Flughafen, Messe, Großstadtkriminalität: In Frankfurt kennt man bei vielen Todesfällen nicht sofort die Hintergründe. Ein Projekt von Stadt, Polizei und Rechtsmedizin soll diese schneller klären und mehr Verbrechen aufdecken.
Im Fernsehkrimi eilt der Rechtsmediziner zur gefundenen Leiche, der Tatort wird abgesperrt und mit Spezialwerkzeug untersucht. Das echte Leben sieht nach Schilderungen von Polizei und Rechtsmedizin meist anders aus: Stundenlang müssen Beamte am Fundort auf einen Hausarzt warten, der die Leiche dann mangels Ausbildung nur unzureichend begutachtet. Mögliche Spuren eines Verbrechens sind in der Zwischenzeit verwischt, Angehörige des Toten verzweifelt.
In einem Pilotprojekt will die Stadt Frankfurt am Main ihre Leichenschau bei unklaren Todesfällen nun professioneller gestalten und deutlich häufiger Rechtsmediziner einsetzen. So sollen auch mehr Tötungsdelikte entdeckt werden.
"Wir müssen mit einer hohen Dunkelziffer rechnen", sagte Frankfurts Gesundheitsdezernent Stefan Majer am Freitag. Gerade in Frankfurt als internationaler Großstadt mit Kriminalität, Flughafen und Messe gebe es viele unklare Todesfälle, zu denen die Polizei gerufen wird - tote Menschen ohne Angehörige und Hausarzt, Fälle, bei denen die Hintergründe unklar sind. Auf dem Land sei die Lage anders. Nach Schätzungen sterben in Frankfurt pro Jahr rund 7.000 Menschen, zu 935 Fällen wurde die Polizei gerufen. Im Schnitt werden im Jahr in der Main-Metropole 15 Tötungsdelikte ermittelt.
Die Leichenschau ist als Ländersache bundesweit unterschiedlich geregelt. Experten bemängeln seit Jahren Missstände: Während andere Länder deutlich häufiger einen Rechtsmediziner einsetzen oder mit einem "Coroner" im angelsächsischen Raum einen eigenen Beamten für unklare Todesfälle haben, kommt in Deutschland häufig ein Hausarzt. Er untersucht die Leiche und stellt den Totenschein aus. Nach Schätzungen der Polizei bleiben so rund 1.000 Tötungsdelikte in Deutschland unerkannt. Hintergrund sei mangelnde Ausbildung der Ärzte, Zeitdruck und auch fehlendes Engagement.
Wie für die Polizei die Praxis aussieht, beschreibt Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill: Kommen die Beamten tagsüber zu einem unklaren Todesfall, müssen sie sich auf die Suche nach einem Hausarzt machen. Der kommt wegen eines vollen Wartezimmers erst Stunden später und zertrampelt wegen fehlender Ausbildung mögliche Spuren: "Was man an einem Tatort falsch macht, kann man später nicht mehr gutmachen." Im Schnitt warteten seine Beamten zwei Stunden auf einen Arzt - auch für Angehörige sei das eine unzumutbare Situation. "Die Qualität der Leichenschau ist dann sehr, sehr unterschiedlich - teilweise schlecht."
Seit Anfang des Jahres begleitet in Frankfurt nun direkt ein Rechtsmediziner die Polizei, wenn sie zu einer Leiche gerufen wird. Dafür wurde eine neue Stelle am Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik geschaffen. 100.000 Euro lässt sich die Stadt das Projekt für ein Jahr kosten. Als Rechtsmediziner habe man nicht nur einen besonderen Humor, sondern denke, bewege sich und frage am Tatort auch anders, sagte der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Marcel Verhoff. "Die Leichenschauen werden genauer, gründlicher und mit viel mehr Hintergrundwissen durchgeführt." Da mache Erfahrung den Unterschied: Nach vielen Öffnungen von Leichen können Mediziner äußere Anzeichen besser deuten.
Als Modell für ganz Deutschland sehen die Experten ihr Projekt nicht. Das sei zu teuer und die Situation in Frankfurt zu speziell. Unter anderem bundesweit deutlich mehr Obduktionen, verpflichtende Fortbildungen für alle Ärzte und eine bessere Ausbildung im Medizinstudium fordert die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin in einer Stellungnahme. "Ein Mediziner kann durchs Studium kommen, ohne je eine frische Leiche gesehen zu haben", sagt Verhoff.