Europa gehört nach Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den Regionen mit der höchsten Zahl an PatientInnen mit nicht-übertragbaren Erkrankungen. Durch COVID-19 ist deren Versorgung derzeit akut gefährdet – mit bereits heute absehbaren Folgen.
Morbidität und Mortalität der sogenannten nicht-übertragbaren Krankheiten (non-communicable diseases; NCD) – auch bekannt unter dem nicht immer ganz stimmigen Begriff der "Volkskrankheiten" – haben nicht nur, aber insbesondere auch in Europa ein erschreckendes Ausmaß angenommen. So gehören kardiovaskuläre Erkrankungen, Tumoren und Diabetes mittlerweile zu den führenden Todesursachen. Hinzu kommt die weiter steigende Anzahl an jungen Erwachsenen und Kindern, die an Übergewicht bis hin zu Adipositas leiden. Beides sind die Hauptrisikofaktoren für NCD.
Gerade die aktuellen Maßnahmen in der Corona-Pandemie gefährden NCD-PatientInnen in besonderem Maße. Durch Lockdown, Reisebeschränkungen und soziale Distanzvorgaben wird und wurde vielen der Betroffenen die Möglichkeit genommen, sich beispielsweise mehr zu bewegen, wichtige Untersuchungstermine wahrzunehmen oder sich gesünder zu ernähren. Dadurch dass diese Patientengruppe als COVID-19-Risikogruppe bezeichnet wird, kommen zu diesen allgemeinen Folgen noch Ängste hinzu, die zusätzlich verhindern, dass sich Betroffene bei gesundheitlichen Problemen aufgrund ihrer NCD ÄrztInnen vorstellen.
Daten aus Italien und China belegen die erhöhten Risiken für NCD-PatientInnen in der aktuellen COVID-19-Pandemie: So litten z. B. nahezu 70% der Verstorbenen unter Bluthochdruck, 32% unter einem Diabetes mellitus Typ 2, 28% unter Herzerkrankungen und 17% unter COPD. Der Body-Mass-Index (BMI) lag zudem in vielen Fällen deutlich über 25 kg/m2, der medizinisch definierten Grenze des Übergewichts.
Die Auswirkungen der Beschränkungen aufgrund von COVID-19 wirken auf Menschen mit NCD in vielerlei Hinsicht. Vor allem die Risikofaktoren nicht-übertragbarer Krankheiten, wie Übergewicht, Rauchen und Alkoholabusus werden durch Langeweile, Zukunftsängste, soziale Isolation und Bewegungsmangel in der Quarantäne gefördert. Aus vorangegangenen Pandemien ist zudem bekannt, dass sich dadurch chronische Erkrankungen in der Regel verschlechtern und sich wichtige Untersuchungen und Interventionen zusätzlich verzögern können.
Doch gerade vor dem Hintergrund der hohen Dunkelziffer von Menschen mit Bluthochdruck und/oder Diabetes, die noch gar nicht von ihrer Erkrankung wissen, sollte das NCD-Management zu jeder Zeit – und ganz besonders jetzt in Pandemiezeiten – weit oben auf der Prioritätenliste stehen, um vermeidbare Kollateralschäden innerhalb einer größer werdenden Betroffenengruppe auch effektiver verhindern zu können.
Quelle: Kluge HHP et al., Lancet 2020; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)31067-9 (Comment)