Die stetig wachsende Weltbevölkerung und immer knapper werdende Ressourcen erfordern alternative Nahrungsquellen. Vieles spricht für Insekten, da sie nachhaltig und reich an Nährstoffen sind. Hat diese Alternative Zukunftspotenzial?
Die UNO prognostiziert, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden ansteigen wird. Schon jetzt ist auf einigen Teilen der Erde von einer Nahrungsmittelknappheit die Rede. Der WHO zufolge, sind über eine Milliarde Menschen unterernährt, insbesondere in Entwicklungsländern. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass Unterernährung als die größte Todesursache weltweit gilt - jeder dritte Kindestod wird mit einer unzureichenden Nahrungsaufnahme in Verbindung gebracht. Und Nahrungsmittelquellen werden immer knapper: Die Meere sind überfischt und der Klimawandel erschwert den Zugang zu Wasser und fruchtbaren Ackerböden. Daher müssen nun Alternativen her, die reich an Nährstoffen und vor allem auch nachhaltig sind. Entomophagie - der Verzehr von Insekten - könnte eine solche Ressource darstellen.
Bestimmte Insektenarten sind sehr nahrhaft, 100 Gramm Speise-Grillen enthalten beispielsweise 460 Kilokalorien und knapp 70 Gramm Protein, womit der Tagesbedarf an Eiweiß bereits gedeckt wäre. Zudem sind Insekten reich an ungesättigten Fettsäuren, Mineralstoffen und Vitaminen. Darüber hinaus gilt die Zucht von Insekten als sehr umweltfreundlich und nachhaltig. Laut Food and Agriculture Organization of the United Nations benötigt die Produktion von Rindfleisch zwölfmal mehr Futter als die der Insekten.
Forscher der Ningbo University und des King's College London haben im Rahmen ihrer Studie einen Nährwertvergleich zwischen Insekten und Fleisch aufgestellt. Im Zuge dessen untersuchten sie den Nährstoffgehalt von Grillen, Grashüpfern sowie Buffalo- und Mehlwürmern. Es stellte sich heraus, dass Buffalowürmer und Rinderrücken über besonders viel Eisen, Kalzium und Magnesium verfügen. Im Endeffekt übertrumpften Buffalowürmer sogar den Rinderrücken mit dem höchsten Eisengehalt. Zudem fand das Forscherteam heraus, dass das von den Grillen, Grashüpfern und Mehlwürmern stammende Kupfer, Zink, Mangan, Kalzium und Magnesium am besten absorbiert wurde und das Fleisch somit in den Hintergrund rückte. Die Studienautoren sind sich sicher, dass Insekten wertvolle Nährstofflieferanten sind und eine gute Nahrungsquelle für den Menschen darstellen.
Das größte Problem, so das Forscherteam, besteht jedoch darin, dass sich der westlich orientierte Mensch vor Insekten ekelt. Wissenschaftler sind sich einig, dass Ekel als Basisemotion verankert ist und vor allem in nahrungsbezogenen Kontexten zum Ausdruck gebracht wird. Darüber hinaus verkörpern abneigende Verhaltensmuster eine Art Krankheitsvermeidungsemotion, wodurch das Gehirn signalisiert, sich von potenziellen Krankheitserregern fernzuhalten. Den Menschen in Asien und Afrika fällt der Verzehr von Insekten leichter, da sie ein anderes Verständnis von Hygiene haben und ihnen die westlich geprägte Assoziation mit Schmutz und Krankheiten nicht unbedingt plausibel erscheint.
Diese Bedenken sind jedoch nicht unberechtigt, denn einige Insektenarten bergen das Risiko, Infektionskrankheiten zu übertragen. Zudem könnten intestinale Mikrobiotika, die von Insekten stammen, ein Medium für das Wachstum unerwünschter Mirkoorganismen sein. Laut Giaccone (2005) stellen Insekten aus mikrobiologischer Sicht ein Risiko dar, wenn sie nicht ordnungsgemäß gelagert und hinreichend erhitzt werden. Einem Bericht zufolge, der in dem Wissenschaftsmagazin nature veröffentlicht wurde, geht von Schweinen, Rindern und Geflügel jedoch eine größere Gefahr aus, gerade in Bezug auf die tödlich verlaufende Influenza.
Die EU-Regelung sieht für "neuartige Lebensmittel" vor, sich einer expliziten Prüfung und Zulassung zu unterziehen, hierzu zählen auch Insekten. Diese Reglung wird von EU-Ländern jedoch unterschiedlich ausgelegt, denn in Belgien und den Niederlanden ist Entomophagie legitim. Ab dem 01. Januar 2018 soll sich dieser Prozess jedoch einheitlicher gestalten: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit wird künftig im Rahmen der Novel Food Regulation Anträge von Lebensmittelproduzenten entgegennehmen und binnen weniger Monate über die Zulassung des Produktes entscheiden. Diese Entscheidung ist dann für alle EU-Mitgliedsstaaten gültig. Wenn der Konsum von Insekten durch Politik und Öffentlichkeit salonfähig gemacht wird, könnte dies die westlich orientierte Wahrnehmung zur Selbstreflexion anregen.
Dass Insekten-basierte Lebensmittel den westlichen Ernährungskonventionen gerecht werden können, beweist der in der Schweiz produzierte Burger, der aus Mehlwürmern besteht. Nun ist die Wissenschaft dazu angehalten, Chancen und Risiken näher zu durchleuchten und vor allem auch zu evaluieren, welche Langzeiteffekte der Konsum von Insekten nach sich zieht. Vielleicht setzt der nach Eiweiß strebende Sportler, der heute noch Magerquark zu sich nimmt, schon bald auf Grillen, Heuschrecken und Co.