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“Verschwiegenheit ist der Grundpfeiler des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient”

Rechtsanwalt Matthias Kümpel über das Vorgehen der Ermittler im Fall des Germanwings-Piloten Andreas Lubitz, die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht und Folgen bei Verstößen für den Arzt Der mut

Rechtsanwalt Matthias Kümpel über das Vorgehen der Ermittler im Fall des Germanwings-Piloten Andreas Lubitz, die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht und Folgen bei Verstößen für den Arzt

Der mutmaßlich für den Absturz der Germanwings-Maschine verantwortliche Co-Pilot Andreas Lubitz soll unter Depressionen gelitten haben. Doch warum durfte der Pilot trotz einer psychischen Erkrankung fliegen? Hätten die behandelnden Ärzte nicht das Luftfahrtbundesamt und den Arbeitgeber Germanwings informieren müssen, bevor es zu dieser Katastrophe mit 150 Toten in den Alpen kam? Sind die Ärzte verpflichtet, Unterlagen über Andreas Lubitz der Staatsanwaltschaft zu übergeben? Das Bedürfnis nach Aufklärung ist groß.

“Im Fall des Germanwings-Piloten ist nach dem Gesetz kein Grund für die Herausgabe der Informationen an die Staatsanwaltschaft ersichtlich”, erklärt Rechtsanwalt Matthias Kümpel im esanum-Interview, der das Vorgehen der Ermittlungsbehörden kritisch hinterfragt. “Die Verschwiegenheit des Arztes ist der Grundpfeiler des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient” und ein Arzt dürfe Informationen, die er aufgrund der Behandlung erhält, nur offenbaren, wenn entweder eine Einwilligung des Patienten vorliegt oder aber eine gesetzliche Befugnis oder Verpflichtung eingreift. Das sei bei dem Germanwings-Piloten nicht der Fall, argumentiert der Aschaffenburger Experte für Medizin- und Strafrecht.

esanum: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf soll bei Ärzten des Co-Piloten der abgestürzten Germanwings-Maschine nachträglich auf eine Herausgabe der Krankenakten gedrängt haben. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?

Kümpel: Es ist äußerst kritisch zu betrachten, wenn staatliche Ermittlungsbehörden Ärzte bzw. Krankenhäuser zu einem Verstoß gegen die strafbewehrte Schweigepflicht und damit zu rechtswidrigem Verhalten motivieren wollen. Es besteht sicherlich ein beachtliches Interesse der Hinterbliebenen und der Öffentlichkeit an der Aufklärung der Absturzursache. Im Fall des Germanwings-Piloten ist nach dem Gesetz aber kein Grund für die Herausgabe der Informationen an die Staatsanwaltschaft ersichtlich.

Der Bruch der Schweigepflicht lässt sich hier weder mit einem rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB begründen, noch dient die Informationsweitergabe in diesem Fall der Verhinderung von schweren Straftaten (§ 138 StGB) oder liegt sonst eine Rechtsgrundlage vor.

Im Einzelfall steht der Arzt vor einer schwierigen Gewissensentscheidung. Er riskiert eine Strafbarkeit gemäß § 203 StGB sowie berufsrechtliche Folgen, wenn er Informationen oder Behandlungsunterlagen ohne Schweigepflichtentbindung des Patienten bzw. ohne Gesetzesgrundlage herausgibt.

esanum: Was umfasst die ärztliche Schweigepflicht genau? Was darf ein Arzt? Und was nicht?

Kümpel: Die Verschwiegenheit des Arztes ist der Grundpfeiler des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient, das wiederum zu den elementaren Voraussetzungen einer erfolgreichen Behandlung gehört. Der in medizinischen Dingen oft Unwissende, um seine Gesundheit besorgte und damit schutzbedürftige Patient wird sich einem Arzt nur dann in voller Offenheit anvertrauen können, wenn er sicher sein kann, dass der Arzt von seinem Wissen nur zu Behandlungszwecken Gebrauch macht und es ansonsten für sich behält. Rechtsgrundlage der ärztlichen Schweigepflicht sind § 203 StGB und § 9 MBO  in der Fassung der jeweiligen Berufsordnung der Landesärztekammer.

Der Arzt darf hiernach Informationen, die er aufgrund der Behandlung erhält, nur offenbaren, wenn entweder eine Einwilligung des Patienten vorliegt oder aber eine gesetzliche Befugnis oder Verpflichtung eingreift.

Dabei unterfällt der ärztlichen Schweigepflicht alles, was dem Arzt „als Arzt“ anvertraut oder sonst bekannt geworden ist, und zwar über den Tod des Patienten hinaus. § 9 Abs. 2 MBO rechnet dazu schriftliche Mitteilungen des Patienten, Aufzeichnungen über Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde.  Die Schweigepflicht gilt gegenüber jedermann außerhalb des geschützten Arzt-Patient-Verhältnisses. Hierzu zählen auch Angehörige des Patienten, ebenso wie die Eltern des Minderjährigen, der Arbeitgeber des Patienten und die ärztlichen Kollegen und Familienangehörige.

Weiterhin bestimmt § 9 Abs. 4 MBO: Wenn mehrere Ärzte gleichzeitig oder nacheinander denselben Patienten untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der Schweigepflicht insoweit befreit, falls das Einverständnis des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist. Von einer stillschweigenden Einwilligung kann ausgegangen werden, wenn der Patient die ihm bekannte Mit- oder Nachbehandlung durch andere Ärzte (den Notarzt im Krankenhaus, den Konsiliararzt) akzeptiert.

esanum: In welchen Fällen kann die ärztliche Schweigepflicht aufgehoben werden?

Kümpel: Bei ausdrücklicher, konkludenter oder mutmaßlicher Einwilligung des Patienten kann der Arzt das Patientengeheimnis offenbaren. Eine konkludente Einwilligung liegt vor, wenn der Patient aufgrund der Umstände von einer Informationsweitergabe durch den Arzt an Dritte ausgehen muss und dieser nicht widerspricht. Eine mutmaßliche Einwilligung ist gegeben, wenn eine Einwilligung bei objektiver Würdigung aller Umstände mit Sicherheit zu erwarten ist, da die Informationsweitergabe entweder im Interesse des Patienten liegt oder schutzwürdige Interessen des Betroffenen offensichtlich nicht berührt. Vorrangig ist eine ausdrückliche Erklärung des Patienten, am besten schriftlich zu beschaffen, nur wenn diese nicht eingeholt werden kann, sollte mit einer konkludenten oder mutmaßlichen Einwilligung argumentiert werden.

Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht sind weiterhin gegeben, wenn dies in gesetzlichen Vorschriften geregelt ist, dann besteht eine Pflicht bzw. das Recht des Arztes zur Offenbarung.

Der Arzt ist so berechtigt, sein Schweigen zu brechen, wenn es klare Anzeichen dafür gibt, das ein Patient zur Gefahr für sich oder andere wird. Geplante schwere Straftaten wie Mord, Totschlag, Menschenhandel muss er bei der Polizei anzeigen, wenn er hiervon erfährt, um sich nicht selbst strafbar zu machen (§ 138 StGB). Zu nennen sind hier Fälle ernstlich angekündigter Suizidalität, bei denen der Arzt im Rahmen der Rechtsgüteabwägung gemäß § 34 StGB berechtigt ist, die Polizei bzw. Dritte zu informieren, um die Suizidverwirklichung zu verhindern.

Der Arzt ist auch berechtigt über eine Aidserkrankung des Lebenspartners und die bestehende Ansteckungsgefahr aufzuklären, wenn der Kranke erkennbar uneinsichtig ist und selbst die Bekanntgabe  verbietet. Ist der Lebenspartner ebenfalls Patient des gleichen Arztes, so muss der Arzt den Patienten entsprechend unterrichten, dies entschied das OLG Frankfurt am Main im Jahr 1999.

Im Falle von Kindesmisshandlungen ist der Arzt befugt, das Jugendamt zu informieren, wenn ihm in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit die Gefährdung eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt werden. Zunächst ist die Situation vorrangig mit dem Kind und dem Personensorgeberechtigten zu erörtern und auf Inanspruchnahme von Hilfen durch diese selbst hinzuwirken. Sofern dies aber nicht zielführend ist, kann der Arzt die Schweigepflicht brechen, sollte aber die Betroffenen vorab darüber informieren, sofern hierdurch nicht der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird (§ 4 Abs. 1 KKG-Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz).

Maßgeblich ist hier im Einzelfall die gewissenhafte Abwägung und Prüfung durch den Arzt selbst, so dass diesem in Grenzfällen ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielraum zuzubilligen ist.

Es gibt verschiedene weitere gesetzliche Offenbarungspflichten, welche den Arzt zur Offenbarung des Patientengeheimes berechtigen und manchmal auch verpflichten.

So im Fall des Vorliegens meldepflichtiger Erkrankungen und Krankheitserreger (§§ 6 – 12 des Infektionsschutzgesetztes). Nach § 7 TransplantationsG muss der behandelnde Arzt eines Patienten einem Arzt, der eine Organentnahme zu Transplantation beabsichtigt, Auskunft darüber erteilen, ob der Organentnahme medizinische Gründe entgegenstehen.

Die in der Praxis häufig relevanten  Auskunftspflichten bestehen gegenüber den Trägern der Sozialversicherung (§§ 100, 101 SGB X). Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte haben den Krankenkasse und auch dem MDK (§ 276 Abs. 2 SGB V) bestimmte, im Gesetz näher bezeichnete Unterlagen über die durchgeführte Behandlung etc. zu übermitteln (§§ 294 ff. SGB V). Bei Arbeitsunfällen sind Auskünfte an die Träger der gesetzliche Unfallversicherung zu übermitteln (§§ 201 ff. SGB VII).

Zur Wahrung berechtigter Interessen kann zum Zwecke der gerichtlichen Durchsetzung von ärztlichen Honorarforderungen gegenüber einem Patienten, von der Schweigepflicht abgewichen werden. Bei Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den Arzt kann dieser sich u. Umst. nur durch die Offenbarung des Patientengeheimnisses effektiv verteidigen, so dass er hierzu berechtigt ist.

Es empfiehlt sich in diesen Fällen jedoch, zuvor qualifizierten Rechtsrat durch einen im Medizinrecht spezialisierten Rechtsanwalt einzuholen.

esanum: Welche Möglichkeiten haben Unternehmen und öffentliche Stellen, sich über den Gesundheitszustand von Mitarbeitern oder Bürgern zu informieren?

Bei bestimmten Berufen wie beispielsweise Pilot könnte ein berechtigtes Interesse daran bestehen, dass es eine Kontrolle gibt.

Kümpel: Behörden haben eine Recht auf Übermittlung von Informationen, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, nur in den genannten Einzelfällen, wenn hierzu eine konkrete gesetzliche Grundlage gegeben ist. Im Zweifel sollte der Arzt hier nach der speziellen Rechtsgrundlage fragen, da die einzelnen Vorschriften sich leider verstreut  in den verschiedensten Gesetzen finden.

Private Unternehmen haben kein Recht Informationen über den Gesundheitszustand von Patienten zu erhalten, so dass hier eine Auskunft tunlichst und absolut zu unterbleiben hat. Insbesondere die Diagnose die zur Annahme von Arbeitsunfähigkeit unterfällt der natürlich der Schweigepflicht.

Wenn seitens der Staatsanwaltschaft Düsseldorf auf die Herausgabe von Patientenakten des verstorbenen Co-Piloten gedrängt wird,  ist dieses Vorgehen wie bereits erläutert, nach aktueller Gesetzeslage so nicht akzeptabel. Da es aber in bestimmten Fällen jedoch präventiv wichtig sein kann, zu erfahren, ob Piloten, Zugführer, Busfahrer etc. bei deren Tätigkeit  eine Gefahr für andere resultieren kann, an schwerwiegenden Erkrankungen leiden, wird gegenwärtig eine politische Diskussion um eine Beschränkung der ärztlichen Schweigepflicht für bestimmte Berufsgruppen geführt. Die Folge einer solchen Lockerung kann aber bedeuten, dass sich die Betroffenen Personen, aus Angst vor Jobverlust oder Stigmatisierung dann erst gar nicht in ärztliche Behandlung begeben und so unbehandelt ihrer Erkrankung ausgeliefert wären. Dies gilt in besonders hohem Maße  für die Gebiete der Psychiatrie und Psychotherapie

esanum: Patienten erwarten von ihren Ärzten im Internet und in sozialen Netzwerken einen guten Service und eine möglichst offene Kommunikation. Gleichzeitig gilt die Schweigepflicht. Wie sollen sich Ärzte aus Ihrer Sicht im Internet verhalten?

Kümpel: Die ärztliche Schweigepflicht gilt absolut, also auch im Internet, den sozialen Netzwerken, oder bei sonstigen Kommunikationswegen wie diese über Smartphones in Form von SMS oder Messenger (z.B. WhatsApp) genutzt werden. Es dürfen unabhängig von der Frage, ob auf diesem Wege überhaupt der Datenschutz und die Vertraulichkeit zu gewährleisten sind, vom Arzt an Dritte nur anonymisierte Informationen übermittelt werden, aus denen niemand auf den konkreten Einzelfall eines Patienten Rückschlüsse ziehen kann.

esanum: Es bedarf im Internet nicht der Nennung eines Klarnamens, um eine Person zu identifizieren. Wo ist für Ärzte Vorsicht geboten?

Kümpel: Sofern aus den mitgeteilten Umständen ein Rückschluss auf einzelne Personen auch ohne Namensnennung möglich ist, verbietet sich für den Arzt jegliche Information, die es dem Adressaten ermöglicht, die Identität eines Patienten festzustellen. Das Internet ist als Universalmedium und Kommunikationsplattform unabdingbar, und sollte auch zur Stärkung der Arzt-Patienten-Beziehung durch die Mediziner genutzt werden. Dabei gilt für den Arzt jedoch nichts anderes, als bei jedem anderen Kommunikationsweg, die Schweigepflicht und die Vertraulichkeit sind absolut zu wahren.

esanum: Mit welchem Strafmaß muss ein Arzt rechnen, der gegen die Schweigepflicht verstößt?

Kümpel: Das Strafgesetzbuch sieht in § 203 StGB Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Weiterhin muss der Arzt auch mit berufsrechtlichen Konsequenzen rechnen, da ein Verstoß der Schweigepflicht regelmäßig seitens der Ärztekammern zum Anlass genommen wird, ein berufsrechtliches Verfahren einzuleiten.


Matthias Kümpel ist Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Medizinrecht und Strafrecht.

Bendel & Partner sind eine der führenden Kanzleien für Wirtschaftsrecht in Franken. Mit 28 Rechtsanwälten in Würzburg, Schweinfurt und Aschaffenburg berät die Kanzlei kleine, mittelständische und große Unternehmen sowie Privatpersonen bundesweit in allen Fragen des Wirtschaftsrechts.

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