Es gibt Momente in der Forschungsgeschichte, die alles verändern - mit der Genschere Crispr/Cas9 ist ein solcher Coup gelungen. Immens schnell verbreitete sich die Methode in Laboren weltweit. Nun gibt es für die Entwicklung den Nobelpreis. Grund zum Jubeln auch in Berlin.
Revolution, Wunderwerkzeug, Siegeszug - wohl keine andere wissenschaftliche Erfindung ist in den vergangenen Jahren mit so vielen Superlativen bedacht worden wie die Genschere Crispr/Cas9. In rasantem Tempo hielt das Werkzeug der Gentechnik, mit dem sich das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen manipulieren lässt, in Labors rund um die Welt Einzug. Entwickelt haben das Verfahren maßgeblich zwei Forscherinnen: die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier (51), Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin, und Jennifer Doudna (56), Biochemikerin in den USA. Am 07.10. wurde beiden der Chemie-Nobelpreis zuerkannt.
Als sich die Forscherinnen das erste Mal trafen - in einem Café in Puerto Rico - ahnten sie nicht, dass dieses Treffen eine lebensverändernde Begegnung war, wie das Nobelkomitee schreibt. Das wissenschaftliche Arbeiten hat sich mit der Entwicklung der Genschere weltweit entscheidend verändert: Mit Crispr/Cas9 lässt sich das Erbgut praktisch aller Organismen so einfach, schnell und kostengünstig verändern wie nie zuvor - beim Bakterium ebenso wie bei Mais und Kartoffel, Hund und Katze sowie beim Menschen.
Binnen weniger Jahre wurde die Genschere zum molekularbiologischen Standardverfahren. Man kann sich ihren Einsatz vorstellen wie das Löschen oder Ersetzen von Buchstaben in einer Textdatei am Computer. Die Rede ist auch von Genome Editing. Die damit verbundenen Möglichkeiten sorgen für große Hoffnungen, etwa auf die Heilung von Krebs. Sie führen aber auch zu der Sorge, dass der Mensch seine natürliche Umwelt für immer verändert, ohne sich über die Folgen gänzlich im Klaren zu sein oder sie beherrschen zu können.
So stößt auch die Auszeichnung mit dem Nobelpreis nicht auf ungeteilte Freude: "Das ist ein Nobelpreis für die Büchse der Pandora", teilte etwa die Organisation Testbiotech mit. "Diese Technologie und der Nobelpreis bedeuten eine enorme Herausforderung und Verantwortung für alle Beteiligten. Die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten hängt ganz wesentlich davon ab, ob wir es schaffen, den Anwendungen dieser neuen Gentechnik klare Grenzen zu setzen."
Im Grunde ist das Crispr/Cas-System ein uralter Mechanismus, den viele Bakterien nutzen. Es war der spanische Forscher Francisco Martínez Mojica, der erkannte, dass es sich um ein Abwehrsystem von Bakterien gegen Viren handelt. Crispr-Sequenzen sind Abschnitte im Bakterien-Erbgut, in die Bruchstücke des Genoms von Angreifern - etwa Viren - eingebaut werden. Mit deren Hilfe erkennen Zellen, wenn der gleiche Eindringling nochmals auftaucht und sich im Genom einnistet. Dann kann er mit dem an Crispr gekoppelten Enzyms Cas wieder herausgeschnitten werden.
Charpentier und Doudna gelang auf diesem Wissen aufbauend der große Coup: Sie verwendeten Crispr/Cas9 gezielt zum Entfernen, Einfügen und Verändern von DNA. Ihre Studie erschien 2012 im Magazin "Science". Kurz darauf stellte der Bioingenieur Feng Zhang vom Broad Institute in Cambridge (Massachusetts) im gleichen Magazin eine Arbeit zur universellen Einsetzbarkeit der Methode vor. Zwischen den Forschenden entbrannte ein Patentstreit, der bis heute weder in den USA noch in Europa vollständig beendet ist.
Die Methode ist mit einer ganzen Reihe ethischer Fragen verbunden. So gelingen damit auch genetische Veränderungen in menschlichen Spermien, Eizellen und Embryonen - Keimbahn-Manipulationen. Im Jahr 2018 sorgte der chinesische Wissenschaftler He Jiankui für Entsetzen, als er die Geburt zweier Mädchen bekanntgab, deren Erbgut er zuvor mit der Genschere manipuliert hatte. Eine Welle der Empörung schlug dem Forscher entgegen, weltweit forderten WissenschaftlerInnen, die Schaffung solcher "Designer-Babys" zu verbieten und den Einsatz der Technik streng zu regulieren. In Deutschland ist das Verändern der DNA von Embryonen verboten.
Charpentier selbst spricht sich deutlich gegen Eingriffe in die Keimbahn aus. Die Technologie sollte "nicht dafür verwendet werden, Babys zu entwerfen", sagte sie einmal. Sie solle vielmehr Krankheiten heilen helfen und der Forschung dienen. Auch ihre Kollegin Doudna sagte, es sei zu früh für ein "Crispr-Baby". "Ich glaube, es könnte der Moment kommen, in dem wir denken, dass es nicht ethisch ist, sie nicht zu nutzen, um gewisse Krankheiten zu behandeln, sogar bei Embryonen." Dieser Moment sei aber noch nicht gekommen.
Pflanzen wie Reis, Mais und Weizen verändern Forschende bereits mittels Crispr/Cas9: Ziel ist es, Einflüsse wie Hitze, Krankheiten oder bei der Erdnuss gar Allergene auszuhebeln. Charpentier selbst glaubt, dass ihre Technologie neben der Biomedizin die Landwirtschaft mit am meisten betreffen werde, wie sie der dpa sagte.