Frank Koberne steht gleich zu Dienstbeginn zwischen Leben und Tod. Der Freiburger Notarzt wird am frühen Morgen zu einem Mann mit Herzinfarkt gerufen. Es steht schlecht um den 46-Jährigen, der Familienvater schwebt in Lebensgefahr. Koberne kommt als Retter in der Not. Nicht einmal eine halbe Stunde später kämpft der Notfallmediziner um das Leben eines Rentners. Auch hier die Diagnose: Herzinfarkt. Vom Schlafzimmer des Mannes geht es im Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn ins Krankenhaus.
Die Zahl der Notfalleinsätze steigt seit Jahren deutschlandweit stark an, Notfallmediziner geraten so immer häufiger an ihre Grenzen. Zu spüren bekommen sie den demografischen Wandel. Weil es immer mehr alte und hochbetagte Menschen gibt, steigt das Risiko schwerer gesundheitlicher Komplikationen. Hinzu kommt eine größer werdende Erwartungshaltung. Retter werden gerufen, obwohl es sich oft gar nicht um einen Notfall handelt. Der schnelle Griff zum Handy und die Gewissheit, dass die Krankenkasse zahlt, machen es einfach.
“Das Bild hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert, die Anforderungen sind größer und vielfältiger geworden”, sagt Koberne. Der 54 Jahre alte Mediziner ist Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes in und um Freiburg. Seit 21 Jahren arbeitet er in der badischen Universitätsstadt als Notarzt. Die Zahl der Notarzteinsätze in seinem Gebiet hat sich seit 1994 mehr als verdoppelt – von 3500 auf mehr als 7500 jährlich. Und das bei nahezu gleichbleibenden Strukturen und unter unverändert hohem Finanzdruck.
“Früher gab es zwischendurch mal Pausen. Heute geht es Schlag auf Schlag”, sagt Koberne. Zeit zum Durchatmen haben der Notarzt und seine Kollegin, Rettungsassistentin Maren Gösling, auch an diesem Tag nicht. Erneuter Alarm für ihren Notarztwagen 1/82-1: Eine junge Frau ist beim Friseur mit Unterzuckerung zusammengebrochen und bewusstlos.
“Es ist Eile geboten, es geht im Minuten”, sagt Gösling, die den Notarztwagen steuert. Bleibt eine Unterzuckerung länger unbehandelt, drohen Folgeschäden, die tödlich enden können. Nach zwei bis drei Minuten sterben Gehirnzellen. Doch rasche Hilfe ist nicht einfach: Gösling muss sich mit dem Einsatzwagen einen Weg durch den dichten Verkehr bahnen – und wird immer wieder ausgebremst. Denn nicht alle machen Platz, viele Autofahrer sind überfordert.
Der Frau beim Friseur wird geholfen, ins Krankenhaus muss sie nicht. Das ist auch nicht das Ziel der Notfallrettung, sagt Notarzt Koberne. “Früher ging es darum, die Patienten so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu bringen. Heute ist zuerst eine umfassende und professionelle Hilfe vor Ort das Ziel.”
Jeder Weg zum Einsatz ist für Koberne und seine Kollegen eine Fahrt ins Ungewisse. “Wir wissen nie genau, was uns erwartet”, sagt er. Zugenommen haben Fälle, die sich als harmlos herausstellen. Patienten, die schon seit Tagen oder Wochen Schmerzen haben oder Unwohlsein verspüren, den Weg zum Hausarzt oder zur Notfallambulanz aber scheuen. “Solche Einsätze sind ärgerlich, weil wir uns und andere gefährden und gleichzeitig für echte Notfälle, die sich zu dieser Zeit ereigneten, blockiert sind.”
Für Koberne ist es dennoch der richtige Job, den er täglich macht – auch nach 21 Jahren. “Ich kann Menschen direkt helfen.” Dem Tod dürfe man als Notarzt nicht aus dem Weg gehen: “Ich habe gelernt, Endlichkeit anzuerkennen.” Nicht jeder Patient, um den es schlecht stehe, könne zurück ins Leben geholt werden.
“Den Kampf gegen den Tod können wir nicht nur gewinnen”, sagt Koberne. Das sei Teil seiner Arbeit. Diese Erkenntnis gebe es immer seltener, er wünsche sie sich in der Gesellschaft. “Nämlich zu akzeptieren, dass der Tod genauso zum Leben gehört wie die Geburt.”
Text und Foto: dpa /fw