Die DDR existierte 40 Jahre. Viele Senioren, die heute über 80 Jahre alt sind, haben so auch viele Erinnerungen an den damaligen Alltag. Ein Teterower Seniorenheim setzt das auf ungewöhnliche Art und Weise gegen fortschreitene Demenz bei Bewohnern ein - samt DDR-Hymne.
"Die Kittelschürze zieh ich immer über", erklärt Hildegard Wolter. Die 92-jährige Frau sitzt mit der blauen Schürze und 14 Frauen und Männern im Saal des DRK-Seniorenheimes in Teterow (Landkreis Rostock). DDR-Fahnen hängen an der Wand, es gibt eine "FDJ-Ecke", DDR-Schallplatten, -Bücher und viele Utensilien aus dem Sozialismus. Ab und zu werden Lieder aus dem ehemaligen "Arbeiter- und Bauernstaat" gesungen. Das Ganze hat aber nicht mit Nostalgie, sondern eher mit Gesundheitspflege zu tun, wie Heimleiter Ronald Hinkelmann erläutert. "Wir nennen das 'biografiebezogene Erinnerungsarbeit'", sagt Ergotherapeutin Carmen Renzel, die zu den Initiatoren der ungewöhnlichen Vormittage gehört.
Vor allem bei Senioren mit leichter Demenz werden die "grauen Zellen" durch Gespräche über die Erinnerungen und das Liedersingen quasi aufgefrischt - wozu auch die DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen" gehört. "Die Leute erinnern sich gern daran, wie sie gelebt und was sie in ihrer Freizeit gemacht haben", sagt der 47 Jahre alte Heimleiter. Die "Museumstage", wie sie genannt werden, sollen an Betriebsfeste erinnern, wie sie damals üblich waren. Sie werden in unregelmäßigen Abständen angeboten. "Wir wollen, dass dies etwas Besonderes bleibt", erklärt die 37-jährige Renzel.
Angefangen hat alles mit dem Trabant-Jubiläum Anfang November. "Die Männer erzählten uns bei einem Ausflug in ein Museum und ein Autohaus, wo Oldtimer besichtigt wurden, ihre Trabant-Geschichten", erläutert Pflegedienstleiterin Michaela Hinz. Daraus wurde die Idee geboren, eine Art DDR-Tag zu gestalten. Mitarbeiter brachten alte Radios, Schallplatten, Küchengeräte, Bücher und Embleme mit. "Und als wir merkten, wie die Atmosphäre wirkte, haben wir Lieder gesungen", berichtet Hinkelmann. Aus einem geplanten Tag wurden drei Tage mit je mehr als 30 Senioren.
Wie Wolter kommen auch Lilly Ogrzewalla und Agnes Engel ins schwatzen. "Damals gab es nur zwei Wochen Urlaub, aber auch immer einen Haushaltstag, wenn man verheiratet war oder Kinder hatte", sagt Ogrzewallas Nachbarin. "Ich hatte das nicht, in der privaten Landwirtschaft gab es sowas nicht", sagt die 87-jährige Ogrzewalla. Dafür habe jedes Dorf, wie auch Groß Wokern, damals mindestens einen "Konsum" und eine Gaststätte gehabt.
Die 88-jährige Engel kann berichten, dass sie die erste Frau unter vielen Männern beim damaligen Kraftverkehrsbetrieb in Teterow war. "Die haben gewettet, wie lange ich das durchhalte." Engel hielt durch und plante mit vielen Dorfbürgermeistern in den 1960er Jahren die Standorte der Bushaltestellen. Diese waren nötig, weil die Leute nicht anders in die kleinen Städte kamen, um Ärzte zu besuchen oder bestimmte Dinge zu kaufen oder auf Ämtern etwas zu erledigen.
"Diese Treffen sind für unsere Bewohner genauso wichtig, wie die täglichen Zeitungsschauen, Orientierungs- und Gleichgewichtstraining oder die Ausflüge", erläutert Renzer. Wie andere findet Rentnerin Wolter, dass sich Teterow baulich gut entwickelt hat. Nur Geschäfte habe es damals mehr gegeben. "Teterow hatte viele private Bäcker und Fleischer", sagt eine der Frauen. "Und auch viele Kneipen", ergänzt ein Nachbar und alle lachen.
Am Ende legt Renzel eine der DDR-Platten auf. Zuerst wird ein plattdeutsches Lied gesungen. Dann erklingt das Mecklenburg-Lied, in dem es heißt "Das ist meine Heimat, Mecklenburger Land."
Als beim ersten Mal die alte DDR-Hymne erklang, weil die Teilnehmer das so wollten und darüber berichtet wurde, haben die Frauen um Heimleiter Hinkelmann auch Kritik einstecken müssen. "Per Facebook wurde uns vorgeworfen, dass wir den Schießbefehl vergessen hätten", erklärt Hinkelmann. Darum gehe es aber gar nicht. Wichtig sei, wie sich die Leute an ihre Zeit erinnern. Trotzdem ließ man das Porträt des damaligen DDR-Staatschefs Erich Honecker bei der Neuauflage des "Museumstages" dann doch weg.
"Das ist keine politische Veranstaltung", stellt der Leiter klar. Es gehe eher darum, wer hat wo gearbeitet, an welche Läden oder Betriebe in der Region kann man sich erinnern. Ergotherapeutin Renzer hat im Internet nachgeschaut, ob es irgendwo solche "Museumstage" zur DDR-Vergangenheit schon gebe. "Ich habe da etwas in der Region Dresden gefunden", sagt sie. Sie sei froh, denn das bestätige ihre Bemühungen. Etwas verunsichert hatte die Kritik die Teterower schon.
Nun kommt aber erstmal die Adventszeit. Da soll es einen Weihnachtsmarkt im Haus geben. Dazu könnte auch wieder etwas DDR-Musik erklingen: "Weihnachten in Familie" von der damaligen Vorzeigefamilie Aurora Lacasa und Frank Schöbel mit Kindern war die erfolgreichste Schallplatte des damaligen Labels amiga.