Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie: Unspezifisches Krankheitsbild erschwert Diagnose Logo of esanum https://www.esanum.de

Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie: Unspezifisches Krankheitsbild erschwert Diagnose

Mit einer Prävalenz von etwa 16 Fällen pro einer Million Einwohner ist die PNH eine seltene Erkrankung. Der Antikörper Eculizumab eröffnet neue Therapieoptionen.

Mit einer Prävalenz von etwa 16 Fällen pro einer Million Einwohner ist die PNH eine seltene Erkrankung. Der Antikörper Eculizumab eröffnet neue Therapieoptionen.

Manchmal sind Bauchschmerzen ohne erkennbare Ursache für längere Zeit das einzige Symptom einer paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH). Diese sehr seltene Erkrankung kann heute sicher diagnostiziert und in vielen Fällen mit einem monoklonalen Antikörper effektiv behandelt werden. Um langjährige Verzögerungen der Diagnosestellung zu vermeiden, sollte die PNH trotz ihrer Seltenheit im ärztlichen Bewusstsein fest verankert sein.

Bei welchen Symptomen sollte man eine PNH in Betracht ziehen? Eine mögliche Antwort: bei Coombs-negativer Hämolyse, Zytopenie, abdominalen Beschwerden unklarer Ursache und Thrombosen.

Trias aus hämolytischer Anämie, Thrombophilie und Zytopenie

Die PNH ist pathophysiologisch vor allem durch eine Trias aus hämolytischer Anämie, Thrombophilie und Zytopenie gekennzeichnet. Die Erstbeschreibung dieser hämatologischen Krankheit erfolgte bereits im 19. Jahrhundert durch einen deutschen Arzt.

Sie wird also seit über einem Jahrhundert beforscht. Dabei hat sich herausgestellt, dass die rein deskriptive Namensgebung im Grunde eine Fehlbezeichnung in mehrfacher Hinsicht ist: Die Hämolysevorgänge finden eher kontinuierlich denn anfallsartig und auch nicht nur in der Nacht statt. Zudem weist nur jeder dritte oder vierte PNH-Patient tatsächlich eine Hämoglobinurie auf.

Erworbene klonale Erkrankung der hämatopoetischen Stammzellen

Es handelt sich bei der PNH um eine erworbene klonale Erkrankung der hämatopoetischen Stammzellen. Die Prävalenz dieser sehr seltenen Erkrankung wird auf etwa 16 Fälle pro Million Einwohner, die jährliche Inzidenz auf etwa einen Fall pro Million Einwohner geschätzt, wobei für Deutschland bisher keine verlässlichen Zahlen vorliegen. Aufgrund der Heterogenität des mitunter unspezifischen klinischen Bildes wird eine Unterdiagnostizierung der PNH vermutet.

Die Krankheit kann prinzipiell in jedem Alter ausbrechen, der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr. Die Verteilung auf die beiden Geschlechter ist gleichmäßig, eine familiäre Häufung wird nicht beobachtet.

Klinisch im Vordergrund: Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Schmerzen

Bei einer sehr seltenen Erkrankung können Kenntnisse über das klinische Bild nur schwierig erlangt werden. Hier hilft die Unterstützung durch die behandelnden Ärzte zur (anonymisierten) Erfassung der Patientendaten. Fast immer vorhanden sind Anzeichen wie Anämie, Müdigkeit oder Einschränkungen der Lebensqualität.

Zu weiteren PNH-typischen Symptomen zählen Belastungsdyspnoe, abdominale Schmerzen, Kopfschmerzen, Schluckbeschwerden, erektile Dysfunktion, thromboembolische Ereignisse, Blutungszeichen, Störungen der Nierenfunktion und Infekthäufung. Hämolysezeichen wie Hämoglobinurie und Sklerenikterus sind abhängig vom Ausmaß der Zerstörung der Blutkörperchen.

Fehlender Schutz der Zellen vor dem Komplementsystem

Wie kommt die Hämolyse zustande? Schuld daran ist eine erworbene Mutation im X-chromosomalen PIG-A-Gen in einer oder mehreren pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks. Den betroffenen Zellen fehlt der Glycosyl-Phosphatidylinositol(GPI)-Anker an ihrer Oberfläche. Daran binden normalerweise verschiedene Schutzproteine, zu denen etwa die Komplementinhibitoren CD55 und CD59 zählen. Fehlen diese Proteine, kommt es bei spontaner Aktivierung des Komplementsystems zur Komplement-vermittelten Hämolyse.

Die intravasale Freisetzung von Hämoglobin stellt den zentralen pathophysiologischen Faktor im Krankheitsgeschehen dar. So führt etwa der resultierende starke Verbrauch an Stickstoffmonoxid zu Spasmen der glatten Muskulatur, die einige der oben genannten Symptome bedingen.

Eindeutige Diagnose: durchflusszytrometrischer Nachweis des PNH-Klons

Neueren Erkenntnissen zufolge begünstigt vermutlich eine T-Zell-vermittelte Autoimmunstörung die klonale Expansion GPI-defizienter Blutzellen. Der Nachweis des PNH-Klons erfolgt mithilfe der Durchflusszytometrie. Die Diagnose ist dann eindeutig, wenn auf mindestens 2 Zelllinien (z.B. Erythrozyten und Granulozyten) das Fehlen von mindestens zwei GPI-verankerten Proteine bzw. des GPI-Ankers selbst nachgewiesen wird.

Die Krankheitsaktivität hängt zu einem gewissen Maß von der Größe des PNH-Klons ab. Diese ist nicht nur von Patient zu Patient verschieden, sondern kann auch intraindividuell  im zeitlichen Verlauf stark variieren. Deshalb wird eine regelmäßige Kontrolle des PNH-Klons empfohlen.

Wann also sollte man das Labor nach einem PNH-Klon suchen lassen? Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) listet dazu folgende Indikationen für die durchflusszytometrische Diagnostik auf:

Hauptgefahr: thromoembolische Komplikationen

Der Literatur zufolge ist bei Nichtbehandlung mit einer mittleren Überlebenszeit der Patienten von 10 Jahren zu rechnen. Die am meisten gefürchtete Komplikation und mit bis zu 67% häufigste Todesursache bei einer PNH sind thromboembolische Ereignisse.

Die leitliniengerechte Behandlung von Patienten mit nachgewiesenem PNH-Klon richtet sich nach dem klinischen Bild. Bei fehlender Symptomatik kann unter engmaschiger Kontrolle abgewartet und eine prophylaktische Antikoagulation erwogen werden.

Für symptomatische PNH-Patienten stellt die kurative Knochenmarktransplantation aufgrund der hohen perioperativen Morbidität und Mortalität im Normalfall keine Option dar. In früheren Jahren stand deshalb neben der Antikoagulation die Supportivtherapie als einzige Option zur Verfügung.

Das hat sich mit der Zulassung von Eculizumab (Soliris®) vor genau einem Jahrzehnt grundlegend geändert. Der monoklonale Antikörper bindet an den Komplementfaktor C5 und blockiert hierdurch die terminale Aktivierung des Komplementsystems und damit auch dessen hämolytische Wirkung.

Antikörper-Therapie verbessert Lebensqualität und Überleben  

Symptomatische Patienten profitieren in der Regel durch eine rasche und ausgeprägte Linderung ihrer Beschwerden. Auf Transfusionen zum Ersatz von Erythrozyten kann mehrheitlich verzichtet und die erhöhte Inzidenz von thromboembolischen Komplikationen weitgehend normalisiert werden. In der erforderlichen Langzeittherapie hat sich Eculizumab als effektiv und sicher erwiesen.

Mit der Antikörper-Therapie kann heute nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Überlebenszeit vieler PNH-Patienten deutlich verbessert werden – aber nur, wenn sie als solche erkannt werden.

Referenzen:

  1. Schubert J et al. Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH). Leitlinie. DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (Herausgeber). Stand: Juni 2015. (www.onkopedia.com; Zugriff am 04.02.2017)
  2. Benz R et al. Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie. Swiss Medical Forum 2016;16(26–27):554-60.
  3. Luzzatto L. Recent advances in the pathogenesis and treatment of paroxysmal nocturnal hemoglobinuria. F1000Research 2016;5(F1000 Faculty Rev):209. doi: 10.12688/f1000research.7288.1
  4. Roth A, Duhrsen U. Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie. Dtsch Arztebl 2007;104(4):192–7.