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Schlappe im Auftaktspiel: Ohne Motivation läuft nichts

Haben die Fußballhelden von Rio ihren Siegeshunger verloren? Sind sie zu satt? Aus rein wissenschaftlicher Sicht könnte etwas dran sein. Prof. Dr. Hans-Peter Thier (65) erklärt, wie wichtig die richtige Motivation beim Fußball ist.

Das deutsche Fußball-Nationalteam hat im WM-Auftaktspiel gegen Mexiko nicht gerade eine Glanzleistung gezeigt. Haben die Fußballhelden von Rio etwa ihren Siegeshunger verloren? Sind sie zu satt? Aus rein wissenschaftlicher Sicht könnte etwas dran sein. Prof. Dr. Hans-Peter Thier (65) erklärt, wie wichtig die richtige Motivation beim Fußball ist. Der Neurobiologe leitet die Abteilung für Kognitive Neurologie am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, in der höhere Hirnleistungen untersucht werden. Mit diesen Erkenntnissen versuchen die Wissenschaftler, die komplexen Folgen von Hirnerkrankungen besser zu verstehen.

Die Wahrheit liegt auf dem Platz, heißt es – und die zeigt sich auch, wenn es um die Motivation geht: Spielt da jemand, der nur sein Standardprogramm abspult, oder legt er immer wieder eine Schippe drauf? Für Neurobiologe Prof. Thier fast schon ein Dilemma: "Als Spieler muss man den unbedingten Willen haben zu gewinnen, um erfolgreich zu sein. Nur leider sind Teams, die immer wieder Titel erringen, irgendwann übersättigt – für sie ist es einfach nicht mehr ausreichend wichtig, wieder zu gewinnen." Damit die deutsche Mannschaft nach vier WM-Titeln nicht in diese Falle gerate, sei es ein kluger Schachzug von Bundestrainer Jogi Löw gewesen, sowohl erfahrene Profis als auch hungrige junge Spieler mit nach Russland zu nehmen, so der Kognitionsforscher. "Das Entscheidende ist dabei nicht das Alter der Spieler, sondern ihre Erfahrung, das Ausmaß an Zufriedenheit und auf der anderen Seite die Gier, etwas erreichen zu wollen."

Liegt der Ball im Tor, verändert sich die Motivationslage

Doch woran liegt es, dass die kognitive Ermüdung, also der Verlust an Motivation und Interesse, im Sport eine so große Rolle spielt? Prof. Thier: "Wir führen Bewegungen mit maximalem Einsatz aus, wenn das Ziel neu und wichtig ist. Aber Bekanntes wird schnell langweilig, die Bewegung verliert an Bedeutung und wird nicht mehr mit dem nötigen Einsatz ausgeführt." So wie beim Schuss aufs Tor: Der Ball muss im richtigen Augenblick mit der richtigen Geschwindigkeit gespielt werden, dabei die richtige Richtung nehmen und den Torwart durch eine unerwartete Flugbahn überraschen. "Ein motivierter Spieler wird dafür alle Ressourcen mobilisieren", sagt Prof. Thier. Doch landet der Ball dann im Tor, verändert sich die Lage. "Der Torschütze dürfte ein Stück weit den Appetit verlieren und seine Bewegungen beim nächsten Mal möglicherweise mit weniger Einsatz kontrollieren", weiß Prof. Thier und verweist auf seine Forschung: "Wir schauen uns unter Laborbedingungen relativ simple Bewegungen an und sehen, dass sie durch ein überraschend großes Maß an Variabilität gekennzeichnet sind." Man bewegt sich mal ein bisschen schneller, mal ein bisschen langsamer, obwohl es optimal wäre, sich immer mit maximaler Geschwindigkeit auf das Ziel hin zu bewegen.

Der Nutzen der Bewegung wird jedes Mal aufs Neue kalkuliert

"Diese Variabilität kommt daher, dass der Nutzen der Bewegung jedes Mal aufs Neue kalkuliert wird", sagt der Forscher: Lohnt es sich, so viel Energie zu investieren? Ist das Ziel wirklich noch so wichtig? Vielleicht erreiche ich es auch, wenn ich mich nicht mehr so sehr bemühe? "Wir müssen mit dem, was uns zur Verfügung steht, haushalten", begründet Prof. Thier dieses ständige Abwägen. "Wenn wir ständig unter Volldampf stünden, wären unsere Energieressourcen rasch erschöpft. Deswegen wird als Ergebnis eines evolutionsbiologischen Optimierungsprozesses jede Bewegung neu bewertet." Das Abwägen, wie viel investiert werden muss, erfolgt unbewusst. "Letztlich reicht die Zeit gar nicht, sich die nötigen Abwägungsprozesse bewusst zu machen", so der Forscher.

Spanien, Brasilien oder doch Deutschland?

Eine Prognose, wer Fußball-Weltmeister wird, hat Prof. Thier anhand der Motivationslage der Teams parat: "Ich habe das Spiel der Spanier gegen die deutsche Nationalmannschaft gesehen und war beeindruckt von der Qualität der Spanier. Hier gibt es genügend junge Spieler mit ausreichender Motivation. Aber vor allem bei den Brasilianern dürfte die Motivation besonders hoch sein: Nach dem Desaster der 1:7-Niederlage gegen die deutsche Mannschaft vor vier Jahren vor heimischem Publikum ist man natürlich gierig, diese Scharte auszuwetzen.“ Aber der Wissenschaftler hält auch die Deutschen trotz der Schlappe im Auftaktspiel nicht für chancenlos: „Dem Bundestrainer kann es aus meiner Sicht aufgrund seiner Erfahrung noch gelingen, aus der Mischung erfahrener und junger Spieler eine geschlossene und hochmotivierte Mannschaft zu formen.“

Quelle: Gemeinnützige Hertiestiftung