Für den Ärztlichen Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin, Professor Axel Ekkernkamp, ist “jeder Patient, der am Wochenende sein Haus oder seine Wohnung verlässt und sich in eine Notaufnahme zur Behandlung aufmacht, erst einmal ein Notfall.” Entscheidendes Kriterium sei für ihn der subjektive Leidensdruck eines Menschen – und der werde von jedem Patienten nun einmal unterschiedlich bewertet. Zur Herausforderung für die Krankenhäuser in Deutschland wird allerdings zunehmend die Situation, dass sich immer mehr Menschen in die Notaufnahme aufmachen, anstatt sich während der offiziellen Sprechzeiten zum Arzt zu begeben. Die führt in den Rettungsstellen zu Kapazitätsengpässen. Das Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) geht jetzt deshalb zur Entlastung neue Wege und wird am 20. August 2016 eine so genannte Portal- oder Notfallpraxis (die offizielle Terminologie) auf dem Klinikgelände eröffnen.
Zu sprechstundenfreien Zeiten an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von 10.30 Uhr bis 22.30 Uhr werden sich Vertragsärzte der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) in drei Praxisräumen um Krankheitsfälle kümmern, die aufgrund der fehlenden Behandlungsdringlichkeit keine notärztliche Betreuung benötigen. Jeweils ein Arzt soll während der Öffnungszeiten diese weniger schweren Fälle versorgen. “Wir wollen damit erreichen, dass sich unsere Ärzte und unser Klinikpersonal intensiver um Schwerverletzte und Schwerkranke kümmern können”, erläuterte Ekkernkamp. Für Patienten, die mit nicht so schweren Erkrankungen in die Klinik kommen, verspricht er sich durch die Portalpraxis Vorteile: “Sie müssen weniger lange warten. Sie werden schneller untersucht.”
Der Chirurg ist sich sicher, dass die Patienten das Angebot gut annehmen werden, da sie auch in der Notfallpraxis von einem ausgebildeten Facharzt untersucht würden. Insbesondere an Feiertagen und am Wochenende sei das Patientenaufkommen in der Notaufnahme extrem hoch.
Ärzte auf freiwilliger Basis rekrutieren
“Wir wollen die Ärzte auf freiwilliger Basis rekrutieren”, betonte Dr. Angelika Prehn, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, bei der Vertragsunterzeichnung für diese erste Portalpraxis in Berlin in der Rettungsstelle des Unfallkrankenhauses. Wenn sich allerdings nicht genug Ärzte fänden, dann würde die Dienstverpflichtung greifen, machte sie klar. Insbesondere Ärzte der Allgemeinmedizin und Hausärzte sollen in der Notfallpraxis den Dienst übernehmen. Die Abrechnung erfolgt über die KV, während das Klinikpersonal das Unfallkrankenhaus stellt. Zusätzlich kann der behandelnde KV-Arzt auf die Infrastruktur der Klinik zurückgreifen und Fälle, die sich nach der Untersuchung als echte Notfälle mit dringendem Behandlungsbedarf herausstellen, an das UKB verweisen, wo sie gegebenenfalls notärztlich versorgt werden. “Es handelt sich um eine Kooperation”, so Ekkernkamp. Akute Notfälle würden sowieso weiter von den Spezialisten des UKB versorgt. Eine Konkurrenzsituation solle nicht entstehen.
Prehn wie auch Mario Czaja (CDU), Senator für Gesundheit und Soziales in Berlin, als Vertreter der Politik unterstrichen, dass die Notfallpraxis am Berliner Unfallkrankenhaus nicht die einzige in Berlin bleiben soll. “Wir sind in Gesprächen mit anderen Kliniken. Allerdings gestalten sich diese zum Teil sehr kompliziert”, verriet Prehn. “Wir hoffen trotzdem, 4 bis 8 Krankenhäuser in Berlin überzeugen zu können, eine Notfallpraxis zu eröffnen – und sind da auch ganz optimistisch.” Gesundheitssenator Czaja ergänzte, dass er anstrebe, mindestens jede der sechs Krankenhausregionen in Berlin abzudecken. Seinen Angaben zufolge würden aktuell jährlich rund 1,2 Millionen Menschen in den 30 Rettungsstellen der Krankenhäuser Berlins behandelt. Mehr als die Hälfte der Behandlungen erfolge in den “Top Ten” der Kliniken mit den höchsten Patientenzahlen.
Bundesweit werden in den Notaufnahmen der Krankenhäuser rund 21 Millionen Menschen versorgt. Die Zahl hat sich allein in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht. Verschiedenen Schätzungen zufolge könnte bis zu ein Drittel der Patienten, die eine Notaufnahme aufsuchen, genauso gut von einem Praxisarzt behandelt werden.