Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und ihre rund 5.000 Ärzte als Mitglieder gehören nicht unbedingt zu den Überbringern positiver Nachrichten. In ihr Aufgabengebiet fallen mit Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs gemessen an der 5-Jahres-Überlebensrate zwei der Krebsarten mit der schlechtesten Prognose und steigenden Fallzahlen sowie mit Darmkrebs eine der Tumorerkrankungen, die zwar rückläufig ist, aber zu den häufigsten in Deutschland gehört. Bei allen drei Krebsarten steigt die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Behandlung deutlich an, wenn Risikogruppen rechtzeitig gescreent und Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden. “Wir brauchen eine bessere Prävention und Erkennung von Risikogruppen”, lautete deshalb der Tenor auf der Jahrespressekonferenz der DGVS in Berlin.
Beispiel Pankreaskarzinom: “Tumore in der Bauchspeicheldrüse verursachen keine eindeutigen Symptome”, erklärte Professor Volker Ellenrieder von der Klinik für Gastroenterologie und gastrointestinale Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen. “Der Tumor wird deshalb meist erst per Zufall in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt, wenn er häufig schon metastasiert ist.” Die Folge ist, dass die relative 5-Jahres-Überlebensrate in Deutschland nur bei etwa 8 Prozent liegt – bei circa 16.700 Neuerkrankungen und ebenso vielen Todesfällen pro Jahr. Ellenrieder zufolge werde das Pankreaskarzinom im Jahr 2030 die zweithäufigste krebsbezogene Todesursache sein.
Wirksame Präventionsmöglichkeiten existieren bisher nicht. Ellenrieder: “Umso wichtiger ist es deshalb, Risikogruppen wie beispielsweise solche mit Pankreaskarzinomfällen in der Familie rechtzeitig zu identifizieren.” In Zukunft könnten bei Risikogruppen eventuell spezifische Oberflächenmarker – durch entsprechende radioaktive Tracer markiert – in einem PET-CT oder -MRT eine Frühdiagnose zumindest bei Risikogruppen für ein Karzinom ermöglichen. Rechtzeitig erkannt würde eine Operation mit anschließender Chemotherapie deutlich bessere Therapieerfolge versprechen, sagt Ellenrieder.
Die genomische Charakterisierung von Pankreaskarzinomen erlaube die Definition neuer, molekular definierter Subgruppen, die für bestimmte Therapiekonzepte möglicherweise besonders geeignet sind. So würden Mikrosatelliten-instabile Pankreaskarzinome von einer Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren aus der Klasse der anti-PD1-Antikörper profitieren, während Tumore mit einer BRCA1/2 Mutation auf Platin-haltigen Therapiekonzepten oder PARP-Inhibitoren zu reagieren scheinen.
Im Jahre 2012 wurde bei mehr als 62.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Darmkrebs gestellt – nach fünf Jahren leben etwa noch 50 Prozent der Patienten. Das Erkrankungsrisiko steigt mit fortschreitendem Alter. Mehr als die Hälfte der Betroffenen erkrankt ab dem 70. Lebensjahr, nur etwa 10 Prozent vor dem 55. Lebensjahr. “Wie bei verschiedenen anderen Tumoren stellt Adipositas ein Risikofaktor dar – genauso wie eine fettreiche und kalorienhaltige Ernährung”, betont Professor Sebastian Zeißig, Medizinische Klinik I – Universitätsklinikum Dresden und Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der Technischen Universität Dresden. Wie beim Pankreaskarzinom übt auch bei Darmtumoren Alkoholkonsum einen negativen Einfluss aus, da er Mitursache von Entzündungsphänomenen im Darm ist. Alkoholkonsum von ein bis vier alkoholischen Getränken täglich erhöht das Darmkrebsrisiko um 21 Prozent. Wer mehr trinkt, verdoppelt sein Risiko sogar. Hochprozentige alkoholische Getränke und Bier seien schädlicher als Wein.
Zeißig plädierte nachdrücklich für Darmkrebsprävention. Die Krankenkassen zahlen im Alter von 50 bis 54 Jahren jährlich einen Test auf verstecktes Blut im Stuhl. Ab 55 Jahren besteht ein Anspruch auf eine Darmspiegelung (Koloskopie). “Nur machen davon viel zu wenige Gebrauch”, beklagt Ziegert. Eine Darmspiegelung könne Polypen sichtbar machen. Diese präventiv zu entfernen könne in vielen Fällen Darmkrebs verhindern, so Ziegert. Darmbakterien können das Wachstum von Darmkrebs fördern, wenn sie schadhafte Stellen der Darmschleimhaut durchdringen und unkontrolliertes Zellwachstum auslösen.
Die Schleimhaut des Darms erneuert sich fortwährend. Von der Darmoberfläche schilfert ständig Zellmaterial ab, sodass sich aus der Tiefe neue Schleimhautzellen nachbilden müssen. Diese erwachsen aus Stammzellen, die sich in verschiedenste Zelltypen ausdifferenzieren können. Dass sich Stammzellen so häufig teilen, bringe Risiken mit sich: Beim Kopieren des Erbmaterials kommt es zu Fehlern. Diese “Mutationen” wiederum können unkontrolliertes Zellwachstum und damit Darmkrebs verursachen. “Während bislang davon ausgegangen wurde, dass genetische Mutationen das bestimmende Element im Wachstum von Darmkrebs sind, deuten aktuelle Daten auf eine überraschende Rolle von Darmbakterien in diesem Prozess hin”, sagt Zeißig.
Bereits im frühen Stadium von Darmkrebs kommt es zu einer Störung der Barrierefunktion des Darms, sodass Bakterien in die Schleimhaut eindringen können, beschreibt er den Prozess. “Wenn die Tumorzellen die eingewanderten Bakterien erkennen, löst dies eine entzündliche Signalkette aus, die aktiv zum Tumorwachstum beiträgt.” Eine zentrale Rolle spielt hierbei das Zelleiweiß Calcineurin. “Unsere Experimente zeigen, dass die Bakterien Calcineurin in den Stammzellen aktivieren”, berichtet Professor Zeißig. “Calcineurin wiederum aktiviert Steuergene, die im Zellkern die genetischen Weichen auf eine vermehrte Zellteilung stellen.” Ein denkbarer Therapieansatz sei etwa, Darmbakterien so zu verändern, dass sie Eiweiße bilden, die diesen Signalweg gezielt hemmen. Ob Probiotika vor Darmkrebs schützen, müssten Studien erst noch zeigen, betont Zeißig.
Neben dem Bauchspeicheldrüsenkrebs ist beim Leberkrebs die Prognose am ungünstigsten. Nur etwa 15 Prozent der Erkrankten überleben die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. In Deutschland treten Zahlen des Zentrums der Krebsregisterbanken zufolge rund 8.600 neue Erkrankungsfälle pro Jahr auf, die Anzahl von Todesfällen liegt fast genauso hoch. Im Mittel erkranken Männer im Alter von 71 Jahren und bei Frauen mit 74 Jahren. Eine der Ursachen ist Alkohol.
In Deutschland würden etwa 9,5 Millionen Menschen Alkohol in gesundheitsschädlichen Mengen zu sich nehmen. Rund 1,3 Millionen Menschen gelten als alkoholabhängig, präsentierte Professor Christian Trautwein, Vorstand der DGVS und Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin (Medizinische Klinik III) am Universitätsklinikum RWTH Aachen. Er hob hervor, dass der Körper sehr unterschiedlich auf Alkoholkonsum reagiere und nicht bei jedem zwangläufig am Ende eine Leberzirrhose oder Leberkrebs stehen müssen. “Es gibt Menschen, die können viel trinken und bleiben gesund. Bei anderen ist es nicht so”, erklärte Trautwein.
Nur wie findet der Patient beziehungsweise ein Arzt heraus, wer eine Prädisposition für eine Lebererkrankung hat? “Wir müssen präventiv einen regelmäßigen Test der Leberwerte einführen”, fordert Trautwein. Dieser sei einfach durchzuführen, vergleichsweise günstig und könne beispielsweise in den Gesundheits-Check ab 35 Jahren integriert werden. Bisher müssen Patienten den Test der Leberwerte selbst zahlen.
Die Ursache für die unterschiedliche Veranlagung für alkoholbedingte Organschäden könnte genetischer Natur sein. Neue Ergebnisse würden zeigen, dass bestimmte Gene bei Alkoholkonsum eine Vernarbung der Leber begünstigen. PNPLA3, das auch Adiponutrin genannt wird, ist ein Gen des Fettstoffwechsels. Eine Isoleucin zu Methionin Mutation am Kodon 148 von PNPLA3 führt zu einer vermehrten Fettansammlung in Leberzellen. Dadurch kommt es bei Alkoholgenuss früher und heftiger zu Entzündungsreaktionen in der Leber. Die PNPLA3 I148M Mutation gilt auch als ein Risikofaktor für die nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD). Auch hier kommt es bei Übergewicht und Vorliegen der Mutation zu einer stärkeren Leberverfettung mit Entzündungsreaktionen und schneller Vernarbungstendenz.
Bei einigen Menschen entsteht also eher ein Leberschaden als bei anderen – in der Regel wissen diese jedoch nichts von ihrem erhöhten genetischen Risiko. “Darum brauchen wir die frühzeitige Überprüfung der Leberwerte”, erklärt Trautwein. Beginnen sollte diese mit dem Zeitpunkt, an dem jemand anfängt, Alkohol zu trinken, und Betroffene müssten auf ihr Risiko aufmerksam gemacht werden.