Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland haben besondere Symptome. Sie stellen Ärzte oft jahrelang vor Rätsel, bis klar ist: Der Patient leidet an einer seltenen Erkrankung. "Eine solche Diagnose bedeutet viel Unsicherheit", sagt Mirjam Mann, die Geschäftsführerin der Selbsthilfeorganisation Achse. "Die Patienten haben Sorgen, was das für ihre Zukunft bedeutet." Auch weil es häufig nur wenige oder schwer zugängliche Informationen über die Krankheiten gebe. Zudem sei deren Verlauf oftmals unbekannt. Der "Tag der seltenen Erkrankungen" am kommenden Dienstag (28. Februar) soll auf die Situation der Patienten aufmerksam machen.
Eine Krankheit gilt dann als selten, wenn sie maximal 5 von 10 000 Menschen haben. Dazu gehören Erkrankungen, für die es Arzneien und Therapien gibt. Über andere ist dagegen nur wenig bekannt. Deswegen trage der diesjährige Aktionstag das Motto "Forschen hilft heilen", erklärt Mann von der Achse, eine Abkürzung für Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen. "Es braucht mehr Medikamente und Behandlungsmethoden." Die Organisation setzt sich zudem für den Aufbau eines bundesweiten Netzes von zertifizierten Zentren für seltene Erkrankungen ein.
Schon jetzt gibt es an mehrere Universitätskliniken im Land Mediziner, die sich speziell um diese Patientengruppe kümmert, etwa im hessischen Marburg.
"Die Möglichkeiten, die wir heute haben, um Krankheiten zu erkennen, sind gigantisch. Man findet heute dank Suchmaschinen, Datenbanken, moderner Labordiagnostik und Bildgebung Dinge, die hätte man vor ein paar Jahren noch gar nicht gekannt", sagt Jürgen Schäfer, der Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen an der Uni-Klinik Marburg. Wegen seiner Herangehensweise wird er gerne "Deutscher Dr. House" genannt, in Anlehnung an die TV-Serie um einen Arzt, der auch bei kniffligen Fällen die richtigen Diagnosen findet.
Schäfer zufolge warten 30 Prozent der Patienten mit seltenen Erkrankungen mehr als fünf Jahre auf eine korrekte Diagnose. 40 Prozent bekommen zunächst eine falsche attestiert. Die große Mehrheit - etwa 80 Prozent - erfährt zudem erst im Erwachsenenalter, woran sie eigentlich leidet. "Und das, obwohl geschätzte 80 Prozent der seltenen Erkrankungen genetisch bedingt, also angeboren, sind." Schäfer macht zudem einen Unterschied zwischen seltenen und unerkannten Krankheiten: "Nicht alles, was unerkannt ist, muss unbedingt selten sein, und umgekehrt ist nicht jede seltene Erkrankung unerkannt."
Um eine seltene Erkrankung zu erkennen, braucht es Zeit, Zeit die etwa Hausärzten oft fehlt. Sein Team sei nicht besser als andere Mediziner, betont Schäfer. Es stünden aber andere Ressourcen zur Verfügung. "Auch wir bekommen nicht immer alles gelöst. Oftmals suchen auch wir lange nach einer Diagnose. Da braucht es sehr viel Hirnschmalz, Diskussionen mit Kollegen und intensiver Detektivarbeit in medizinischen Datenbanken, um eine komplizierte Erkrankung zu lösen."
Seit der Gründung des Marburger Zentrums im Jahr 2013 haben sich mehr als 6500 Patienten bei Schäfer und seinem Team gemeldet. Die Warteliste sei lang. "Das ist ein Indikator dafür, dass es im Bereich der komplexen Erkrankungen einen Versorgungsengpass in Deutschland gibt", betont der Mediziner. Er fordert, flächendeckend "Kümmerer-Stationen" für komplexe Fälle an den Uni-Kliniken aufzubauen. Wichtig sei auch, das Abrechnungssystem der Fallpauschalen für diese Häuser zu überdenken. "Es geht um menschliche Schicksale", betont Schäfer. "Um Schicksale, die günstig beeinflusst werden könnten, wenn man früher diagnostizieren würde."