In der Werbung, unter Freunden oder im Elternhaus: Kinder werden früh auf zu süße und zu fettige Lebensmittel geprägt. Aus Anlass des Europäischen Adipositas-Tages treten Mediziner für gesetzliche Schritte zur Förderung einer gesunden Ernährung ein.
Viele Kinder in Europa sind zu dick und bewegen sich zu wenig. Als Ursachen für die überflüssigen Pfunde sehen die Autoren einer kürzlich vorgestellten Studie in zwölf Ländern die Allgegenwärtigkeit von überzuckerten oder fettigen Snacks an, begleitet vom Marketing der Lebensmittelindustrie. Zum Europäischen Adipositas-Tag am Samstag (20. Mai) fordern Mediziner einen nationalen Aktionsplan Adipositas, wie es ihn für Diabetes bereits gibt.
"Adipositas ist für mindestens 20 bis 40 Folgeerkrankungen die Ursache", sagt der Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, Matthias Blüher. "Aus meiner Sicht ist das Problem nur zu lösen, indem man politisch handelt."
Nach den jüngsten von 2008 bis 2011 erhobenen Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) haben in Deutschland zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen Übergewicht. Ein Viertel der Erwachsenen ist adipös - Tendenz steigend. Bei den Kindern und Jugendlichen waren zuletzt rund 16 Prozent übergewichtig und 6,3 Prozent adipös, 50 Prozent mehr als in den 80er und 90er Jahren.
Drei Viertel der gezielt beworbenen Kinderlebensmittel in Deutschland sind laut einer Marktstudie von Foodwatch zu süß oder zu fettig, sollten also eigentlich nur sparsam verzehrt werden. Die Hersteller könnten mit diesen die größten Gewinnspannen erzielen, erklärte die Verbraucherschutzorganisation. Die Lebensmittelindustrie dränge Kindern massenhaft Junkfood auf und verführe sie zur falschen Ernährung, kritisiert Foodwatch.
Gesunde Lebensmittel müssten einfacher zugänglich und kostengünstiger angeboten werden, fordert Medizinprofessor Blüher, der an der Universität Leipzig eine Adipositas-Ambulanz leitet. Denkbar ist aber auch eine Steuer auf ungesunde Produkte. Unter anderem in Frankreich gibt es bereits eine Zuckersteuer auf süße Getränke, Großbritannien will sie einführen. Das Bundesernährungsministerium sieht dagegen eine Besteuerung von "sogenannten ungesunden Lebensmitteln als nicht zielführend" an. Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) setze vor allem auf Prävention durch Bildung und Information, sagte Sprecher Carsten Reymann. So plädiere der Minister unter anderem für die Einführung eines Schulfaches Ernährungsbildung.
Kinder aus sozial benachteiligten Familien sind weit häufiger extrem übergewichtig - in der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen laut einer Studie sogar fast dreimal so oft wie Kinder mit hohem Sozialstatus. Der Chefarzt am Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult in Hannover, Thomas Danne, hält vor diesem Hintergrund ein Umsteuern bei der Prävention für sinnvoll. Die Aufklärungskampagnen und Programme richteten sich noch viel zu stark an das Bildungsbürgertum, kritisierte der Diabetologe. Danne ist ärztlicher Leiter des Kick-Programms, das 8- bis 17-Jährigen beim Abspecken hilft. Die Teilnehmer absolvieren ein Sporttraining und werden mit ihren Eltern von Diätassistenten aufgeklärt. Zudem unterstützt eine Psychologin den ein Jahr dauernden Kurs.
"Wir haben mit Kick gute Erfahrungen gemacht", berichtet Danne. Ein Drittel der Kinder verliere Gewicht, ein Drittel nehme nicht weiter zu und bei einem weiteren Drittel verbessere sich zumindest das psychische Wohlbefinden. Wer zu viele Kilos mit sich herumschleppt, erkrankt häufiger an Depressionen.
"Viele Kitas und Schulen bieten aus Kostengründen unausgewogene Mahlzeiten an, weil hochwertige Lebensmittel teurer sind", beklagt der ärztliche Leiter des Abnehmprogramms in Hannover. Dort bekommen einige Teilnehmer ihr Problem schon in den Griff, wenn sie Apfelschorle, Limo und Süßigkeiten weglassen. Auch was die Kioske in Schulen angehe, sei ein Eingriff des Gesetzgebers notwendig, meint Danne: "In den Schulen müsste der Süßigkeiten-Verkauf gestoppt werden."