Den Weg für die Telemedizin in Deutschland hat im Mai 2018 der 121. Deutsche Ärztetag freigemacht, als die Delegierten sich dafür aussprachen, § 7 Absatz 4 der Berufsordnung für Ärzte in Deutschland zu erweitern und damit das Fernbehandlungsverbot zu lockern.
Bereits im April dieses Jahres startete docdirekt, mit dem die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) als erste KV ein Telemedizin-Projekt durchführt. Patienten können per Videochat, Textchat oder Telefon in den Regionen Stuttgart und Tuttlingen Ärzte kontaktieren. Die ersten Erfahrungen scheinen vielversprechend zu sein.
Kai Sonntag, Leiter der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, bittet um Geduld, bevor er ein Fazit ziehen will. "Wir haben bislang von Ärzten und Patienten ein positives Feedback bekommen. Probleme sind uns keine bekannt", sagte er auf Anfrage von esanum. Der docdirekt-Webseite zufolge sind in das Pilotprojekt aktuell knapp 40 Ärzte involviert, die telefonisch oder per Video- und Textchat Patientengespräche führen und Ferndiagnosen treffen. Alle Tele-Ärzte seien erfahrene Haus- sowie Kinder- und Jugendärzte aus Baden-Württemberg, versichert die KVBW. Pro Beratung würden die Ärzte 25 Euro ausbezahlt bekommen, erklärt Sonntag. Die Arbeitszeitaufteilung läge bei den Ärzten selbst.
Einer der beteiligten Ärzte ist Dr. Michael Thomas Becker, Facharzt für Allgemeinmedizin aus Karlsruhe. "Die Anfragen unterscheiden sich zunächst gar nicht von den Anfragen, die normalerweise in der hausärztlichen Praxis oder auch in der Notfallpraxis gestellt werden. Die Patienten kommen mit Beschwerden wie Heuschnupfen oder Abdominalschmerzen", verrät er. "Anamnese und Diagnosefindung unterscheiden sich natürlich, da bestimmte Untersuchungsmethoden nicht möglich sind. Dafür stehen die Fragen an die Patienten stärker im Vordergrund."
Rezepte und Krankschreibungen dürfen die Ärzte nicht ausstellen. Dafür müssen Patienten in einer patientennah erreichbaren Portalpraxis (PEP-Praxis) vorstellig werden. Die Leitzentrale von docdirekt verspricht, einen Termin noch am selben Tag zu vermitteln.
Die Behandlung durch den Tele-Arzt übernimmt die gesetzliche Krankenkasse. Privatpatienten dürfen docdirekt nicht nutzen – genauso wenig wie gesetzlich Versicherte von außerhalb der Modellregionen. "Der Wohnort des Patienten wird bei der Kontaktaufnahme abgefragt. Da wir die Krankenversichertenkarte nicht einlesen können, können wir die Angaben nicht überprüfen. Ein Versichertenstammdatenmanagement findet nicht statt", gibt Kai Sonntag von der KVBW zu. Partner für die technologische Umsetzung von docdirekt ist das Münchener Unternehmen TeleClinic, das die Infrastruktur für die Kommunikation zwischen Tele-Arzt und Patient zur Verfügung stellt. Für die Kommunikation gibt es eine Web-Plattform und eine App.
Wie nehmen die Patienten die Behandlungsform an? "Die Patienten benutzen dieses Medium freiwillig und haben es selbst ausgewählt. Dadurch stehen sie dem Medium von vornherein positiver gegenüber. Bisher wird die Telemedizin gut angenommen", meint Hausarzt Becker. "Meine eigenen Patienten hätten Interesse. es auszuprobieren. Leider habe ich dafür bisher noch kein entsprechendes Tool zur Verfügung."
Der geänderte § 7 Absatz 4 der (Muster-)Berufsordnung lautet im Übrigen:
"Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt.
Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird."
Die Regelung muss in die Berufsordnungen der Landesärztekammern übernommen werden, damit sie rechtverbindlich werden.
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