Die Prävalenz chronischer Schmerzen steigt. Aktuell sind in Deutschland etwa 17% der Menschen von chronischen Schmerzen betroffen, das heißt jeder 5. Deutsche erfährt eine Beeinträchtigung der Lebensqualität.
Galt die Schmerztherapie mit Opioiden vor wenigen Jahren noch als gesetzt, wird sie heute immer öfter kritisch hinterfragt. Da in den USA die Opiumsucht zu explodieren scheint, wird auch hierzulande der Diskurs zur Vergabe von Opiaten immer wieder angeheizt.
Berichte wie „Der Arzt, der Dealer“ sorgen in Deutschland für Schlagzeilen. Christoph Maier, Chefarzt der Abteilung für Schmerzmedizin am berufsgenossenschaftlichen Universitätskliniken Bergmannschell in Bochum, nennt Ärzte gar „Legale Dealer“. Im Symposium „Ist die Therapie chronischer Schmerzen auch über die Jahre vertretbar“1 wurde eine Langzeitstudie präsentiert, die sich mit den Ängsten rund um das Thema nationale Drogenplage nicht vereinbaren lässt.
Zugegeben, die Zahlen aus den Staaten sind erschreckend. Jeden Tag sterben nach Angaben der Gesundheitsbehörde CDC rund 91 Menschen aufgrund einer Opiumüberdosis. Das ist, was die Zahl der Drogentoten angeht, weltweit die absolute Pole-Position. Die USA kämpf also gegen „die schlimmste Drogenkrise in der amerikanischen Geschichte“. Prädikat „selbst geschaffen“ - denn viele Abhängige sind über verschreibungspflichtige Schmerzmittel wie Oxycodon in die Heroinsucht gerutscht.2
Eine Suchtexplosion ist in Deutschland trotzdem nicht zu erwarten. Zum einen wurden in den USA ganz bewusst Kampagnen von Pharmaunternehmen gefahren, um die Vergabe von Opiaten auch bei weniger starken Schmerzen wie Rückenleiden salonfähig zu machen. Ähnliche Werbekampagnen sind in Deutschland nicht zulässig, zudem wird in den USA aufgrund eines quasi nicht vorhandenen Gesundheitssystems bei möglichst geringen Krankenhaustagen eher auf Selbstmedikation gesetzt, was das Risiko einer Suchtsituation deutlich erhöht. Zum anderen werden in den Staaten eher schnell wirksame Opioide verschrieben, im Vergleich dazu werden in Deutschland meist Präparate verschrieben, die die Opioide eher langsam freisetzen.
Warum das Thema so vielen Menschen am Herzen liegt, lässt sich mit dem Anteil der älter werdenden Bevölkerungsschicht erklären. Rund 17 Millionen Menschen sind in Deutschland älter als 65 Jahre, das macht einen Anteil von rund 20% an der Gesamtbevölkerung aus - Tendenz steigend. Ältere Menschen werden öfter von Schmerzen geplagt, ob durch altersbedingte Schmerzen, Krankheiten oder gar Multimorbiditäten. Ein ehrlicher Diskurs darüber, wie diese Menschen am besten behandelt werden sollen, ist deshalb relevanter als nie zuvor.
In den letzten 20 Jahren wurden nicht-Opioide Analgetika 30% weniger verordnet und Opioide drei Mal so viel. Allerdings sind die Zahlen zur Aufnahme einer Behandlung aufgrund primärer Opioidprobleme weiterhin rückläufig. Sieht man sich die Zahlen aus der Praxis-Leitlinie POM der DGS und DSL 2018 an, dann entwickeln lediglich unter 1% bis maximal 3% der Patienten einen „Fehlgebrauch“.
Eine retrospektive Betrachtung von Behandlungsverläufen soll nun Aufklärung bringen, in welchen Fällen der Einsatz hochpotenter Opiate langfristig sinnvoll ist und in welchem nicht. Die Studie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen“3 befragte 596 chronische Schmerzpatienten. Der Fokus der Beobachtungsstudie lag auf der Lebensqualität und den psychischen Komorbiditäten der Patienten, denn sie seien bessere Prädikatoren für den Erfolg einer Therapie als den bestehenden Schmerz zu untersuchen. Da die Langzeittherapie bewertet werden sollte, wurden nur Patienten in die Studie eingeschlossen, die über drei Monate hinausbehandelt wurden und deren Schmerzdauer über sechs Monate hinausging.
Dabei kam heraus, dass die positiven Effekte einer Opioidtherapie auf die Schmerzstärke, Lebensqualität und psychische Befindlichkeit vor allem bei einer mittleren Dosis bestehen. Das liegt daran, dass die Menschen mit größeren Schmerzen auch eine höhere Dosis erhalten, was dann auch zu schwereren Komorbiditäten führt. Das Ergebnis der Studie zeigte aber, dass es absolut vertretbar ist, Patienten über einen längeren Zeitraum mit Opiaten zu therapieren. Die Leitlinien sollten hierbei nicht dazu führen, dass das, was nicht beweisen werden kann, verteufelt wird. Die Langzeittherapie mit Opiaten hilft und sie wirkt, man sollte sie jedoch stets kritisch einsetzen und idealerweise in Kombination mit Therapien aus anderen Bereichen, wie der Psychosomatik oder der Psychotherapie einsetzen. Aus versorgungstechnischen Gründen ist gerade dies häufig nicht möglich, sodass eine reine Pharmakotherapie oft einer multimodalen Therapie vorgezogen wird.
Wenn man bedenkt, dass etwa 31% der Patienten derart starke Schmerzen haben, dass sie es nicht mehr ertragen können1, dann rückt die Problematik rund um das Thema Suchtexplosion etwas in den Hintergrund. Denn Fakt ist: Es gibt bei besonders starkem Schmerzleiden bisher bei gleich niedrigen Nebenwirkungen und gleich hoher Wirksamkeit nach wie vor keine Alternative zu Opioiden. Und noch einmal im Vergleich, in Amerika werden jährlich 47.580 Verschreibungen von Opioiden ausgestellt, bei 64.000 Drogentoten im Jahr 2016, in Deutschland wurden 2016 30.795mal Opioide verschrieben, bei 1.333 Drogentoten im gleichen Jahr.
Das Problem Opiumsucht in den USA hat vermutlich noch andere Ursachen, als die niedrig reglementierte Verschreibung von Schmerzmitteln. Ja, Opioide können süchtig machen und sollten nicht freizügiger verschrieben werden, allerdings besteht ein Unterschied zwischen Sucht und Abhängigkeit. Denn ein Mensch mit einer Sehschwäche ist abhängig von seiner Brille, um richtig lesen zu können, süchtig sei er deshalb aber nicht.1 Im Fokus der Therapie sollte das individuelle Behandlungsziel unter Berücksichtigung der Lebensqualität stehen. Die Frage des Versorgungsmanagements wird in den kommenden Jahren hierbei noch stärker in den Fokus rücken.
Quellen:
1. Schmerz- und Palliativtag 2018 10.03.2018, Lunchsymposium: Ist die Therapie chronischer Schmerzen mit Opiaten auch über Jahre vertretbar? Emrich, Ludwigshafen, Cegla, Wuppertal.
2. dpa, 26.10.2017, Trump verhängt den Gesundheitsnotstand.
3. Elsesser, K. and Cegla, T. (2017). Long-term treatment in chronic noncancer pain: results of an observational study comparing opiod and nonopiod therapy. In: Scandinavian Journal of Pain.