Schmerzpatienten haben es nicht leicht. Es vergehen oft Jahre, ehe sie die richtige Hilfe finden. Aber auch Schmerztherapeuten haben es nicht leicht. Es gibt zu wenige und ihre Arbeit wird nicht angemessen vergütet. Was sich ändern sollte und was Mut macht, darüber spricht esanum nun vor dem nächsten Schmerzkongress im Oktober mit dem Präsidenten der Deutschen Schmerzgesellschaft, Prof. Dr. Martin Schmelz, Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle Schmerzforschung am Universitätsklinikum Mannheim.
Prof. Dr. Martin Schmelz Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft
esanum: Die Wissenschaft meldet einen Silberstreif am Horizont – vielleicht gelingt schon bald die wirksame Schmerzbehandlung mit Antikörpern. Wie groß ist die Hoffnung?
Schmelz: Es ist tatsächlich ein Silberstreif am Horizont. Unsere generellen Vorstellungen von chronisch entzündlichen Schmerzen waren bislang sehr einfach gedacht. Eine Entzündung ruft Mediatoren auf den Plan und die machen irgendwie Schmerzen. Man muss also die Entzündung bekämpfen, damit der Schmerz nachlässt.
Nun haben wir gelernt, dass eine chronische Entzündung nicht einfach nur eine Verlängerung der akuten Entzündung ist. Sondern dass die beteiligten Nervenfasern sich durch die Entzündung verändern und empfindlicher werden. Diese Nervenfasern haben eigentlich, wenn sie gesund sind, selbst hemmende Mechanismen.
Aber diese Bremse wird im Zusammenhang mit chronischen Entzündungen gelöst. Dadurch entstehen über entsprechende Mediatoren andauernde Schmerzen. Ein ganz wichtiges Element dabei ist der Nervenwachstumsfaktor. Der löst sozusagen die Bremse.
Hier kommen die Antikörper zum Zuge, sie fischen das Eiweiß Nervenwachstumsfaktor aus dem Ganzen heraus. Antikörper sind allerdings nicht leicht zu dosieren. Die bleiben für Wochen im Blut. Und das ist nicht ganz unproblematisch. Insbesondere bei Gelenkproblemen und gleichzeitiger Gabe von aspirinartigen Medikamenten.
esanum: Die Schmerz-Behandlung mit Antikörpern ist also nicht ausgereift?
Schmelz: Sie wird derzeit noch getestet. Man glaubt jetzt, die Nebenwirkungen in den Griff zu bekommen, indem man die aspirinhaltigen Wirkstoffe weglässt. Es ist eine schwierige Abwägung. In der einen Waagschale ist die Schmerzwirksamkeit, auf der anderen die Gefahr der Verschlechterung in einigen Fällen. Das wurde lange diskutiert. Aber immerhin gibt es jetzt Schmerzmedikamente, die bei Arthrose und Arthritis wirklich funktionieren - zwar nicht ideal, aber immerhin. Über Jahrzehnte hatten wir ja gar keine neuen Schmerzmedikamente. Ob das künftig auch ein Weg zum Beispiel bei Rückenschmerzen ist, muss noch erforscht werden.
esanum: Neu sind auch die Möglichkeiten, die das neue Gesetz zur Verordnung von Cannabis eröffnen. Welche Umsetzungs-Probleme gibt es?
Schmelz: Das Gesetz sollte einen leichteren Zugang ermöglichen für die Patienten, die mit den üblichen Medikamenten nicht ausreichend schmerzfrei werden. Das war bisher ein beschwerlicher Weg über die Bundes-Opiumstelle.
Der wird nun vereinfacht. Aber jetzt anerkennen einige Krankenkassen die bisherigen Ausnahmegenehmigungen von Patienten nicht mehr, die das bereits über Jahre genehmigt bekommen hatten. Sie behaupten zum Beispiel, dass nicht alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Oder sie zweifeln die Verhältnismäßigkeit an.
Die Kassen handhaben das allerdings regional unterschiedlich. In Bayern ist die Ablehnungsquote zum Beispiel geringer. Und es ist auch von Arzt zu Arzt unterschiedlich. Denn nach dem positiven Presseecho sind jetzt viele Patienten geneigt zu sagen, sie möchten das auch mal probieren. Das führt zu einer neuen Belastung für die Schmerzärzte, weil die Erwartungen sehr, sehr hoch sind.
esanum: Schmerzpatienten brauchen oft Jahre, ehe sie in einer angemessenen Behandlung ankommen – warum?
Schmelz: Die Versorgung mit Spezialisten zur Schmerzbehandlung ist schlecht. Es gibt einfach zu wenige. Daher die langen Wartezeiten. Wir kämpfen seit Jahren, das zu verbessern. Einige große Städte sind zwar gut versorgt, große Ladesteile aber nicht. Das bedeutet, dass viele Schmerzpatienten mit weniger gut ausgebildeten Ärzten vorlieb nehmen müssen, die den landläufigen Schmerz auch behandeln, aber die echten Schmerzkranken sind derzeit suboptimal versorgt.
esanum: Warum gibt es so wenige?
Schmelz: Schmerztherapie ist nicht besonders attraktiv. Schmerzpatienten sind zeitaufwendig. Und die Abrechnungsmöglichkeiten sind ungünstig, denn die Leistung ist schwierig darzustellen. Das Ganze muss sich ja auch rechnen. Daher gibt es von einigen Ärzten Versuche, die Behandlung abzukürzen. Zum Beispiel dauert eine klassische stationäre multimodale Schmerztherapie 14 Tage. Dabei arbeiten Psychologen, Ärzte und Physiotherapeuten nach einem Konzept zusammen. Jetzt kann man das geschäftlich betrachten und das in sieben Tagen machen. Da kommt es zu einer Light-Version, die dem Behandler viel bringt, aber dem Behandelten weniger. Das bringt wiederum diejenigen, die sich an das Konzept halten in die Rechtfertigungsnot dafür, warum sie länger brauchen. Das ist ein Kampf. Wenn gesagt wird, wir brauchen mehr Geld, werden davon also nicht nur die „Guten“ profitieren, die das zum Wohl ihrer Patienten nutzen, sondern auch diejenigen, die mit der Schmerztherapie einfach nur Geld machen wollen.
esanum: Auf dem bundesweiten Aktionstag gegen Schmerz haben Sie betont: Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene Schmerzbehandlung. Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit?
Schmelz: Genauso sollte es sein. Aber wenn Sie beispielsweise die Realität in Pflegeheimen nehmen - dort sieht es oft traurig aus. Die Heime haben nicht die Mittel und daher fallen Patienten, die sich nicht mehr gut äußern können, durch das Raster. Dann wird diese Selbstverständlichkeit nicht durchgesetzt. Zum Glück gibt es aber Lichtblicke: Einerseits entsprechende Expertenstandards des Deutschen Netzwerks für Qualität in der Pflege (DNQP) und andererseits etliche Pflegefachkräfte, die sich mit Kursen zum Thema „Pflege & Schmerz“ ergänzend qualifizieren und den ein oder anderen Anbieter, der dies auch wertschätzt.
esanum: Sie fordern, einen Schmerz-Indikator einzuführen – welche Lücken soll der schließen?
Schmelz: Das Ziel ist, dass wir bundesweit eine einheitlich gute Schmerztherapie haben. Dafür brauchen wir Instrumente, die die Qualität der Schmerzbehandlung messbar machen. Also eine standardisierte Abfrage. Viele Krankenhäuser machen das schon, aber alle ein bisschen unterschiedlich. Wenn wir das standardisieren, werden die Leistungen vergleichbar. Und man könnte die Bezahlung daran knüpfen, dass die Qualitätskriterien eingehalten werden.
esanum: Was soll jetzt passieren?
Schmelz: Zu jeder Operation muss gehören, dass wir zeigen können, dass die Schmerzbehandlung auf einem guten Niveau stattfindet. Dann erst ist die OP gelungen und kann entsprechend bezahlt werden. Der Gesetzgeber muss den Schmerzindikator jetzt anstoßen, und der GBA muss das dann verpflichtend machen.
esanum: Wie kommt es, dass manche Krankenhäuser kein gutes Schmerzmanagement haben?
Schmelz: Den Normalschmerz nach einer Operation haben die Chirurgen gut im Griff. Wenn allerdings nach Schema F vorgegangen wird und alle Patienten dasselbe Medikament bekommen, werden viele gut behandelt, aber ein gewisser Teil, der eventuell vorher schon Schmerzen hatte, der bereits Schmerzmedikamente genommen hat – dem geht es nicht so gut. Diese Patienten haben dann mehr Schmerz und werden eventuell übersehen, solange der Schmerzindikator nicht verpflichtend ist.
esanum: Ist bei allen Ärzten genug Wissen über diese Dinge vorhanden?
Schmelz: Die Aussichten sind gut. Schmerz ist in der Ausbildung als Querschnittsfach seit diesem Jahr verpflichtend. Das heißt, die Ausbildung wird besser. Was nicht so gut ist, ist derzeit das Wissen darüber, wie man den Patienten erkennt, der einer besonderen Behandlung bedarf.
esanum: Was muss sich für die Niedergelassenen ändern?
Schmelz: Allein die geringe Anzahl ist ein Problem. Wie können wir die erhöhen? Natürlich müssen wir werben, die Ausbildung verbessern. Es gibt einen Kampf, das Gebiet als Facharzt zu etablieren. Das ist aber kompliziert und wäre letztendlich keine Erfolgsstrategie, weil es zu Überschneidungen mit der Anästhesie kommen könnte.
Zum anderen würde es das Problem der Unterversorgung in der Fläche nicht lösen. Hier bauen wir auf bessere Netzwerke, in denen auch diejenigen Ärzte, die heute schon im Rahmen der speziellen Schmerztherapievereinbarung mit der KV an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen. Ein großes Thema dabei ist natürlich auch die Abrechnungssituation.
Im Vergleich – beispielsweise zu vielen operativ tätigen Fächern - werden Schmerztherapeuten, die besonders multimodal aktiv sind - krass unterbezahlt. Zudem sind Ihre Scheine pro Quartal sehr limitiert, um auch genug Zeit für die Patienten übrig zu haben. Die Möglichkeiten sind also sehr begrenzt - aber die Zeit, der Aufwand pro Schmerzpatient sind sehr hoch. Das alles führt dazu, dass es wenig neue Niederlassungen gibt. Wir sorgen uns sehr, wie es weiter geht, wenn die älteren Kollegen in den Ruhestand gehen.
esanum: Wie wollen Sie gegensteuern?
Schmelz: Die Deutsche Schmerzgesellschaft setzt sowohl auf Ausbildung als auch auf Struktur. Es müssen Bedingungen und gesetzliche Vorgaben geschaffen werden, die eine Gesamtstrategie ergeben, um die Situation der Schmerztherapeuten zu verbessern und die besten Behandlungskonzepte für die Patienten durchzusetzen.
Dafür brauchen wir bessere politische Vorgaben. Das ist natürlich ein langer Weg. Im Moment kümmern wir uns darum, das Thema Schmerz in die kommenden Koalitionsverhandlungen hinein zu bekommen. Mein Eindruck von den Politikern und der Arbeit im Parlament hat sich deutlich verbessert, seit ich öfter mit ihnen zu tun habe, zum Beispiel beim parlamentarischen Frühstück. Unsere politischen Gegenüber sind gut informiert und sehr interessiert an unseren Problemen und Sichtweisen - quer durch die Parteien. Ich erwarte, dass wir so die nötige Unterstützung bekommen.