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Spuren von Missbrauch und Gewalt sichern

Wer Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist, sollte die Beweise am eigenen Körper nicht vernichten. Für eine Anzeige und ein mögliches Gerichtsverfahren sind sie wertvoll. Aber die Möglichkeiten, solche Spuren erfassen zu lassen, sind gering.

Die Konfrontation mit der "dunklen Seite" der Menschen

Wer Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist, sollte die Beweise am eigenen Körper nicht vernichten. Für eine Anzeige und ein mögliches Gerichtsverfahren sind sie wertvoll. Aber die Möglichkeiten, solche Spuren erfassen zu lassen, sind gering.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Mögliche Nachweise für eine Gewalttat wie K.o.-Tropfen oder Sperma verschwinden innerhalb weniger Stunden. Die Opfer sind auf SpezialistInnen in ihrer Nähe angewiesen, die ihre Verletzungen erkennen, Spuren sichern und dokumentieren. Doch in Deutschland gibt es nur eine Hand voll professioneller Gewaltambulanzen, darunter die in Heidelberg. Unter der Leitung der Rechtsmedizinerin Kathrin Yen stehen zehn ÄrztInnen an sieben Tagen rund um die Uhr bereit, um Gewaltopfern im wahrsten Wortsinne zu ihrem Recht zu verhelfen. "In Gerichtsprozessen sorgen unsere Untersuchungsergebnisse für Klarheit", erläuterte Yen.

Rein rechnerisch habe ihr Team täglich mehr als eine Person zu untersuchen. Vergewaltigte Frauen, missbrauchte Kinder, Männer mit Stichverletzungen kommen in die Ambulanz oder werden in Kliniken, Arztpraxen oder bei der Polizei unter die Lupe genommen. Den Fachleuten entgeht nichts, nicht der kleinste Partikel auf Kleidung und Haut oder unter den Fingernägeln; sie fotografieren blaue Flecken und Würgemale, entdecken toxische Stoffe in Blut und Urin oder registrieren Sperma. Und die medizinischen Detektive stellen fest, ob Knochenbrüche eines Kindes, wie von den Eltern behauptet, wirklich auf einen Sturz vom Wickeltisch zurückzuführen sind. "Wir sind fast jeden Tag mit der dunklen Seite des Menschen konfrontiert", resümierte Yen.

Ungefähr 500 behandelte Fälle im Jahr 2019

Im ablaufenden Jahr wird es gen 500 Fälle geben, 130 mehr als 2018. Professorin Yen findet die steigende Zahl nicht besorgniserregend: "Ich bin froh, wenn die Menschen zu uns finden – die Dunkelziffer ist ohnehin noch sehr hoch." Auch bei den Kindern beobachtete die Expertin wachsende Zahlen. "Das ist ein Zeichen, dass die ÄrztInnen in Kliniken oder Praxen unsere Einrichtung wahrnehmen." Sie sieht es als ihre Aufgabe, herauszufinden, was dem Kind passiert ist. Dann kann es gegebenenfalls aus einem schädlichen Umfeld herausgenommen werden.

Schmerzlich ist für Yen, wenn dieselben malträtierten Kinder mehrfach bei ihr landen. Denn die zuständigen Jugendämter scheuten zuweilen vor Anzeigen zurück, weil sie Familie zusammenhalten wollten. Die aus Bregenz in Österreich stammende Yen ist hingegen überzeugt: "Es gibt Familien, in denen ein Kind nicht gedeihlich aufwachsen kann." Die ÄrztInnen dürfen in Baden-Württemberg, anders als in Hessen, Hamburg und Niedersachsen, selbst keine Anzeige erstatten.

Fördergeld des Landes reicht bei Weitem nicht

Bundesweit rund 185.000 Gewaltdelikte weist die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik für 2018 aus, fast 2% weniger als 2017. Davon gehörten 9.200 Fälle zur Kategorie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff in besonders schwerem Fall einschließlich mit Todesfolge. Das waren gut 18% weniger als im Vorjahr.

Yen hat die Gewaltambulanz 2011 aufgebaut nach dem Vorbild des rechtsmedizinischen Instituts in Bern, wo sie ihre Ausbildung als Rechtsmedizinerin absolviert hatte. Das Land fördert das Institut mit jährlich 150.000 Euro. Mit dem Geld käme es bei Gesamtkosten von 400.000 Euro hinten und vorne nicht aus, würde nicht das Uniklinikum den Löwenanteil tragen, wie Yen sagte. Zwar signalisieren das Sozial- und das Wissenschaftsministerium nach ihren Worten Interesse an einem Ausbau des Angebots, doch Mittel sind bislang nicht in Sicht.

Im Landeschef des Weißen Rings, Erwin Hetger, hat Yen einen Mitstreiter gefunden. Eine einzige Anlaufstelle sei für ein Flächenland wie Baden-Württemberg zu wenig und nicht akzeptabel, wetterte er: "Man kann doch keiner Frau, die in Konstanz vergewaltigt wurde, zumuten, nach Heidelberg zu fahren." Er fordert den Ausbau des Angebotes wenigstens an Uniklinik-Standorten. Gesundheitsminister Manne Lucha spricht hingegen von 30 Kliniken, die die vertrauliche Beweissicherung anbieten. Deren Vernetzung will er vorantreiben.