Mandeloperationen gehören zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen bei Kindern und sind für sie mit starken postoperativen Schmerzen verbunden. Eine Studie in der Fachzeitschrift "LRO Laryngo-Rhino-Otologie" zeigt, dass Eltern den Schmerzmittelbedarf ihrer Kinder oft unterschätzen. Ein zusätzlicher Fragebogen kann ihnen helfen, ihre Einschätzung zu objektivieren, um die Schmerztherapie für ihre Kinder nach der Operation zu verbessern.
Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 100.000 Kindern die Mandeln entfernt. Für Hals-Nasen-Ohrenärzte ist es ein kurzer Routineeingriff von einer halben Stunde. Ihre kleinen Patienten leiden jedoch häufig über mehrere Tage unter heftigen Schmerzen. Da kleine Kinder ihre Schmerzen selten mit Worten beschreiben können, sind Ärzte und Pflegekräfte auf indirekte Hinweise angewiesen. Kinder unter fünf Jahren weinen nicht nur, wenn sie Schmerzen haben. Viele verziehen das Gesicht, strampeln mit den Beinen, krümmen den Rumpf oder zeigen eine körperliche Unruhe. Mit der "Kindlichen Unbehagens- und Schmerzskala" (KUSS) können Mediziner gut abschätzen, ob die Kinder stärkere Schmerzmittel benötigen. Bei älteren Kindern kommt häufig die "Faces Pain Scale – Revised" (FPS-R) zum Einsatz. Die Kinder tippen dabei auf eins von sechs Gesichtern, um ihre Schmerzen einzustufen.
Damit Eltern die postoperativen Schmerzen ihrer Kinder besser einschätzen können, gibt es zudem die Skala "Parents’ Postoperative Pain Measure" (PPPM). Diese fragt nach Veränderungen zum sonst gewohnten Verhalten der Kinder sowie nonverbalen Hinweisen auf Schmerzen. Die Eltern beantworten 15 darauf abzielende ja-/nein-Fragen. Treffen mehr als sechs von 15 Punkte zu, benötigen die Kinder eventuell ein stärkeres Schmerzmittel. Ziel ist, dass Eltern nach Operationen die Schmerzen ihres Kindes besser einschätzen und entsprechend reagieren können.
Der in Kanada entwickelte Fragebogen PPPM wird bisher in Deutschland kaum angewendet, berichtet Dr. Philipp Gude. Der geschäftsführende Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Katholischen Klinikum Bochum hat gemeinsam mit Kollegen untersucht, ob die Befragung der Eltern nach PPPM in Kombination mit den beiden gängigen Skalen die postoperative Schmerztherapie verbessern kann.
Im Rahmen der Studie wurden die Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren nach der Mandeloperation daher dreimal täglich von einem Schmerzdienst besucht, der die Schmerzintensität altersabhängig nach KUSS oder FPS-R und PPPM erhob. Der Operateur verordnete zur Linderung der Beschwerden zunächst die Nichtopioid-Analgetika Paracetamol, Ibuprofen und Diclofenac. Die Gabe der Medikamente erfolgte durch eine Pflegekraft nach Hinweis durch die Eltern, wenn diese oder ältere Kinder selbst meinten, dass zusätzliche Schmerzmittel nötig seien. Überschritt ein Messwert den Schwellenwert für die das jeweilige Messinstrument, wurde die Indikation zur Gabe einer sogenannte „Rescue-Medikation“ gestellt. Die jungen Patienten erhielten dann das Schmerzmittel Piritramid. Es gehört zu den Opioiden, hat aber eine um 25 Prozent schwächere Wirkung als Morphin.
In der Folge entschieden die Ärzte sich bei 212 von 854 Visiten für den Einsatz von Piritramid. In 121 Fällen hatten die Angaben der Eltern im PPPM-Fragebogen den Ausschlag gegeben, obwohl die Eltern zuvor der Ansicht waren, dass ihre Kinder nicht unter starken Schmerzen litten. Auch die parallel erhobenen Werte nach KUSS oder FPS-R hatten keinen zusätzlichen Schmerzmittelbedarf angezeigt.
Dr. Gude und Kollegen bewerten den Einsatz des zusätzlichen Elternfragebogens PPPM positiv. Die Ergebnisse zeigten, dass viele Eltern die Schmerzen ihrer Kinder nach einer Mandeloperation ohne den Fragebogen oft unterschätzten. Einige seien auch besorgt, dass Schmerzmittel ihren Kindern schaden könnten. Solange die Kinder jedoch in der Klinik unter Aufsicht stünden, seien die Bedenken gegenüber eines potenten Opioids wie Piritramid unbegründet. Kinder sollten nach einer Mandeloperation nicht unnötig leiden, erklärt der Schmerzexperte.
Quelle: Thieme Verlag