Auch auf dem Kongress "Viszeralmedizin" der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), der vom 13. bis 16. September in Dresden stattfand, durfte eine Veranstaltung zu den Guidelines nicht fehlen.
Während in den letzten Jahren der Fokus auf der Neuentwicklung der Leitlinien lag, standen dieses Jahr die Aktualisierungen auf dem Programm: Neue, versorgungsrelevante Themengebiete sollten integriert, praxisrelevante Themen wie z. B. die Ergebnisse der Nutzenbewertung eingearbeitet und Qualitätsindikatoren definiert werden. Fünf Experten stellten die Änderungen für ihre jeweiligen Spezialgebiete vor.
Gastrointestinale Blutungen sind häufig. Ihr klinisches Spektrum reicht von der nur laborchemisch fassbaren Anämie bis hin zur fulminanten Blutung mit Schock und erfordert ein differenziertes Vorgehen vom ersten Verdacht über die Akutversorgung bis hin zur Prävention einer erneuten Blutung. "Bevor wir das Endoskop zücken, gilt es eine ganze Reihe von Dingen zu beachten", betonte Prof. Martin Götz vom Universitätsklinikum Tübingen, "deshalb wurde bei den Leitlinien besonderer Wert auf das präendoskopische Management gelegt".
Bei vermuteter nicht-variköser oberer gastrointestinaler Blutung sollten Protonenpumpenhemmer als intravenöse Bolusgabe (80mg i.v.) verabreicht werden. Bei vermuteter variköser Blutung kann man PPIs kurzzeitig, aber nicht als Dauermedikation geben. Bei begründetem Verdacht auf eine akute Varizenblutung soll noch vor der Endoskopie eine intravenöse Antibiotika-Therapie begonnen werden.
Für die Primärtherapie gibt es keine wesentlichen Neuerungen. Bei gastroduodenaler Ulcusblutung sollte bei vertretbarem Risiko bereits in der Notfallendoskopie eine bioptische Helicobacter pylori Diagnostik erfolgen. Eine Notfallendoskopie zur Blutstillung ist auch unter Thrombozyten-Aggregationshemmung oder Antikoagulantien möglich und sinnvoll.
Komplett neu ist die Empfehlung, dass bei Vorhofflimmern und Pausieren der Antikoagulation keine Überbrückungstherapie ("bridging") mehr induziert ist. Ebenso gestrichen wurde die regelhafte Second-Look-Endoskopie nach gastrointestinaler Blutung.
Autoimmune Lebererkrankungen stellen Kliniker vor diagnostische und therapeutische Herausforderungen. Denn die Erkrankungen, zu denen unter anderem die autoimmune Hepatitis (AIH), die primär biliäre Cholangitis (PBC) und die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) zählen, verursachen oft über lange Zeit hinweg keine, oder nur sehr unspezifische Symptome wie Müdigkeit oder Juckreiz. Oft werden sie deshalb erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt – mit ungünstigen Folgen für Verlauf und Prognose.
Die neue Leitlinie, die von Prof. Christoph Schramm vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf vorgestellt wurde, widmet sich ausführlich der Diagnose. Fast immer sind es auffallende Blutwerte, über die die Erkrankungen zufällig entdeckt werden. Um zu einer sicheren Diagnose zu gelangen, empfiehlt die Leitlinie das klinische Bild, Ultraschallbefunde, spezifische Bildgebung und, bei Verdacht auf AIH, auch eine Leberbiopsie vorzunehmen. Bei PBC oder PSC ist die Leberbiopsie zur Sicherung der Diagnose nur in Zweifelsfällen angezeigt.
Bei der autoimmunen Hepatitis muss eine Immunsuppression erfolgen. Während andere nationale Leitlinien – etwa in den USA, Großbritannien oder der europäischen Lebergesellschaft (EASL) – empfehlen, unterhalb bestimmter Entzündungswerte auf die Gabe von Kortikosteroiden zu verzichten, nennt die DGVS-Leitlinie keine konkreten Grenzwerte. "Es ist im Sinne des Patienten, in diese Entscheidung auch andere Risikofaktoren, wie etwa das Alter oder histologische Veränderungen, einzubeziehen", bemerkte Schramm. Ärzte sollten eine Kortikosteroidgabe auch bei neu diagnostizierten Patienten mit niedrigen Entzündungswerten in Betracht ziehen. So ließen sich mögliche Krankheitsschübe zunächst einmal verhindern, bis eine Remission erreicht sei und auf andere immunsupprimierende Strategien gewechselt werden könne.
Die weiteren Behandlungsempfehlungen lauten: Bei der AIH sollten eine lebenslange Verlaufskontrolle, aber keine routinemäßigen Biopsien zur Evaluation des Therapieansprechens erfolgen. Eine Knochendichtemessung kann durchgeführt werden, aber eine TPMT-Aktivitätsbestimmung wird nicht mehr allgemein empfohlen. Azathioprin in der Schwangerschaft ist nun – unter Abwägung der Nebenwirkungen – erlaubt.
Bei der primären biliären Cholangitis kann die Diagnose mit recht hoher Spezifität über den Nachweis von antimitochiandralen Antikörpern (AMA) im Blut gestellt werden. Für Patienten mit unzureichendem UDCA-Ansprechen ist eine Zweitlinientherapie mit Obeticholsäure (OCA) in Kombination mit UDCA zugelassen. Bei UDCA-Intoleranz kann OCA auch als Monotherapie eingesetzt werden – allerdings erst nach sorgfältiger Bewertung des individuellen Progressionsrisikos.
Die primäre sklerosierende Cholangitis ist bis zu 85 % mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung assoziiert. Deshalb ist zur Diagnosestellung eine Koloskopie wichtig, bei der auch Stufenbiopsien entnommen werden. Bei einer unvollständigen Drainage der Gallenwege ist eine Antibiotikaprophylaxe angezeigt. Eine Abdomensonographie soll bei PSC-Patienten alle 6-12 Monate, eine MRT-Untersuchung als Verlaufskontrolle alle 12 bis 24 Monate durchgeführt werden. Beim gleichzeitigen Vorliegen einer CED sind jährliche Koloskopien nötig.
Die akute Hepatits C muss normalerweise nicht behandelt werden, auf keinen Fall mit Interferon.
Für die chronische Hepatitis C ist durch die Zulassung der direkt antiviral wirksamen Medikamente die Behandlung stark verkürzt und vereinfacht worden. Die Interferon-basierte Therapie wird nicht mehr als Standardtherapie empfohlen, berichtete Prof. Christoph Sarrazin vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main.
Praktisch alle zugelassenen Medikamente erreichen mit einer kurzen und fast nebenwirkungsfreien Therapie einen Wirkungsgrad von mindestens 95 %. Allerdings ist die Auswahl zwischen den Regimen aufgrund von Preisunterschieden, unterschiedlicher Effektivität und Verträglichkeit komplex. Berücksichtigt werden müssen die verschiedenen Genotypen, der Zirrhosestatus und die Medikamenteninteraktionen. Außer für Patienten mit fortgeschrittener Fibrose oder Zirrhose wird die Überwachung in den neuen Leitlinien stark reduziert.
In Deutschland sind vermutlich 500.000 Personen mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infiziert, aber die wenigsten sind diagnostiziert. Die meisten müssen nicht behandelt werden, doch in den schlimmsten Fällen drohen Leberzirrhose oder ein hepatozelluläres Karzinom (HCC). Die aktualisierten Leitlinien zu dieser Erkrankung stellte Prof. Markus Cornberg von der Medizinischen Hochschule Hannover vor.
Die Phase extrem hoher HBV-Replikation ohne entzündliche Aktivität, die vor allem bei sehr jungen Patienten anzutreffen ist, wurde bisher als "immuntolerante Phase" bezeichnet. Nun wird sie "hochreplikative HBV-Infektion" genannt. Hier besteht nach wie vor keine medizinische Indikation für eine antivirale Behandlung – sofern die Patienten unter 30 Jahre alt sind und keine weiteren Risikofaktoren aufweisen.
Im Fall einer Schwangerschaft sollte mit Tenofovir behandelt werden, um das Risiko einer vertikalen Transmission auf das Neugeborene zu reduzieren. Mit der Zulassung des neuen: Tenofovir Alafenamid (TAF) steht auch für Patientinnen mit Osteoporose, Niereninsuffizienz und LAM- oder ETV-Resistenz ein Wirkstoff mit weniger Nebenwirkungen zur Verfügung. Auch Stillen ist während der antiviralen Therapie möglich. Doch soll die Mutter über die bislang wenig bekannten Risiken einer geringen Nukleos(t)idanaloga-Exposition der Kinder aufgeklärt werden.
"Einmal HBV – immer HBV ist ein ganz wichtiger Merksatz, der dazu veranlassen sollte, jeden Patienten vor Therapiebeginn mit Immunsuppressiva auf HBsAg und auch anti-HBc zu testen," betonte der Hepatologe. Ein negativer HBsAg-Befund könne aber nicht als Heilung gewertet werden, denn "die meisten Patienten benötigen eine lebenslange Therapie".
Alle HBsAg-positive Patienten müssen während und nach der HCV-Therapie überwacht werden. Eine Prophylaxe zur Verhinderung einer HBV-Reaktivierung ist in der Regel nicht nötig. Dennoch: "Man muss immer auch an eine HBV-Reaktivierung denken – vor allem unter einer Rituximab- und einer Hepatitis C-Behandlung", unterstrich Cornberg. In diesem Fall sollte eine antivirale Therapie eingeleitet werden. Und zum Schluss appellierte der Hannoveraner eindringlich an das Publikum: "Hepatitis Delta nicht vergessen!!"
Weitere aktuelle Berichterstattung vom Kongress Viszeralmedizin 2017 finden Sie hier.