Nude Challenges und Patientenbeleidigung: Facebook-Ärztegruppe steht am Pranger Logo of esanum https://www.esanum.de

Nude Challenges und Patientenbeleidigung: Facebook-Ärztegruppe steht am Pranger

In Frankreich steht zurzeit eine private Facebook-Gruppe für Ärztinnen und Ärzte in der Kritik. Gepostet werden dort unter anderem Fotos, auf denen Patientinnen und Patienten wiedererkennbar zu sehen sind und beleidigende Äußerungen, die zumindest teilweise strafbar sein dürften.

Beschwerden blieben bislang erfolglos

In Frankreich steht zurzeit eine private Facebook-Gruppe für Ärztinnen und Ärzte in der Kritik. Die Gruppe "le Divan des médecins" besteht seit 2017. Gepostet werden dort unter anderem Fotos, auf denen Patientinnen und Patienten wiedererkennbar zu sehen sind und beleidigende Äußerungen, die zumindest teilweise strafbar sein dürften. In einem am 05. Januar erschienenen Artikel[1] werden diese Praktiken öffentlich angeprangert.

Ursprünglich geht es scheinbar um Selbsthilfe und Vernetzung: einem Mitglied der Gruppe nach leistet sie tatsächlich professionelle und moralische Unterstützung in einer Zeit immer größer werdenden Drucks, steigender Isolation und mangelnder Kontakte. Es gibt Bedarf an kollegialem Austausch, Rat und Hilfe - soziale Netzwerke bieten dazu einen einfachen Zugang. Ein Arzt aus der Gruppe berichtet, dass er eine Zeit lang nicht arbeiten konnte, weil sein Sohn an Leukämie erkrankt war. Andere Mitglieder organisierten daraufhin ein Crowdfunding, mit Hilfe dessen er die Kosten für seine Praxis weiterhin tragen konnte. So weit, so gut.

"Bei Hängebusen lehne ich die Behandlung ab"

Problematisch sind andere Faktoren: Zwar sind für die Aufnahme in die Gruppe die Angaben zu Person und Arbeitsort obligatorisch; dennoch ist dies keine Garantie für Echtheit. Ein weiteres Problem ist die Gewährleistung der Anonymität für Patientinnen und Patienten. Patientendaten sind zu schützen. Fotos müssen entweder so verpixelt werden, dass daraus keine Rückschlüsse auf die jeweiligen Personen gezogen werden können oder es muss eine Einwilligung der darauf abgebildeten Person vorliegen. Offenbar war dies in einigen Fällen nicht gegeben. Der eigentliche Stein des Anstoßes betrifft allerdings das Verhalten einiger weniger User. Den Angaben zufolge sind es etwa 20 der mehr als 11.200 Gruppenmitglieder, die durch obszöne Witze auffallen, sich beleidigend äußern und zu "Nude challenges" aufrufen, indem sie die anderen Mitglieder dazu auffordern, Nacktfotos von sich selbst in den Praxisräumen online zu stellen. Zur Zielscheibe diskriminierender und beleidigender Äußerungen werden besonders Personen mit bestimmten Erkrankungen, wie zum Beispiel Fibromyalgie, solche, die Sozialleistungen beziehen oder die ihre Termine nicht einhalten. Andere Kommentare sind schlicht sexistischer oder homophober Natur. Offenbar werden selbst ernstgemeinte Bitten um kollegialen Rat ins Lächerliche gezogen. Kommentar auf das Foto einer Patientin, das mit einer fachlichen Frage einherging: "Bei Hängebusen lehne ich die Behandlung ab."

Kritiker solcher Äußerungen müssen oft selbst mit einem Shitstorm rechnen, werden als Verräter bezeichnet oder sogar aus der Gruppe verbannt. Eine Ärztin meldete die Gruppe einer Stelle der französischen Behörden, die illegale oder unerwünschte Inhalte in sozialen Netzwerken untersucht[2], ohne dass jedoch Maßnahmen ergriffen wurden. Die Autorinnen des am 05. Januar veröffentlichten Artikels begannen ihre Recherche, nachdem sie eine anonyme Email eines Gruppenmitglieds erhalten hatten. In ihrem Artikel kommt auch ein Rechtsanwalt zu Wort, der daran erinnert, dass ein Arzt auch privat gemäß der ärztlichen Ethik zu handeln habe, und zwar rund um die Uhr. Der Nationalrat der Ärztekammer kannte die Gruppe eigenen Aussagen zufolge nicht, behält sich jedoch aufgrund der teilweise "empörenden" Äußerungen, insbesondere der "diskriminierenden Kommentare", rechtliche Schritte vor. Der Rat hatte 2011 eine Empfehlung für ärztliches Verhalten im Internet herausgegeben. Dort heißt es: "Sie dürfen nicht in Spott, verletzende Ironie, Stigmatisierung sozialer Schichten, öffentliche Beleidigung oder gar Verleumdung abgleiten." Der in dem Artikel zitierte Gruppenadministrator versicherte, die Beschwerden zu berücksichtigen und dass die Anschuldigungen gegen die Gruppe von Mitgliedern kämen, die einfach Kritik loswerden wollten.

Der Spott gilt denen, die Hilfe suchen

So wird in der Facebook-Gruppeninfo auch auf freundliches Miteinander hingewiesen. Allerdings heißt es, dass diejenigen, die den unter Ärzten (und auch Ärztinnen) üblichen Humor[3] nicht aushalten, der Gruppe besser nicht beitreten. Diese Art des Humors ist jedoch auch in der Ärzteschaft immer mehr umstritten, da er häufig auf Kosten derjenigen geht, die ärztliche Hilfe benötigen und aus Zeiten stammt, in denen Klassenunterschiede noch unangetastet waren und das Patriarchat nicht in Frage gestellt wurde. Ein kulturelles Relikt also, für das es heutzutage keine Rechtfertigung mehr gibt.

Witze der Ärzteschaft auf Kosten derjenigen, die Hilfe suchen, beleidigende und diskriminierende Äußerungen gegenüber Minderheiten – das Thema ist nicht neu in Frankreich. Sexismus, Rassismus, Homophobie und Ableismus scheinen unter dem Deckmantel der Tradition weiter zu gedeihen. Bereits 2016 geriet die Facebook-Gruppe "Les médecins ne sont pas des pigeons" ("Ärzte sind keine Idioten") wegen solcher Vorwürfe in die Schlagzeilen. Ursprünglich als politisch motivierte Gruppe gegründet, die sich gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer für ästhetisch-chirurgische Eingriffe wendete. Nach Beschwerden einer feministischen Vereinigung über die dort getätigten diskriminierenden Äußerungen, befand das Gericht, dass der Gruppen-Admin nicht für die geposteten Inhalte verantwortlich gemacht werden könne. Die Gruppe besteht noch immer.

Die gesamte Ärzteschaft an den Pranger zu stellen, wäre jedoch ein Fehler. Weder sind die Vorkommnisse repräsentativ für eine Allgemeinheit noch auf eine bestimmten Berufsgruppe beschränkt. Auch unter Journalistinnen und Journalisten gab es ähnliche Vorfälle, wie der Skandal um die Facebook-Gruppe "Ligue du LOL" ("LOL-Liga"), der Anfang 2019 bekannt wurde, zeigt. Hierbei handelte es sich um eine kleine Gruppe von Journalisten, die gezielt Kolleginnen auf Twitter attackierte, um sie mundtot zu machen.[4] Offenbar nehmen jedoch einige die Anonymität sozialer Netzwerke, den vermeintlichen Schutz durch eine Gruppe Gleichgesinnter und den Berufsstatus zum Anlass, ihre Hemmungen fallen zu lassen. Inwiefern sie damit etwas aussprechen, was andere nur denken, sei erst mal dahingestellt.

[1] https://www.nouvelobs.com/notre-epoque/20200105.OBS23047/quand-les-seins-tombent-comme-ca-je-refuse-la-consultation-sur-facebook-11-000-medecins-violent-leur-serment.html, zuletzt 08.01.202
[2] https://www.internet-signalement.gouv.fr/PortailWeb/planets/Accueil!input.action, zuletzt 08.01.2020
[3] In Frankreich bezeichnet man diese Art ärztlichen Humors als "L’humour carabin" ("Karabinerhumor"). Der Begriff beschreibt die ironische Distanzierung von Ärztinnen und Ärzten zu ihrem Fach und den damit einhergehenden, oft belastenden oder mit Tabus versehenen Situationen. Klassische Themen sind Tod und Sexualität.
[4] https://www.sueddeutsche.de/medien/ligue-du-lol-cybermobbing-rassismus-frankreich-1.4326832, zuletzt 08.01.2020