Aus einem ganz speziellen Biotop in einem abgelegenen Winkel der Altmark wird ein Heilschlamm gewonnen, der Schmerzen lindern und die Durchblutung steigern soll. Der Schlamm wird in renommierte Häuser geliefert.
Gemächlich tuckert das Boot über den Schollener See. Andy Mahler genießt seinen Arbeitsweg. "Wenn wir zeitig um 5.30 Uhr rausfahren und die Wildgänse hier starten, ist es besonders schön", sagt er. "Auf dieser Insel sitzt oft ein Seeadler. Und das ist unsere Möweninsel", zeigt Mahler die Naturschutz-Oase im abgelegenen Nordosten Sachsen-Anhalts. Der junge Mann aus dem beschaulichen Ort Schollene, 1000 Jahre alten Ort, dem der See seinen Namen verdankt, hat einen wohl einmaligen Job. Er fährt mit zwei Kollegen hinaus, um Pelose zu stechen.
Von jeder Tour bringen sie fünf bis sechs Tonnen des heilsamen Schlamms mit, der sich in Jahrtausenden am Grund dieses besonderen Gewässers abgelagert hat. Der abgelegene See ist sehr flach und hat daher selten Wellengang, was ihn zu einem europaweit einmaligen Naturrefugium mit ganz speziellen Bedingungen macht.
Pelose entstand nach der letzten Eiszeit und wird deutschlandweit nur hier abgebaut. Unter Luftabschluss entwickelte sich ein hochreines Süßwassersediment, das aus Algen und Einzellern wie Amöben besteht. Ärzte und Physiotherapeuten schwören auf die heilsame Wirkung bei Binde- und Muskelgewebeerkrankungen, Rheuma oder akuten Entzündungen. Durch die Zusammensetzung öffne der Schlamm die Zellen und Kapillaren, fördere die Durchblutung und rege den Stoffwechsel an, beschreibt Karl-Heinz Repp die Wirkung. "Wenn der Arzt nicht mehr weiter weiß, sind wir dran", schmunzelt der Vorarbeiter.
Vier Vollzeitmitarbeiter und zwei geringfügig Beschäftigte, fast alle aus dem Ort, sind in der Firma Pelose tätig. Sie kümmern sich um Förderung, Verpackung und den Versand. An allen Kliniken der Charité in Berlin werde das Produkt eingesetzt, berichtet Repp nicht ohne Stolz. Auch Kurkliniken, Praxen, Apotheken und Einzelabnehmer stehen auf der Kundenliste. In die gesamte Bundesrepublik, die Nachbarländer und sogar bis nach Kanada wird der Schollener Schlamm, der meist in Kompressen eingesetzt wird, geliefert.
In der Charité heißt es, Pelose werde regelmäßig in der Physiotherapie eingesetzt, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. "Es werden Befunde therapiert wie schmerzhafte Muskelverspannungen, die bei den unterschiedlichsten Krankheiten auftreten können", erklärte Anett Reißhauer, Oberärztin im Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation der Charité. "Erkennbare Wirkungen sind eine Durchblutungssteigerung, Gewebeerwärmung und Schmerzlinderung."
Die Leute in der Umgebung von Schollene kannten und nutzten die Heilkräfte des Schlamms aus ihrem "Wundersee" schon seit alters her. Um 1920 ging der ortsansässige Arzt Dr. Michaelis der Sache näher auf den Grund. Er habe sich darüber gewundert, warum die Wildtiere so gerne in dem See schwammen und warum die ortsansässigen Bauern immer wieder ihre Tiere zum Baden dort hinein trieben, erzählt Repp die Geschichte. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten dann die heilsame Wirkung, auch für den Menschen, belegt.
Nach knapp zehn Minuten erreichen die Stecher ihren Arbeitsplatz auf dem See. Die Tätigkeit ist körperlich schwer. Zwanzig Mal versenken sie die beiden Förderbehälter in den Grund. Rund zwei Stunden dauert es, bis die "Ernte" eingefahren ist. Zweimal in der Woche fahren die Männer hinaus auf den See. Verpackt und versendet wird das ganze Jahr hindurch. Für den Winter wird ein Vorrat zum Verarbeiten angelegt. Abgebaut wird nur in einer zwei Meter breiten, sechs bis acht Meter tiefen Schicht. Darüber laufen noch immer die chemischen Prozesse, die zur Pelose-Bildung führen.
Strenge Naturschutzauflagen sorgen zudem dafür, dass der See in seiner Ursprünglichkeit erhalten bleibt. Kein Fremder darf sich in oder auf dem Gewässer tummeln. Nur ein Fischer und die Pelose-Firma haben Ausnahmegenehmigungen. Dass der Rohstoff bald erschöpft sein und damit sein Arbeitsplatz bedroht sein könnte, fürchtet Andy Mahler nicht. Der 30-Jährige hat seinen Traumjob gefunden. Bis vor zwei Jahren war er als Lkw-Fahrer auf großen Touren unterwegs. Das Privileg, an seinem Heimatort zu arbeiten, weiß er zu schätzen. "Endlich kann ich das Familienleben genießen und die Kinder aufwachsen sehen."