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“Wir brauchen die neue GOÄ dringend!”

Interview mit Dr. Thomas Lipp, Vorsitzender Hartmannbund Landesverband Sachsen, Vorstandsmitglied der Sächsischen Landesärztekammer, zur Abstimmung über die neue GOÄ beim Sonderärztetag. esanum: He

Interview mit Dr. Thomas Lipp, Vorsitzender Hartmannbund Landesverband Sachsen, Vorstandsmitglied der Sächsischen Landesärztekammer, zur Abstimmung über die neue GOÄ beim Sonderärztetag.

esanum: Herr Dr. Lipp, wie sehen Ihre sächsischen Kollegen die Abstimmung zur GOÄneu?

Dr. Thomas Lipp

Dr. Thomas Lipp – Vorsitzender Hartmannbund Landesverband Sachsen, Vorstandsmitglied der Sächsischen Landesärztekammer

Dr. Lipp: Wir haben dafür keine Richtlinie, jeder hat natürlich seine eigene Meinung. Einige Kollegen haben zwar eine gewisse Kritik an bestimmten einzelnen Paragraphen, aber an der prinzipiellen Zustimmung zur GOÄ gibt es unter uns keinen Zweifel. Die alte GOÄ ist ein Ärgernis. Sie können quasi keinen Patienten mehr nach der Gebührenordnung behandeln.

esanum: Die massive Kritik, die wir vor allem aus Berlin gehört haben, teilen Sie nicht?

Dr. Lipp: Nein. Ich bin seit 25 Jahren berufspolitisch tätig, habe wer weiß wie viele Reformen kommen sehen, habe aber nie erlebt, dass die Ärzteschaft bei Reformen jedweder Art nicht in kollektive Verlust- und Verarmungswahn geraten ist. Solche Ängste haben sich aber im Ergebnis noch nie bewahrheitet. Deshalb bin ich für Gelassenheit. In der BÄK haben wir keine Volltrottel sitzen, das sind Leute, die sind fachlich gut genug, die sind gewählt, sie sind engagiert. Wenn die Ärzteschaft so unzufrieden wäre, wie hier zum Teil dargestellt, müsste sie die gesamte BÄK abwählen. Im Übrigen halte ich das überwiegend für ein ideologisches Problem.

esanum: Was ist ideologisch daran?

Dr. Lipp: Das hat was mit der Denkweise zu tun. Ich glaube, es geht nicht um das Anzweifeln des Kompromisses, sondern um eine fundamentale Kritik, die sich auf dem Stand von vor 20 Jahren befindet, was die Betrachtung des Arztes und seiner Rolle in der Gesellschaft betrifft. Ich habe den Eindruck, dass einige nicht hier sitzen, um sich eine Meinung zu bilden und ihr Mandat für 300 000 Ärzte wahrzunehmen, sondern um eine Lagerbildung betreiben – da prallen Argumente dann ab.

esanum: Haben Sie ein Beispiel?

Dr. Lipp: Die Forderung der Kritiker, dass zum Bespiel ein approbierter Arzt alles abrechen kann, was er will, das halte ich für eine hanebüchene Forderung. Das ist moralisch nicht tragbar. Ich habe kein Verständnis an der Kritik, dass die PKV sich bei Rechnungslegung am Weiterbildungsrecht orientieren will – was ist dagegen zu sagen? Ich bin strikt dagegen, dass ein approbierter Arzt, der keine Facharztausbildung hat, irgendwelche Dinge macht, für die er nicht qualifiziert ist – das war vielleicht vor 100 Jahren noch möglich, das ist aber nicht mehr zeitgemäß. Sicher ist das eine Prämissenänderung, das wird nun anders als früher. Aber die medizinische Welt ist ja auch anders als früher. Die Anforderungen an therapeutische, diagnostische und pharmakologische Kenntnisse sind enorm gewachsen.

esanum: Finden Sie die GOÄneu durchweg gelungen?

Dr. Lipp: Nein, das nicht. Ich sehe eine Menge Probleme, hoffe aber, dass man die noch Stück für Stück abtragen kann. Aber prinzipiell halte ich eine Gebührenordnung für den freien Beruf des Arztes für wichtig und die muss so entwickelt werden, dass wir nicht in fünf Jahren wieder hier sitzen und daran rumbasteln.

esanum: Das soll ja die GeKo mit ständiger Pflege der GOÄ künftig regeln.

Dr. Lipp: Ja, die GeKo kann man so werten, dass hier ein Element des Kassenarztsystems hineinkommt. Aber ich sehe das in der Gesamtproblematik als eine Kröte, die ich schlucken muss, um andere Dinge durchzusetzen.

esanum: Was zum Beispiel? Welche Vorteile sehen Sie?

Dr. Lipp: Die Abrechnung wird einfacher und leichter. Was wir jetzt haben, ist eine völlig irrsinnige Abrechnung. Das wird nun korrigiert. Vieles wird wirklich besser. Bei den Steigerungssätzen wäre vielleicht etwas mehr Flexibilität gut. Aber man muss auch sagen, die Kollegen haben bisher alle das 2,3fache abgerechnet, das ist auch korrekt. Wenn sie aber drei oder vier Sätze einbauen würden, würden auch die abgerechnet werden und nicht der robuste Einfachsatz. Wie sich das alles genau auswirkt, ob man 10, 20 oder 40 Prozent mehr haben wird als früher, das weiß jetzt niemand. Nur zwei Dinge wissen wir: es wird mehr werden. Und es wird lange nicht so viel mehr wie wir gewünscht und erhofft haben. Aber wenn das Ding scheitert, werden wir viel höhere Schäden haben.

esanum: Also ein lachendes und ein weinendes Auge?

Dr. Lipp: Ja, wie das so ist bei einem Kompromiss. Es ist ein guter, schluckbarer Kompromiss, nicht süß, aber auch nicht zu bitter.

esanum: Was sagen Sie zur geplanten Aufwertung der sprechenden Medizin?

Dr. Lipp: Das ist sehr gut. Bisher haben wir eine Unterbezahlung der eigentlichen ärztlichen Leistung. Nachdenken, Festlegen von Diagnostik und Therapie, das Gespräch – das sind Kerngebiete der ärztlichen Tätigkeit, die sind massiv unterbezahlt. Das wird sich ändern.

esanum: Wird es auch Verlierer geben?

Dr. Lipp: Ich glaube nicht, dass jemand etwas einbüßt, aber es wird so sein, dass sicher manche technische Leistungen abgewertet werden, andere dagegen nicht. Der Protest ist ja fachgruppenspezifisch unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt Kollegen, die Leistungen an Maschinen delegieren können, das muss man ins Verhältnis setzen, zum Beispiel zur sprechenden Medizin. Dennoch: ich sitze hier als Delegierter des Deutschen Ärztetages, und nicht für meine eigenen Interessen. Ich bin Mandatsträger, gewählt für die Ärzteschaft in Sachsen, habe das Arztsein als Ganzes im Blick, und nicht einzelne Fachinteressen. Unter diesem Gesichtspunkt kann ich die GOÄneu, von der BÄK entwickelt, akzeptieren.

esanum: Gar kein Kritikpunkt?

Dr. Lipp: Doch, ich hätte gern eine andere Informationspolitik, keine Verschwiegenheitspflicht der GeKo. Aber die ist nunmal vorgegeben und ich muss akzeptieren, dass eine Gebührenordnung eigentlich eine Vorgabe der Regierung ist. Ich finde es toll, wenn Minister Gröhe sagt, er lässt uns mitgestalten. Das ist ein Zugeständnis an uns Ärzte.


Das Gespräch führte Vera Sandberg.

Vera Sandberg#Vera SandbergVera Sandberg, geboren 1952 in Berlin, absolvierte ihr Journalistik-Studium in Leipzig und war 12 Jahre lang Redakteurin einer Tageszeitung in Ost-Berlin. Im Juni 1989 wurde ihr die Ausreise bewilligt, seit 1990 ist sie Autorin für verschiedene Publikationen, Journalistin für medizinische Themen und hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt “Krebs. Und alles ist anders”. Vera Sandberg ist Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern und lebt seit 2000 bei Berlin.