Hoffnung für Kinder und Jugendliche mit wiederkehrendem Lymphdrüsenkrebs (rezidivierendes Hodgkin-Lymphom) birgt eine internationale Studie zu neuen Medikamenten im Rahmen der Immunonkologie. Sie sollen die körpereigene Abwehr wieder schlagkräftig machen im Kampf gegen Tumorzellen. Die Studie läuft parallel in mehreren Ländern. Erste Ergebnisse sind vielversprechend. Sitz der Studienzentrale für Deutschland ist die Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum in Gießen. Anfang des Jahres hat Prof. Christine Mauz-Körholz, nationale Leiterin der Hodgkin-Studienzentrale Deutschland, den ersten Patienten in die Studie aufgenommen.
"Ich frage mich nicht, klappt das, sondern plane für danach". Und Pläne für danach hat der 17-jährige Pascal Lützkendorf aus Thüringen jede Menge: Endlich wieder mit den Freunden Moped fahren, eine Angelreise nach Norwegen mit dem Papa und im Sommer zum 18. Geburtstag eine Segeltour nach Holland. Doch bis dahin gibt es für den optimistischen, offenen und scheinbar immer gut gelaunten jungen Mann noch einiges zu tun und auszuhalten im Kampf gegen den Krebs.
Im Juni 2017 waren Pascals Lymphknoten am Hals plötzlich stark geschwollen. Einen Monat und viele Untersuchungen später war die Diagnose eindeutig: Morbus Hodgkin – Lymphdrüsenkrebs. "Die Diagnose war erstmal ein Schock", sagt Pascal und sein Vater Rene ergänzt: "Das hat uns als Eltern absolut getroffen, das war der Hammer." Pascal hatte gerade seinen Realschulabschluss gemacht, nur die mündliche Prüfung stand noch aus, eine Lehrstelle hatte er schon sicher. Doch diese Welt stand nun erstmal still, von da an ging es nur noch um die Erkrankung und ums Überleben. Eine Chemotherapie und anschließende Bestrahlung ließen zunächst hoffen, doch noch während der Behandlung wuchs der Tumor erneut.
Mit dem wiederkehrenden Lymphdrüsenkrebs (Hodgkin-Lymphom-Rezidiv) war Pascal ein Kandidat für die aktuelle weltweite Studie zu neuen Medikamenten, die das körpereigene Immunsystem schlagkräftig für den Kampf gegen die Tumorzellen machen. Prof. Christine Mauz-Körholz aus der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum in Gießen, ist die nationale Leiterin der Hodgkin-Studienzentrale für Deutschland: "Die neuen Medikamente lassen berechtigte Hoffnung auf Heilung zu bei den sonst schwer behandelbaren Rückfällen von Lymphdrüsenkrebs. Sie wirken jenseits der Chemotherapie und haben somit auch deutlich weniger Nebenwirkungen. Pascal ist der erste Patient, den wir in unsere Deutschlandweite Studie einschließen konnten."
Während die bisherigen Behandlungsmethoden wie Chemotherapie und Bestrahlung darauf abzielen, die Tumorzellen von außen zu zerstören, arbeiten die neuen Medikamente mit einer anderen Strategie: Sie versetzen das körpereigene Immunsystem wieder in die Lage, den Kampf gegen die Tumorzellen selbst aufzunehmen. Diese neue Perspektive der sogenannten Immunonkologie bietet also Hilfe zur Selbsthilfe. Bei der Abwehr von Viren, Bakterien, aber auch Krebszellen schickt das Immunsystem eine Sondereinsatztruppe aus T-Zellen und sogenannten Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) in den Kampf. Sie können Krebszellen aufspüren, erkennen und vernichten. Bei vielen Krebsformen haben die Tumorzellen jedoch Strategien entwickelt, dieser Verfolgung zu entkommen (Escape-Mechanismen). Beispielsweise können sie sich auf unterschiedliche Arten so gut tarnen, dass sie für die körpereigene Sondereinsatztruppe nicht mehr erkennbar sind. Genau hier setzen die neuen Medikamente an: Sie boykottieren diese Tarn-Mechanismen und machen die bösartigen Zellen wieder erkennbar und angreifbar.
Eine solche Immuntherapie gegen Lymphdrüsenkrebs bekommt nun auch Pascal im Rahmen der Studie. Bei Erwachsenen mit mehreren Rückfällen des Hodgkin-Lymphoms haben Studien bereits belegt, dass die Behandlung außerordentlich wirksam ist, deshalb wurde sie für diese Patienten bereits 2016 von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen. Wie effektiv die Medikamente bei Kindern und Jugendlichen sind, soll die aktuelle Studie, die parallel in mehreren Ländern läuft, nun zeigen. "Ein derartiger neuer Therapieansatz ist nur in einem speziellen Studienzentrum möglich, wie es sich in Gießen zum Hodgkin Lymphom unter der Leitung von Prof. Dieter Körholz und Prof. Christine Mauz-Körholz in der Kinderonkologie mit Federführung für Deutschland etabliert hat", betont der Dekan des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität, Prof. Dr. Wolfgang Weidner.
In insgesamt vier Zyklen bekommt Pascal nun statt einer Chemotherapie die neue Immuntherapie. Sie besteht aus dem neuen Medikament, das die Körpereigene Abwehr wieder schlagkräftig macht und einem bereits erprobten Antikörper, gekoppelt mit einem kleinen Anteil eines Chemotherapeutikums, der sich direkt gegen die Krebszellen richtet. Die Medikamente werden per Infusion verabreicht. Gut einen halben Tag ist Pascal dafür in Gießen, dann kann er wieder nach hause gehen. Drei Wochen später gibt es die nächste Infusion. In der Zwischenzeit wird durch Blutuntersuchungen und ein spezielles Bildgebendes Verfahren (PET/CT) regelmäßig kontrolliert und dokumentiert, wie die Therapie anschlägt. Drei Zyklen hat der 17-Jährige bereits hinter sich und dabei - im Gegensatz zur Chemotherapie – keinerlei Nebenwirkungen festgestellt: "Mir geht es gut. Ich habe schon nach dem ersten Zyklus gemerkt, wie die Lymphknoten kleiner geworden sind, ich konnte sie kaum noch fühlen." Auch Studienleiterin Prof. Christine Mauz-Körholz ist mit dem Therapieverlauf bei Pascal sehr zufrieden: "Schon nach zwei Zyklen haben wir im PET/CT gesehen, dass die Aktivitäten im Tumor zum Stillstand gekommen sind. Das heißt, Pascal hat bislang optimal auf die Therapie angesprochen. Dieses wirklich tolle Ergebnis deckt sich mit den ersten Erfahrungen aus den Parallelstudien in anderen Ländern. In Frankreich waren bis Ende 2017 bereits acht Patienten behandelt worden. Bei allen gab es am Ende des 4. Zyklus keine Tumoraktivität mehr. Das hat bislang eigentlich noch keine Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit wiederkehrendem Hodgkin-Lymphom geschafft."
"Nachdem wir ja schon vorher einen Rückschlag erlebt haben, bedeutet die Studie für uns ganz klar Hoffnung", sagt Pascals Vater.
Abgeschlossen ist Pascals Behandlung nach der Immuntherapie aber noch nicht. Da die neuen Medikamente noch in der Erprobungsphase sind, bekommt der 17-Jährige im Anschluss an diese Behandlung noch eine konventionelle Hochdosis-Chemotherapie, die mit einer Stammzelltransplantation verbunden ist. "Das ist ein Sicherheitspaket, auf das wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verzichten können", erklärt die Professorin. Der junge Patient aus Thüringen nimmt auch das gelassen und denkt lieber an die Zeit danach: "Es sind ganz seltene Momente, wo ich sauer bin und mich frage, muss das alles sein? Eines lernt man bei dieser Krankheit und das ist, Geduld zu haben und nach vorne zu schauen. Darin bin ich jetzt echt gut."