Die Patienten wollten sanfte Hilfe, und bekamen laut Anklage harte Medikamente. In Paderborn steht bald eine Ärztin vor Gericht. Doch die Frau streitet alles ab, und die Beweislage ist kompliziert.
Die Patienten wollten naturheilkundliche Mittel – und bekamen laut Anklage Cortison verabreicht. Das Landgericht Paderborn befasst sich in den kommenden Monaten mit einem komplexen Strafverfahren gegen eine Ärztin. Die 45-Jährige muss sich von Freitag an wegen gefährlicher Körperverletzung in 1773 Fällen verantworten. Sie soll mehr als 500 Patienten ohne deren Wissen mit dem schulmedizinischen Wirkstoff Cortison behandelt haben.
Die Angeklagte aus Paderborn hatte sich in der Region mit der Behandlung von Allergien mit naturheilkundlichen Mitteln einen Namen gemacht. Doch 2010 nahm die Staatsanwaltschaft Paderborn Ermittlungen auf, nachdem eine Medizinerin bei ihrem Kind nach einer Behandlung durch die Allgemeinärztin auffällig schnell eine Linderung der Symptome feststellte. Bei einer Laboruntersuchung wurden bei dem Kind Rückstände von Cortison gefunden. Die behandelnde Ärztin hingegen stritt einen Einsatz des Mittels ab, dessen Gabe bei Kindern unter 14 Jahren untersagt ist.
Im Zuge der mehrere Jahre andauernden Ermittlungen kam die Staatsanwaltschaft auf die Zahl von 522 Patienten, die ihre Allergien oder Neurodermitis-Erkrankungen von der 45-Jährigen mit vermeintlichen Eigenblutbehandlungen hatten therapieren lassen wollen.
In insgesamt 1773 Fällen soll die Ärztin dabei Cortison ohne Wissen der Patienten eingesetzt haben. 150 der Behandelten sind Kinder oder Jugendliche. Die Staatsanwaltschaft Paderborn ging zum Zeitpunkt der Anklageerhebung Mitte 2012 davon aus, dass annähernd 200 Patienten aufgrund der Cortison-Gaben körperliche Beeinträchtigungen erlitten haben, darunter Wachstumsverzögerungen und Osteoporose. Die Anklage listet auch 830 Fälle von gewerbsmäßigem Betrug auf, da die Ärztin die cortisonhaltigen Spritzen als homöopathische Substanzen abgerechnet haben soll.
Die Angeklagte bestreitet die Vorwürfe. Die 4. Zivilkammer des Landgerichts hat in den vergangenen Monaten bereits zahlreichen Schadenersatzklagen von Patienten stattgegeben. Die Urteile seien jedoch noch nicht rechtskräftig, wie Gerichtssprecher Bernd Emminghaus sagte. Er geht von einer schwierigen und langwierigen Beweisaufnahme in dem Strafverfahren aus. «Einen so umfangreichen Fall aus dem Bereich der Medizin hatten wir noch nicht», sagte Emminghaus. Bis Juni sind zunächst 20 Verhandlungstage angesetzt.
Der Verteidiger der Ärztin, Torsten Gieseke aus Bielefeld, hält es für sehr fraglich, dass sich die Vorwürfe gegenüber seiner Mandantin beweisen lassen. Nur bei etwa 80 Patienten sei Cortison nachgewiesen worden, dies aber bei einer Untersuchung mehrere Monate nach der Behandlung. Dies könne auch auf anderweitigen Einsatz cortisonhaltiger Medikamente zurückzuführen sein.
Text: dpa/fw