Vorstehende Schultern, Hohlkreuz, Rundrücken: Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen hat Haltungsprobleme und kann nicht stabil stehen, sagt Sportwissenschaftler Oliver Ludwig von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Hauptgrund sei ein Mangel an Bewegung. “Je mehr ein Kind tagsüber sitzt und liegt, umso schwächer wird die Haltung und die Körperwahrnehmung.” Eine schwache Haltung sei aber noch keine Krankheit – und könne mit gezieltem Training bekämpft werden. Ohne dieses jedoch drohten später Haltungsschäden, sagt Ludwig.
In einem Forschungsprojekt hat Ludwig mit anderen Experten ein Test-Verfahren entwickelt, um Haltungsschwächen bei Kindern und Jugendlichen objektiv messen zu können. “Auslöser war, dass wir festgestellt haben, dass die Einschätzung ein und desselben Kindes von Ärzten sehr verschieden sein kann”, sagt der Humanbiologe. Mit dem neuen Verfahren dagegen sei klar, wann ein Haltungsproblem vorliege und man etwas dagegen tun müsse. “Es bringt eine gewisse diagnostische Sicherheit rein.”
Bei dem Programm werden unter anderem Fotoaufnahmen von der Seite des Kindes in drei verschiedenen Haltepositionen gemacht – und diese dann über eine Software miteinander verglichen. Erstmal “ganz entspannt” – dabei wird eine gerade “Lotlinie” auf den Körper des Kindes projiziert, die vom Knöchel über Becken und Schulter bis zum Ohr reicht. Position zwei: Die Kinder müssen sich “unter muskulärer Anspannung” bewusst aufrichten. Und dann sollen die Kinder genau so stehen bleiben – aber die Augen dabei schließen.
“Mit dem Augenschließen verändert sich bei vielen die Haltung”, sagt Ludwig, wissenschaftlicher Leiter von “Kid Check“. Dann wisse er, dass das Kind die Augen brauche, um sich gerade zu halten – und dies nicht alleine über die eigene Körperwahrnehmung aus dem Gehirn abrufen könne. “Ein Kind darf ruhig mal lasch stehen. Wichtig ist aber, dass es sich aus der schwachen Situation aufrichten kann und diese Situation auch ohne Augen beibehalten kann.”
Mehr als 2500 Kinder und Jugendliche seien bei der Aktion “Kid Check” bereits untersucht worden. Die häufigsten Schwächen waren: nach vorn hängende Schultern, Hohlkreuz, vorgekipptes Becken, abstehende Schulterblätter, vorstehender Kopf und Rundrücken. Für die Kinder gebe es dann einen Trainingsplan fürs Fitnessstudio, um dagegen vorzugehen.
Ludwig ist überzeugt, Kinder und Jugendliche werden zunehmend mit schlechter Haltung zu kämpfen haben. Das liege auch an der zunehmenden Zahl an Ganztagsschulen mit Unterricht am Nachmittag. “Das bedeutet noch weniger Bewegung für die Kinder. Wir zwängen die Kinder mit dem Schulsystem immer mehr in einen Büroalltag.”
Die neue Messmethode zur Haltungsanalyse ist dieses Jahr in mehreren Fachzeitschriften erschienen, darunter im Journal of Physical Therapy Science und im Journal of Clinical and Diagnostic Research. Einige Anfragen zu Projekt und Software gebe es aus Deutschland, noch mehr aber aus Österreich und der Schweiz. “Da haben schon viele unsere Untersuchungsmethoden übernommen”, sagt der Uni-Lehrbeauftragte. Auch zwei Profi-Fußballvereine in Deutschland hätten die Software schon gekauft.