Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland (vfa) über die Preisfestsetzung für Medikamente, die Kosten für Forschung und Entwicklung sowie die Diskussion um das teure Hepatitis-C-Medikament Sovaldi
esanum: Unter welchen Voraussetzungen ist aus Ihrer Sicht der Preis für ein Medikament gerechtfertigt?
vfa: Allein in Deutschland investieren die forschenden Pharma-Unternehmen jährlich 5,3 Milliarden Euro in die Arzneimittelforschung. Das sind mehr als 14 Millionen Euro für neue und bessere Medikamente – Tag für Tag.
Längst nicht alle medizinisch interessanten Projekte für neue Medikamente lassen sich ohne Weiteres durchführen. Denn Pharmafirmen müssen – wie alle Unternehmen – das Wirtschaftlichkeitsgebot beachten. Nur wenn die zu erwartenden Kosten für die Entwicklung eines neuen Medikaments in einem annehmbaren Verhältnis zu seinen Ertragsmöglichkeiten insgesamt stehen, kann das Unternehmen in das Projekt investieren.
Nicht jedes Projekt endet mit einer erfolgreichen Markteinführung, im Gegenteil: Die Mehrzahl der Projekte muss vorzeitig beendet werden. Von 5.000 bis 10.000 Substanzen, die nach dem Screening hergestellt und untersucht werden, kommen im Durchschnitt nur neun in ersten Studien mit Menschen zur Erprobung, und nur eine erreicht tatsächlich später den Markt. Die damit einhergehenden immensen finanziellen Verluste muss dieses Präparat nicht nur wieder ausgleichen. Es muss zusätzlich die Aufwändungen für seine eigene Entwicklung erwirtschaften und gleichzeitig Einnahmen generieren, die zumindest als finanzielle Voraussetzung für den Start weiterer Entwicklungsprojekte dienen können.
Arzneimittelforschung wird in Deutschland nahezu ausschließlich von privaten Unternehmen finanziert. Die forschende Pharmaindustrie ist eine der wenigen Branchen, die ohne nennenswerte staatliche Forschungssubventionen auskommt. Unternehmerisches Engagement ist damit nach wie vor einer der entscheidenden Faktoren für den Fortschritt in der Medizin.
Arzneimittelforschung ist ein langwieriges Hochrisiko-Geschäft. Die damit verbundenen Investitionen sind beträchtlich. Langfristig profitieren davon die Krankenversicherungen und ihre Versicherten, ebenso wie die Volkswirtschaft. Neue Medikamente tragen signifikant zu einer besseren Lebensqualität als auch zu einer höheren Lebenserwartung bei. Dadurch können Kosten im Gesundheitssystem vermieden oder zumindest reduziert werden. Das erzielt positive Effekte für unsere Lebensarbeitszeit, die Dauer von Behandlungen und Krankenhausaufenthalten.
esanum: Wie beurteilen Sie die derzeitige Preisfestsetzung? Was sollte geändert oder verbessert werden?
vfa: Was die Krankenkassen für ein neues Medikament ausgeben müssen, muss seit 2010 im Rahmen zwischen dem Hersteller und dem Spitzenverband der Krankenkassen ausgehandelt werden; auf Basis einer zuvor vom Gemeinsamen Bundesausschuss durchgeführten „frühen Nutzenbewertung“ für das Medikament. Dieser insgesamt bis zu einem Jahr dauernde Vorgang heißt „AMNOG-Verfahren“ nach dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz AMNOG, mit dem es eingeführt wurde.
Der GKV-Spitzenverband dominiert das gesamte AMNOG-Verfahren. Fünf von 13 stimmberechtigten Mitgliedern stellt der GKV-Spitzenverband, der anschließend monopolistischer Verhandler um den Erstattungsbetrag ist. Es fehlt somit eine klare Trennung von rein wissenschaftlicher Nutzenbewertung und an Kostenerwägungen einbeziehenden Erstattungsbetragsverhandlungen.
In den Bewertungsverfahren wurden oft Nutzenbelege gefordert, die so kurz nach Markteinführung noch gar nicht vorliegen können. Oft blieben positive Studienergebnisse über die Medikamente aus formalen Gründen unberücksichtigt, weil die Interpretation der Studien von der der Zulassungsbehörden abweicht. Neue Medikamente werden mit billigen („abgeschriebenen“) Altarzneimitteln verglichen. Für die Kassenseite gelten diese dann auch als Preismaßstab. Damit bleibt vollständig unberücksichtigt, dass für das neue Arzneimittel Entwicklungskosten angefallen sind. Die können die Firmen so nicht refinanzieren. Ein generischer Preisanker setzt Fehlanreize und gefährdet die Versorgung Deutschlands mit Innovationen.
Arzneimittel mit Zusatznutzen kommen nicht beim Patienten an. Das AMNOG bringt daher keine Verbesserung der Versorgung durch Innovation.
esanum: Wie berechnen sich die Kosten für ein neues Medikament in Deutschland?
vfa: Die Erstattungsbeträge sind das Resultat der genannten Verhandlungen – es sei denn, eine Einigung war nicht möglich, so dass das Unternehmen sich gezwungen sah, sein Medikament nicht länger in Deutschland anzubieten.
esanum: Wie hoch sind die Entwicklungs- und Zulassungskosten für ein neues Medikament? Wie lange dauert es, ein Medikament auf den Markt zu bringen?
vfa: Die durchschnittlichen Kosten für die Entwicklung eines Medikaments mit neuem Wirkstoff, das es zur Zulassung schafft, belaufen sich auf circa 1,0 bis 1,6 Milliarden US-Dollar – das ist etwa vergleichbar mit dem Bau eines neuen Kreuzfahrtschiffes. Hierbei sind die fehlgeschlagenen Projekte (die ja auch bezahlt werden müssen) ebenso eingerechnet wie die Kapitalisierungskosten (d.h. die entgangenen Erträge durch jahrelanges Binden von Kapital). Von der Idee bis zur ersten Zulassung vergehen im Schnitt 13,5 Jahre.
esanum: Kontrovers diskutiert wird derzeit das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi, bei dem eine Tablette bis zu 700 Euro kostet. Andererseits soll das Medikament einen Zusatznutzen besitzen und zu weniger Nebenwirkungen führen. Wie beurteilen Sie diesen Fall?
vfa: Bei diesem innovativen Präparat – wie auch weiteren Mitteln, die 2014 und 2015 den Markt erreichen – handelt es sich um Meilensteine in der Therapie für Menschen, die an Hepatitis C erkrankt sind – mit weltweit ca. 170 Millionen (in Deutschland zwischen 400.000 und 500.000) immerhin deutlich mehr als HIV-Patienten.
Im Vergleich zu den bisher verfügbaren Therapien erzielen Kombinationstherapien, die Sovaldi enthalten, noch höhere Heilungsraten, verursachen weniger Nebenwirkungen und erfordern eine kürzere Dauer der Behandlung.
Der behandelnde Arzt kann seinem Patienten dank der neuen Wirkstoffe (Sovaldi wird aller Voraussicht nach nicht die einzige bahnbrechende Neuerung gegen Hepatitis C bleiben) erstmals fast sicher die Heilung in Aussicht stellen. Die erwartete Heilungsrate von über 90 Prozent könnte perspektivisch zu einer weitgehenden Eliminierung der Erkrankung führen: je weniger Infizierte, desto weniger Ansteckungen und Neu-Infizierte. Zudem verringert sich die Zahl der Folgeerkrankungen mit Leberzirrhose und Leberkrebs und die damit wiederum verbundenen Behandlungskosten.
Für die Patienten bedeutet eine Ausheilung einer HCV-Infektion viel: Sie nimmt ihnen die Sorge, dass die Infektion zu einer Leberinsuffizienz, einer Leberzirrhose oder gar einem Leberkrebs führen könnte, was (siehe oben) mit erheblichen Einschränkungen und vielfach sogar Lebensgefahr verbunden ist. Auch nimmt es ihnen die Sorge, andere Menschen anzustecken.
Vor diesem Hintergrund halten wir es für nicht zielführend, die Sicht auf diesen Riesenerfolg der Pharmaforschung auf die Kosten pro Tablette zu konzentrieren.
Die Regularien für die förmliche Nutzenbewertung eines Medikaments – die Herstellern und Krankenkassen als Grundlage für Verhandlungen über den Erstattungsbetrag dient – sehen ebenfalls vor, eine Heilung als Nutzen per se anzuerkennen. Das mit der Nutzenbewertung beauftragte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat in der Vergangenheit jedoch den Nutzen von Hepatitis-C-Medikamenten allein daran festgemacht, dass sie voraussichtlich imstande sind, Leberkrebs zu verhüten (direkt dokumentieren ließe sich aufgrund der langen Krankheitsentstehung allerdings erst in rund 20-30 Jahren). Alle anderen Folgekrankheiten einer Hepatitis C hat das Institut nicht in seine Bewertungen einbezogen; nicht einmal die Leberzirrhose. Einen dementsprechend wenig hochstehenden Zusatznutzen hat das Institut daher jeweils den zu untersuchenden Medikamenten zugesprochen.
Mehrere medizinische Fachgesellschaften (darunter die Deutsche Gesellschaft für innere Medizin und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter) wie auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) sind diesem Bewertungsraster hingegen nicht gefolgt und stufen den neuen Polymerase-Hemmer als weitaus wertvolleren Beitrag zum Therapierepertoire bei Hepatitis C ein.
Foto: vfa