Geschlechtskrankheiten in Deutschland nehmen zu, vermuten Experten. Doch weil Betroffene nicht darüber sprechen, sind immer neue Infektionen schwer zu vermeiden. Das soll sich ändern.
Die Warnung kommt anonym per SMS oder E-Mail. "Ein/e Freund_in von Ihnen hat eine Syphilisinfektion und möchte, dass Sie sich testen und behandeln lassen." Es folgen eine Telefonnummer und der Hinweis: "Vertraulich". Solche kurzen Botschaften an bisherige Sex-Partner können Patienten des Zentrums für sexuelle Gesundheit und Medizin "Walk in Ruhr" in Bochum seit diesem Sommer absetzen. Auf einer Webseite haben sie dafür unterschiedliche Formulierungen zur Auswahl. Wenn gewünscht, kann man Empfänger auch nur vage auf ein "mögliches Gesundheitsrisiko" hinweisen.
Das Angebot zeigt: Auch in Zeiten, in denen Sex medial dauerpräsent ist, bleiben sexuell übertragbare Infektionen (STI) mit einem Stigma verbunden. Viele Betroffene trauten sich nicht, über ihre Beschwerden zu sprechen, sagt der Leiter des Zentrums, Norbert Brockmeyer. Entsprechend wird in Deutschland seit wenigen Jahren wieder vor einer Zunahme von Erkrankungen gewarnt, die man teils schon überwunden glaubte, wie Syphilis und Tripper (Gonorrhoe). Bei Syphilis steigen die Fallzahlen seit 2010 wieder deutlich an, insbesondere in Großstädten wie Berlin und vor allem bei Schwulen.
Bei Tripper meldet zwar nur noch Sachsen Fallzahlen - "da sieht man, dass die Zahlen schon nach oben schießen, ungebrochen, seit Jahren", sagte die Expertin für sexuell übertragbare Infektionen am Berliner Robert Koch-Institut (RKI), Viviane Bremer, vor dem Welttag Sexuelle Gesundheit am kommenden Montag (4. September). "In ganz Westeuropa ist die Tendenz ähnlich, dass sexuell übertragbare Infektionen wieder eher zunehmen." Es mangele am Bewusstsein dafür in der Bevölkerung und insbesondere der Risikogruppe der unter 25-Jährigen, mit Ausnahme von HIV.
Um das Wissen bei Jugendlichen zu erhöhen, soll das Thema STI nun bundesweit stärker in den Mittelpunkt spezieller Schulstunden rücken, die von Ärzten gehalten werden. Das kündigte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an. Dabei soll es darum gehen, Anzeichen der Krankheiten zu erkennen.
Insgesamt komme im Schnitt jeder zweite Patient spät mit seinem Problem zum Arzt, also erst, wenn schon ausgeprägte, teils nicht mehr heilbare Krankheitssymptome aufgetreten seien, sagt Nobert Brockmeyer, der auch Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft ist. Die anonymen SMS-Warnungen haben entsprechend auch das Ziel, die hohen Dunkelziffern bei STI zu senken. Mit dem System soll zudem das erneute Übertragen von Geschlechtskrankheiten vom unbehandelten zurück auf den therapierten Partner eingedämmt werden.
"Wir sind sehr daran interessiert, das Angebot auch bundesweit auszubauen", sagt Brockmeyer. In den USA gebe es vergleichbare Apps auf dem Markt, die jedoch kaum genutzt würden. Nutzer fürchteten Datenmissbrauch - das sei anders, wenn eine medizinische Einrichtung hinter dem Angebot stehe. Die SMS-Warnungen hält Epidemiologin Bremer für einen "super Ansatz". Oft sei es noch so, dass Frauen beim Gynäkologen behandelt würden, während betroffene Männer keine derartige Anbindung hätten - und erst einmal unbehandelt blieben.
Dabei gelten diese Infektionen als gut behandelbar. Aber wie lange noch? Hier sind Experten in Sorge, weil vermehrt Resistenzen gegen gängige Antibiotika beobachtet werden, insbesondere bei der Behandlung von Tripper. "Hier in Deutschland hatten wir bisher nur Einzelfälle", sagte Viviane Bremer. Verbreiteter seien die Resistenzen in Ostasien - bislang.
In geringerem Maß werden Resistenzentwicklungen auch bei Syphilis und Chlamydien beobachtet. Letztere gelten unter jungen Frauen und Männern als weit verbreitet, auch weil die Bakterieninfektion oftmals weitgehend symptomfrei verläuft. Unbehandelt können in manchen Fällen Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten die Folge sein.
Es ist nicht die einzige, sexuell übertragbare Infektion, die schwerwiegende Folgen haben kann. "Wir sehen mehr Karzinome, die durch Humane Papillomviren (HPV) ausgelöst wurden", sagt Brockmeyer. "Da müssen wir aktiver werden." Die Impfquoten bei Mädchen in Deutschland lägen mit gut 30 Prozent viel zu niedrig, auch im internationalen Vergleich. Die HPV-Impfung wird vor dem ersten Sex empfohlen und kann das Risiko für Gebärmutterhalskrebs verringern.
Grundsätzlich sei die Hürde, Geschlechtskrankheiten anzusprechen, für Frauen noch höher als für Männer, betont Brockmeyer. Sexuell übertragbare Infektionen würden bei ihnen immer noch gesellschaftlich weniger toleriert, Frauen hätten große Angst um ihren Ruf. Bei Jugendlichen beobachtet der Experte sogar eher eine wachsende Hemmschwelle, über Geschlechtskrankheiten zu sprechen. Pornos seien zwar leicht schon für 12-Jährige verfügbar - die Filme sorgten aber für verzerrte Maßstäbe die eigenen Geschlechtsorgane betreffend. Wer ohnehin mit dem eigenen Körper hadere, wolle im Falle eines Problems nicht auch noch mit dem Arzt darüber sprechen, so die Erfahrung.
Eine womöglich erfreuliche Entwicklung gibt es aber auch: Entgegen dem zunehmenden Trend bei sexuell übertragbaren Infektionen zeigte sich bei HIV im vergangenen Jahr mit rund 3400 Neudiagnosen ein leichter Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren. Viviane Bremer sagt: "Wir wissen noch nicht, ob das tatsächlich ein neuer Trend ist - aber vielleicht ist es ja der Anfang einer Besserung."