Balu sitzt inmitten einer Kindergruppe und hört zu. Es wird gearbeitet, das heißt gesprochen, gesungen, gespielt und gekuschelt. Balu ist ein ausgebildeter Therapiehund. “Die meisten Kinder kommen aus armen Familien mit einem schwierigen sozialen Hintergrund. Besonders auffällig ist die sprachverzögerte Entwicklung”, sagt die Leiterin der Kindertagesstätte “Froschkönig” in der Plattenbausiedlung Halle-Neustadt, Constanze Stock. “Der Hund hilft ihnen beim Sprechen und Überwinden ihrer Hemmungen.”
In der Gruppe genießt Balu volles Vertrauen. Die vier bis sechs Jahre alten Kinder sprechen mit ihm, und er macht ganz selbstverständlich bei den Übungen mit. Seit der Golden Retriever vor vier Jahren auf die Welt kam, lebt er in der Kindertagesstätte. “Einen ständigen Therapiehund in der Kita, das ist in Deutschland einmalig”, sagt Constanze Stock.
Das Bundesfamilienministerium unterstützt das Projekt aus dem seit 2011 laufenden Pilotprogramm “Frühe Chancen” für Schwerpunkt-Kitas in ganz Deutschland. “Wir sind speziell im Programm Sprache & Integration”, sagt Stock. Die Erzieherinnen sehen seitdem, welche Fortschritte die Kinder mit Unterstützung des Hundes machen.
Zwei ausgebildete Sprachtherapeutinnen begleiten das Programm. “Das Konzept, den Hund mit in die Arbeit einzubinden, funktioniert. Auch die Eltern der Kinder sind begeistert”, sagt Sprechwissenschaftlerin Jacqueline Gawlitta, die mit ihrer Kollegin Anja Matzke-Hellen die Kinder anleitet.
Zugleich läuft derzeit eine wissenschaftliche Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Studentin der Sprechwissenschaften, Undine Hinz, untersucht im Rahmen ihrer Masterarbeit, was Balu den Kindern wirklich bringt. Damit die Ergebnisse wissenschaftlich fundiert sind, arbeitet eine Gruppe mit Hund, die andere ohne.
“Am Beginn einer Stunde darf immer ein Kind Balu ein Halstuch umbinden. Dann wissen sie: Balu arbeitet mit uns”, sagt Stock. Balu macht während der Arbeit alles in großer Ruhe mit – sogar wenn die Kinder ihn ausgelassen durchkitzeln und sonstwie mit Beschlag belegen.
So wie der kleine Michael (Name geändert). Er bekommt während der Stunde plötzlich ein starres Gesicht, verschränkt demonstrativ die Arme und will nicht mehr mitmachen. Warum, weiß kein Mensch. Aber dann sucht er die Nähe zum Hund, schmiegt sich an ihn, streichelt sein Fell. Es dauert nur wenige Minuten, dann ist Michael wieder gelöst bei den anderen dabei.
Gearbeitet wird in einer Gruppe von sechs Kindern, jeweils eine Stunde in der Woche über einen Zeitraum von einem halben Jahr. Die übrige Zeit ist Balu einfach nur da und spielt mit. Aber er hat auch seine Rückzugsmöglichkeit. Sein Körbchen steht in einem Zimmer, das für kleine Zweibeiner tabu ist.
“Wenn die Kinder etwas sagen und der Hund es dann auch befolgt, erkennen sie, dass ihr Sprechen etwas bewirkt”, sagt Stock. Die Kinder könnten mit Balu auch über Geheimnisse reden. Sie sind sicher, er verrät nichts. “Natürlich wissen die Kinder, dass Tiere nicht sprechen können, aber ihre Fantasie macht es möglich.”
Bis September soll das Ergebnis der Masterarbeit vorliegen. Während Hinz vorab nichts verraten will, sind die Erzieherinnen vom Erfolg des Modells überzeugt. “Wir beobachten doch die enormen Fortschritte”, sagt die Leiterin.
Der Zuschuss des Bundes von jährlich 25 000 Euro läuft Ende 2015 aus. Die Kita mit ihren rund 120 Kindern fürchtet, dass die Arbeit mit Balu dann nicht fortgesetzt werden kann. Laut Familienministerium gibt es allerdings Überlegungen, das Programm in anderer Form fortzusetzen. Einzelheiten nannte eine Sprecherin aber nicht.
Sachsen-Anhalt unterstützt die Kita im Rahmen der allgemeinen Förderung für Kindertagesbetreuung mit der monatlichen Platzpauschale, wie das Sozialministerium in Magdeburg mitteilt. Die Einrichtung aber hat einen konkreten Plan. “Mit unseren Erfahrungen soll der ‘Froschkönig’ ein Kompetenz-Zentrum für tiergestützte Sprachförderung werden”, sagt Stock.
Text und Foto: dpa/ fw