Laut eines aktuellen AOK-Berichts nehmen immer weniger Frauen Hebammenbetreuung im Wochenbett in Anspruch. Entweder, weil sie keine finden. Oder, weil sie nichts von den Kassenleistungen wissen.
Auf der Suche nach einer Hebamme hat sich Elisabeth Anz die Finger wund telefoniert. Listenweise Geburtshelferinnen rief oder mailte die 33-Jährige aus Hürth bei Köln über Wochen hinweg an, bevor sie doch noch eine Hebamme für die Zeit vor und nach der Geburt ihres zweiten Kindes fand. "Irgendwann fängt's an, zu stressen", erzählt die Mutter eines Zweijährigen. "Hürth - das ist nicht die Eifel oder das Sauerland. Da wirste ja wohl 'ne Hebamme finden, hab' ich mir gedacht." Nach Meinung von Verbänden und Experten geht es vielen Frauen in Nordrhein-Westfalen ähnlich: Die Hebammenversorgung steckt in der Krise.
Nur noch jede zweite Frau in NRW wird nach Einschätzung der AOK Rheinland/Hamburg in den Wochen nach der Geburt von einer Hebamme betreut. Die Quote der bei der Krankenkasse versicherten Mütter aus dem Rheinland und Hamburg, die im Wochenbett begleitet wurden, lag 2016 bei 53 Prozent. Das geht aus einem am Dienstag in Düsseldorf veröffentlichten AOK-Themenreport hervor. Vier Jahre zuvor waren es noch 64 Prozent. Viele Hebammendienste sind Kassenleistungen.
Demnach gibt es große regionale Unterschiede: Während im Oberbergischen Kreis oder im Rhein-Sieg Kreis drei von vier Frauen im Wochenbett betreut wurden, war es etwa in den Ruhrgebietsstädten Oberhausen, Essen und Mülheim an der Ruhr nur knapp jede Dritte.
Dass immer weniger Frauen im Wochenbett begleitet würden, liege etwa daran, dass es zu wenige Hebammen gebe, sagt der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg, Günter Wältermann. Genaue Daten fehlen bisher. Expertenschätzungen zufolge gibt es in NRW aber zwischen 4.500 und 6.000 Hebammen. Als ein Grund für Hebammenmangel gilt der Babyboom der vergangenen Jahre: Nach Angaben des Statistischen Landesamtes stieg die Zahl der Geburten innerhalb von drei Jahren um gut 18 Prozent auf über 170.000 Geburten im Jahr 2016.
Die Zahl der freiberuflichen Hebammen nimmt nach Einschätzung der Vorsitzenden des Landesverbands der Hebammen, Barbara Blomeier, dabei aber nicht ab. Das Problem sei eher, dass die Hebammen wegen niedriger Bezahlung und hoher Abgaben ihr Angebot reduzierten und teilweise weniger arbeiteten, um unter der Minijobgrenze zu bleiben. "Die Nasen werden nicht weniger, sondern das, was sie tun."
Angehende Eltern müssten oft eine regelrechte Odyssee durchlaufen, um eine Hebamme für Geburtsvorbereitung oder Wochenbett zu finden, sagt auch die Sprecherin des bundesweiten Elternverbands Mother Hood, Katharina Desery. "Es häufen sich die Meldungen, dass die Frauen sich allein gelassen fühlen." Elisabeth Anz kennt das Gefühl. Ihr erster Sohn war nach der Geburt nicht ganz gesund und hatte Atmenbeschwerden. "Man ist total verunsichert", sagt sie. "Jedes Atmen wird auf die Goldwaage gelegt."
Ein anderes Problem ist nach Meinung der Experten, dass zu wenige Frauen überhaupt von ihren Möglichkeiten wissen. So zeigt der AOK-Report einen Zusammenhang zwischen Hebammenbetreuung und sozioökonomischem Status der Frauen. Demnach nahmen im Jahr 2016 nicht einmal 40 Prozent der Mütter, die Hartz IV beziehen, Wochenbettbetreuung in Anspruch. Deutlich mehr waren es mit etwa 65 Prozent bei den pflichtversicherten Arbeitnehmerinnen, bei den freiwillig Versicherten sogar rund 80 Prozent.
Nach Meinung der Hebammenwissenschaftlerin Nicola Bauer ist es deshalb unerlässlich, so früh wie möglich zu informieren und schon in der Schule über die mögliche Familiengründung zu sprechen. "Die Hebamme muss im Stadtbild sichtbarer werden", sagte die Professorin von der Hochschule für Gesundheit Bonn. Sie empfiehlt, Hebammen in der Nähe von Jugendzentren oder Frauenarztpraxen zu etablieren. Die Vermittlung sollte zudem von regionalen Hebammenzentralen koordiniert werden, damit Frauen nur einen Anruf machen müssten.
Das Land finanziert eine Studie der Hochschule für Gesundheit in Bochum, die Bauer leitet. Sie soll Anzahl und Tätigkeitsbereiche der Hebammen in Nordrhein-Westfalen ermitteln. Die Erkenntnisse sollen laut NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) als Grundlage für ein Handlungskonzept dienen. Die Ergebnisse der Erhebung werden im September 2019 erwartet.
Elisabeth Anz hat am Ende eine Hebamme für die Geburt im September gefunden - es sei allerdings eine Notlösung, sagt sie. Die Hebamme könne sie erst rund eine Woche vor dem erwarteten Geburtstermin betreuen. "Der Gedanke, dass das Kind früher kommt, stresst."