Wer stottert, kämpft sowohl mit sich selbst als auch mit den Reaktionen seiner Umwelt. Manche lachen, andere schauen peinlich berührt weg, wieder andere vollenden für den Stotternden die Sätze. Hilfreich sind solche Reaktionen nicht. Am Welttag des Stotterns (22. Oktober) machen Betroffene auf ihre Bedürfnisse aufmerksam und versuchen so, Vorurteile abzubauen. Die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe (BVSS) vertritt die mehr als 800 000 stotternden Menschen in Deutschland. Sie plädiert dafür, das Handicap nicht zum Tabu zu machen.
Für das Gespräch mit Stotternden gelten die gleichen Regeln wie für jedes höfliche Gespräch, betont der BVSS-Vorsitzende Martin Sommer. Es gehe darum Blickkontakt zu halten, aufmerksam zuzuhören und einander aussprechen zu lassen. “Was gesagt wird ist wichtiger, als dass es flüssig ausgesprochen wird”, sagt der Neurophysiologe an der Uni Göttingen, der selbst seit seiner Kindheit stottert.
Sie werden häufig für nervös, ängstlich und gehemmt gehalten. Weitere gängige Vorurteile lauten, dass Stotterer weniger intelligent oder psychisch gestört seien. Nichts daran ist zutreffend. “In unserer westlichen Zivilisation ist das Stottern sehr negativ behaftet”, sagt der Sprachtherapeut Daniel Hirschligau, Leiter des Kompetenzzentrums Stottern in Hannover. Die negativen Reaktionen könnten bei den Betroffenen soziale Gehemmtheit bis hin zu sozialen Phobien auslösen.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass es zu 70 bis 80 Prozent genetisch bedingt ist, ob ein Kind zu stottern anfängt. Es scheint ein Problem mit den langen Nervenfasern zu geben, über die alle Hirnregionen untereinander Signale austauschen, wie Forscher mit neuen bildgebenden Verfahren herausfanden. Neurophysiologe Sommer vergleicht den Empfang mit einem unscharf eingestellten Radiosender, der leidet, wenn zusätzliche Störungen hinzukommen. Beim Autoradio könne dies ein Tunnel, für den Stotternden Aufregung und Stress sein.
Ohne ersichtlichen Grund fangen fünf Prozent aller Drei- bis Sechsjährigen plötzlich an zu stottern. Bei 80 Prozent von ihnen verschwindet die Sprechstörung wieder bis zur Pubertät. Es kann keine Vorhersage getroffen werden, bei welchen Kindern sich das Problem von allein löst. Schon für Zwei- bis Dreijährige könne eine spezielle Therapie sinnvoll sein, rät die BVSS. Allerdings müsse das Angebot geprüft werden.
Spontanheilungen im Erwachsenenalter sind extrem selten. Allerdings lässt sich der Redefluss mit Hilfe von Therapien stark verbessern. Es gibt spezialisierte Logopäden genauso wie Intensivcamps in den Sommerferien. Zu den führenden Anbietern in Deutschland zählt die Kasseler Stottertherapie, die in einem Pilotprojekt derzeit auch eine Online-Therapie erprobt. Nach ersten Zwischenergebnissen könnten die Patienten per Teletherapie ihre Sprechunflüssigkeiten ähnlich stark reduzieren wie die Präsenzpatienten, sagte der Leiter der Kasseler Stottertherapie, Alexander Wolff von Gudenberg.
Text: dpa /fw
Foto: lassedesignen / Shutterstock.com