In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 2.200 Patientinnen und Patienten unter 18 Jahren an Krebs. Für die Kinder und Jugendlichen stellt die Diagnose einen belastenden Einschnitt in ihr Leben dar – dennoch sind ihre Aussichten überwiegend positiv: Rund 80 Prozent der Erkrankten können heute geheilt werden. Die erfreulichen Heilungserfolge rücken nun zunehmend die Lebensqualität und die Prävention von krankheits- und therapiebedingten Spätfolgen in den Fokus, mit denen ein Großteil der Betroffenen leben muss. Denn der Behandlungserfolg geht mitunter zulasten der Herzgesundheit. Betroffene sind etwa gefährdet, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln z. B. durch Schäden am Herzmuskel (Kardiomyopathie) sowie an Herzkranzgefäßen und Herzklappen. Auch Störungen der Erregungsleitung mit der Gefahr von Herzrhythmusstörungen sind möglich.
In einem Kooperationsprojekt wird nun untersucht, ob kardiale Funktionseinschränkungen nach einer Krebstherapie frühzeitig zu erkennen sind. Beteiligt an dem Forschungsvorhaben sind der Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der TU München und die beiden Münchner kinderonkologischen Zentren – das Dr. von Haunersche Kinderspital der Universität München und die Kinderklinik München Schwabing der TU München. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Projekts wollen im Rahmen einer von der Deutsche Herzstiftung gefördert Studie auch eine neuartige Diagnostik-Kombination einsetzen.
"Dieses kardio-onkologische Forschungsvorhaben ist besonders wichtig, weil es mögliche Folgeschäden für Herz und Gefäße nach einer Krebstherapie bereits im Kindes- und Jugendalter im Blick hat", betont der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Herzstiftung Prof. Dr. med. Hugo A. Katus. "Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind dank des medizinischen Fortschritts gut behandelbar. Gleichzeitig werden wir jedoch vermehrt mit kardiovaskulären Komplikationen als Folge von Krebstherapien bei vielen dieser Patienten im Erwachsenalter zu tun haben. Dazu bedarf es an innovativen Diagnose- und Therapieverfahren", so der Heidelberger Kardiologe.
Die Schäden infolge einer Krebstherapie zeigen sich oft erst Jahre nach einer Krebstherapie. Denn das Herz kann vermutlich behandlungsbedingte Schädigungen zunächst kompensieren und eine normale Funktion über einen gewissen Zeitraum erhalten. Eine Studie zeigt zum Beispiel, dass Erwachsene, die als Kind an Krebs erkrankt waren, fast 40 Prozent häufiger und sechs Jahre früher Bluthochdruck entwickeln im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Überlebende nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter haben insgesamt eine achtfach erhöhte Sterberate aufgrund von Herzerkrankungen. Ursächlich für Spätfolgen sind vor allem bestimmte herzschädigende Krebsmedikamente (Anthrazykline) sowie die Auswirkungen einer Strahlentherapie im Bereich des Brustkorbs. Beide Behandlungsmethoden tragen auf der anderen Seite wesentlich zu den guten Heilungschancen bei – sind also unverzichtbar.
"Wir erforschen eine innovative diagnostische Methode zur Früherkennung von Funktionseinschränkungen des Herzens bis zu fünf Jahre nach der Krebstherapie", erläutert die Sportwissenschaftlerin Dr. rer. medic. Sabine Kesting von der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften am Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie der TU München, die die Studie leitet. "Wenn wir Auffälligkeiten entdecken, können die Betroffenen ins Deutsche Herzzentrum München geschickt und dort, falls erforderlich, behandelt werden. Im optimalen Fall eröffnet somit eine frühe Diagnose die Chance, gravierenden kardiovaskulären Problemen vorzubeugen."
Auswirkungen einer Krebstherapie aufs Herz bleiben lange ohne Symptome. Üblicherweise erfolgt eine Herzuntersuchung im Rahmen der standardisierten Nachsorgeprotokolle in der Kinderkardiologie zudem am liegenden Patienten (EKG/Herzultraschall). Geringgradige Funktionseinschränkungen des Herzmuskels fallen unter diesen Ruhebedingungen allerdings oft nicht auf und entgehen so leicht der Aufmerksamkeit. Eine Ultraschalluntersuchung des Herzens während körperlicher Belastung – quasi als Stressfaktor – erhöht hingegen die Empfindlichkeit der Diagnostik. Insgesamt werden in der geplanten Studie nun 40 Teilnehmende im Alter von 10 bis 25 Jahren im ersten bzw. im fünften Jahr nach Beendigung einer Krebstherapie untersucht. Zusätzlich wird die gleiche Untersuchung bei 40 gleichaltrigen Gesunden durchgeführt, um mögliche Auffälligkeiten der Herzfunktion durch die Krebsbehandlung einordnen und beurteilen zu können.
Die einmalige nicht-invasive Untersuchung beinhaltet neben einer ausführlichen Anamnese eine Ultraschalluntersuchung des Herzens – einmal in Ruhe zur Überprüfung der Tauglichkeit für eine Belastungsuntersuchung und einmal auf dem Liegefahrradergometer unter submaximaler körperlicher Belastung. Zeitgleich zu der Stressechokardiografie wird die individuelle kardiopulmonale Leistungsfähigkeit auch über eine Spiroergometrie (Bestimmung der Atemgase, um Belastbarkeit der Lunge und des Herzkreislaufsystems festzustellen) gemessen. "Durch diese innovative, wenig belastende und vergleichsweise kostengünstige Untersuchungsmethode können wir möglicherweise früher Hinweise auf strukturelle Auffälligkeiten und beginnende oder bereits vorhandene Funktionseinschränkung des Herzens erhalten. Und damit könnte eine weitere Verschlechterung der Schäden möglicherweise günstig beeinflusst werden", hofft Dr. Kesting. Denn die Erkenntnisse sollen z. B. auch dazu beitragen, spezielle Bewegungsprogramme zu erarbeiten, mit deren Hilfe Herzschäden im besten Fall vorgebeugt werden kann oder sich diese reduzieren lassen.