kiel. Nach Schätzungen leben bis zu 420.000 Parkinson-Patienten in Deutschland, erinnert Deuschl anlässlich des Welt-Parkinson-Tags am 11. April. "Die Studie liefert gute Argumente, die THS auch für ausgewählte Patienten mit neuropsychiatrischen Fluktuationen oder Impulskontrollstörungen zu empfehlen", kommentiert Professor Rüdiger Hilker-Roggendorf, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Vest (Recklinghausen) und Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG).
Die Parkinson-Krankheit ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung, bei der unter anderem Zellen in der schwarzen Substanz (Substantia nigra) im Gehirn absterben. Diese Zellen produzieren den Botenstoff Dopamin, der z.B. für die Steuerung der Motorik wichtig ist. Fehlt Dopamin, treten die typischen motorischen Symptome, wie Verlangsamung der Bewegungsgeschwindigkeit, kleinschrittiger Gang, Sprachstörungen, Zittern und Steifigkeit in Armen und Beinen, auf. Die Tiefe Hirnstimulation (THS) kann helfen, wenn die Bewegungsstörungen durch Medikamente nicht mehr ausreichend kontrolliert werden können. In einer Operation werden dann Mikroelektroden ins Gehirn implantiert, die mit schwachen Stromstößen bestimmte Hirnregionen hemmen. Weltweit wurden bereits mehr als 150.000 Patienten mit dieser Methode erfolgreich behandelt.
Allerdings hegten manche Experten die Befürchtung, dass mit dem Verfahren das Risiko für enthemmte Verhaltensweisen wie Spielsucht und Kaufrausch oder ungehemmte Sexualität zunehmen könnte. Ob die Ursache dieser hyperdopaminergen Störungen in der Krankheit selbst liegt oder in der elektrischen Stimulation, war ohne eingehende Untersuchung nicht zu unterscheiden. Dass Störungen der Impulskontrolle häufig sind, hatte allerdings zuletzt eine Studie mit 251 italienischen Parkinson-Patienten ergeben, die bereits an motorischen Komplikationen der medikamentösen Therapie (Dyskinesien) litten: Der Anteil der Betroffenen mit Impulskontrollstörung lag bei 55 Prozent, in 36 Prozent der Fälle wurde dies als klinisch bedeutsam eingestuft.
"Die nun vorliegende Subanalyse der EARLYSTIM-Studie zeigt mit hoher wissenschaftlicher Evidenz, dass sich Störungen des Verhaltens und der Stimmungsregulation bessern können, wenn die Patienten frühzeitig eine THS erhalten und danach die Dosierung der medikamentösen Behandlung reduziert werden kann", sagt Professor Hilker-Roggendorf.
Erste Ergebnisse der vom deutschen und französischen Gesundheitsministerium sowie von der Herstellerfirma des Hirnschrittmachers geförderten Studie mit 251 Patienten wurden bereits vor fünf Jahren veröffentlicht. Damals hatten die Forscher um Co-Studienleiter Professor Deuschl die Lebensqualität zum zentralen Studienziel erhoben. Parkinson-Patienten, die zusätzlich mit Tiefer Hirnstimulation behandelt wurden, hatten eine höhere Lebensqualität als solche, die lediglich Medikamente erhalten hatten.
Die Folgeauswertung zeigt nun, dass unter einer THS auch die emotionalen Schwankungen der Patienten verbessert werden. Bei Patienten, die lediglich Medikamente bekommen hatten, blieben die neuropsychiatrischen Fluktuationen unverändert. Unter einer zusätzlichen THS nahm der entsprechende Wert auf der Ardouin-Skala (Ardouin Scale of Behavior in Parkinson’s Disease) um 0,65 Punkte ab. Sehr groß war der Unterschied auch bei den hyperdopaminergen Verhaltensstörungen (Impulskontrollstörungen, Hypomanie, Sprunghaftigkeit): Mit THS nahm der Wert um 1,26 Punkte ab – gegenüber einer Zunahme um 1,12 Punkte, wenn die Patienten lediglich Medikamente erhielten. Keinen Unterschied fand man dagegen bei hypodopaminergen Verhaltensstörungen wie Apathie und Depressionen, egal, ob die Patienten ausschließlich Medikamente bekommen hatten oder zusätzlich die THS.
"Die Studie beantwortet wichtige Fragen zur Therapie von Parkinson-Patienten, welche unter einer instabilen Krankheitsausprägung mit Stimmungsschwankungen und Verhaltensstörungen leiden", so Professor Hilker-Roggendorf. "Durch Medikamente ausgelöste Impulskontrollstörungen können sich unter THS verbessern, Apathie und Depression nehmen unter THS nicht zu. Die THS kann bei geeigneten Patienten bereits im mittleren Krankheitsstadium mit guter Wirksamkeit und ausreichender Sicherheit eingesetzt werden."