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Schnittstelle Hausarzt/Spezialist: Wie gelingt die Kooperation?

Gerade für multimorbide Diabetes-Patienten ist eine ganzheitliche Versorgung und Therapiesteuerung von eminenter Bedeutung. Ein DDG-Symposium bei der 10. Diabetes Herbsttagung widmete sich dem kniffligen Thema.

Gerade für multimorbide Diabetes-Patienten ist eine ganzheitliche Versorgung und Therapiesteuerung von eminenter Bedeutung. Ein DDG-Symposium bei der 10. Diabetes Herbsttagung widmete sich dem kniffligen Thema.

Der multimorbide Diabetes-Patient ist eine zunehmend häufige und komplexe Herausforderung in der hausärztlichen und diabetologischen Praxis. Im Rahmen der Berliner Altersstudie wurden für den Altersbereich 70-103 Jahre folgende Prävalenzen ermittelt:

  • 35 % Multimorbidität (> 5 Diagnosen);
  • 38 % Multimedikation (> 5 gleichzeitige Arzneimittelverordnungen);
  • 30 % Unterbehandlung mit Arzneimitteln;
  • 16 % Überbehandlung mit Arzneimitteln;
  • 56 % unerwünschte Arzneimittelwirkungen (!).

Es gibt also viel zu tun und viel zu beachten für die diabetologisch orientierten Haus- und Fachärzte. Dr. Til Uebel, Ittlingen, kritisierte, dass der Nutzen von Medikamenten oft erheblich überschätzt werde. “Nur 11 % der Folgeerkankungen liegen an der Hyperglykämie. Der Diabetes ist noch nicht verstanden”, proklamierte der Hausarzt.

Gleichzeitig wies er auf die teilweise recht unterschiedliche Sicht von Ärzten und ihren älteren Patienten hin. Diese würden oft weniger an ihrem Diabetes “leiden” als an den therapeutischen Empfehlungen. Sportliche Aktivität etwa würde von den Betroffene nicht selten als Einschränkung ihrer Lebensqualität empfunden, meinte Uebel. Er zitierte die DAWN-Studie (Diabetes Attitudes, Wishes and Needs), in der Patienten ihre Therapieziele für die Diabetes-Behandlung in folgender Reihenfolge nannten:

  • gute Lebensqualität;
  • möglichst wenig Hypoglykämien;
  • Folgekrankheiten vermeiden.

Das sollte beim ärztlichen Vorgehen berücksichtigt werden, das bekanntermaßen oft zu einer umgekehrten Reihenfolge tendiert.

Wie ist die aktuelle Versorgungssituation in Deutschland?

Auf die aktuelle Versorgungssituation in Deutschland ging der Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe Dr. Hans-Martin Reuter aus Jena ein. Demnach gibt es im ambulanten Bereich derzeit 1.100 Schwerpunktpraxen, die ein sehr heterogenes Bild abgeben. Etwa 70-80 % von ihnen sind hausärztlich ausgerichtet, genaue Zahlen liegen allerdings nicht vor. Die Zulassung der Diabetes-Schwerpunktpraxen erfolgt meist nach DMP-Kriterien, die von Bundesland zu Bundesland stark variieren. Nur etwa 50 Praxen sind als Diabetologikum DDG (Behandlungszentrum Stufe 2) zertifiziert. Die doppelte Anzahl, ca. 100 Praxen, verfügt über die Basisanerkennung als Zertifiziertes Diabeteszentrum DDG. Im November 2016 startet eine Strukturerhebung, die der Bundesverband Niedergelassener Diabetologen (BVND) zusammen mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) durchführen wird.

Die stationäre Diabetes-Kompetenz ist laut Reuter schlechter geworden. In vielen Kliniken fehlt eine diabetologische Fachversorgung. In der universitären Ausbildung erscheint der Diabetes mellitus unterrepräsentiert. Es gibt etwa 250 Fachkliniken, ca. 90 Kliniken sind als Diabetologikum DDG anerkannt. Die DRG-Finanzierung wird häufig als nicht lukrativ bzw. unzulänglich empfunden.

Ein Nationaler Diabetesplan muss endlich her – das fordern die Expertenkreise seit langem. Bis es soweit ist, müssen sich die Team-Player in der diabetologischen Versorgungslandschaft noch ohne Hilfe von ganz oben zusammenraufen. Drei Versorgungsebenen sind schon definiert worden: 1) hausärztliche Grundversorgung, 2) diabetologische Schwerpunktpraxis, 3) Spezialklinik.

Überweisungskriterien: vom Hausarzt zur Schwerpunktpraxis und zurück

Nach welchen Kriterien sollte nun der Hausarzt seine Diabetes-Patienten an die Schwerpunktpraxis überweisen? Reuter machte dafür folgende Liste auf:

Bei Diabetes mellitus Typ 1:

  • Dispensaire (allgemein);
  • rezidivierende bzw. mehrfach schwere Hypoglykämien;
  • Pumpenträger mindestens 2x pro Jahr.

Bei Diabetes mellitus Typ 2:

  • HbA1c-Zielwert über 3 aufeinanderfolgende Quartale nicht erreicht;
  • arterielle Hypertonie (Blutdruck > 140/90 mmHg) über 2-3 Quartale;
  • zur Schulung.

Beim pankreopriven Diabetes (Typ 3)

Ferner bei:

  • geplanter oder bestehender Schwangerschaft;
  • Gestationsdiabetes;
  • Diabetikerinnen mit Kinderwunsch zur Beratung und Einstellungsoptimierung;
  • Insulinpumpen-Therapie: Neueinstellung und Kontrolle;
  • vor geplanter stationärer Aufnahme von Diabetikern mit Ausnahme von Notfällen;
  • Therapieumstellung von bereits insulinbehandelten Diabetikern auf intensivierte Insulintherapie;
  • Patienten mit neu entdecktem Diabetes zur intensiven ambulanten Schulung, falls hausärztlich nicht durchgeführt.

Die Rücküberweisung von der Schwerpunktpraxis zum Hausarzt sollte in der Regel nach 2 Quartalen erfolgen und diese Kriterien berücksichtigen:

  • nach abgeschlossener strukturierter Schulung;
  • nach erfolgter Einstellung bzw. Erreichen der individuellen Zielfestlegung;
  • nach Klärung und ggf. Beseitigung der Ursache einer schweren Hypoglykämie, eventuell mit entsprechender Schulung;
  • nach Einleitung der therapeutischen Maßnahmen bei diabetischen Folgeerkrankungen;
  • Erreichen des Zielwerts bei arterieller Hypertonie;
  • nach Entbindung und Ende der Stillzeit;
  • bei diabetischem Fußsyndrom nach Behandlungsabschluss.

Eine Mitbetreuung des Patienten durch die Schwerpunktpraxis ist aus Sicht des Diabetologen in folgenden Fällen empfehlenswert:

  • Patienten mit diabetischem Fußsyndrom;
  • Patienten mit Insulinpumpe;
  • Hochrisikopatienten mit diabetischen Folgeerkrankungen;
  • Kinder;
  • Patienten mit schwieriger Einstellung des Diabetes und starken Blutzuckerschwankungen;
  • Nichterreichen der Therapieziele.

“Die diabetologische Schwerpunktpraxis arbeitet vorzugsweise in einer geordneten Kooperation mit Hausärzten und Fachärzten auf Überweisung”, so Reuter.

Hausärzte und Diabetologen sollten gemeinsame Wege gehen

Der Hausarzt und Diabetologe Uebel sieht in den Schwerpunktpraxen zwar ein gutes Angebot für mobile Patienten, hält die Basistherapie durch Hausärzte aber in vielen Fällen für ausreichend. Der Allgemeinmediziner schilderte in seinem Vortrag die Schwierigkeiten, die sich bei der hausärztlichen Versorgung bettlägeriger Patienten in dekompensierender Pflegesituation ergeben. “Kommen Sie nie auf den Gedanken, Patienten der Schwerpunktpraxen wären vergleichbar mit denen der Hausarztpraxis”, so Uebel. An die Diabetologen appellierte er, gemeinsame Wege mit den Hausärzten zu gehen und dabei nicht Vorteile auf Kosten des Systems und damit letztlich der Primärärzte zu fordern.

Quelle: DDG-Symposium: Der komplexe und multimorbide Diabetespatient: Ganzheitliche Versorgung und Therapiesteuerung durch Allgemein- und Familienmediziner und Diabetologen. 10. Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Nürnberg, 11. November 2016.