Professor Norbert Schmacke, Gesundheitswissenschaftler am Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen und Herausgeber des Buchs “Der Glaube an die Globuli – Die Verheißungen der Homöopathie”, hat sich unter Homöopathen nicht viele Freunde gemacht in letzter Zeit. In seinem Buch kritisiert er scharf diejenigen Ärzte, die Patienten homöopathische Mittel verschreiben, obwohl es überhaupt keine fundierten wissenschaftlichen Studien gibt, die deren Wirksamkeit belegen. Auch die Haltung der Krankenkassen, Präparate zu bezahlen, die außer dem Placebo- keinen gesundheitsfördernden Effekt haben, stößt bei ihm auf Unverständnis. “Hier geht es um Marketing”, so Schmacke. Menschen mit guter Bildung und Gesundheit sowie einem meist höheren Verdienst sollen seiner Meinung an eine Krankenkasse gebunden werden.
esanum: Herr Professor Schmacke, in Ihrem Buch “Der Glaube an die Globuli – Die Verheißungen der Homöopathie” kritisieren Sie Ärzte dafür, dass sie homöopathische Präparate – so genannte Globuli – verschreiben oder empfehlen, obwohl sie keine wissenschaftlich nachweisbare Wirkung zeigen. Warum machen Ärzte das?
Schmacke: Es gibt einen Kern von ‘Überzeugten’, die glauben, dass die 200 Jahre alte Lehre von Samuel Hahnemann (Begründer der Homöopathie; die Redaktion) unverändert gültig ist. Warum approbierte Ärztinnen und Ärzte an das Simile-Prinzip und die Existenz eines Wassergedächtnisses glauben, lässt sich vermutlich nur psychologisch deuten. Dann gibt es andere Ärzte, die Modetrends folgen, obwohl sie nicht wirklich davon überzeugt sind – insbesondere, wenn es gutes Geld bringt. Und es gibt auch einige wenige, die Globuli bewusst als Placebo einsetzen, wenn sie nicht weiter wissen, es den Kranken aber nicht sagen.
esanum: Patienten kommen heute häufig selbst mit einer ergoogelten “Diagnose” in die Praxis und fordern bestimmte Medikamente oder homöopathische Mittel ein. Wie soll sich ein Arzt verhalten?
Schmacke: Zwei Dinge. Zum ersten muss der Arzt in Ruhe erklären, dass es keine Belege für den Nutzen der Globuli gibt. Zum zweiten sollte der Mediziner darüber nachdenken, was hinter dem Begehren stecken könnte und mit dem Patienten darüber reden. Häufig ist es die Angst vor Nebenwirkungen oder Enttäuschung mit bisherigen Therapien, die Menschen zu homöopathischen Mitteln treibt.
esanum: Sie hinterfragen auch die Rolle der Krankenkassen, die unwirksame Medikamente und teilweise sogar die homöopathische Erstanamnese bezahlen. Welche Strategie verfolgen die Kassen, die ansonsten gerne an Therapien sparen und eigentlich verpflichtet sind, verantwortungsvoll mit den Beitragsgeldern umzugehen?
Schmacke: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in allererster Linie um das Marketing geht – oder konkret um die Erwartung, Menschen mit guter Bildung und geringeren Krankheitsrisiken zum Kassenwechsel oder zum Verbleib in der eigenen Kasse bewegen zu können. Hier wird der Wettbewerb zweckentfremdet.
esanum: Inwieweit sind Ärzte und Pharmaindustrie selbst schuld daran, dass ihnen viele Patienten misstrauen und sich nach alternativen Therapien und Medikamenten umsehen?
Schmacke: Die Ärzteschaft steht vor einer schwierigen Aufgabe: Auf der einen Seite berechtigt auf die grandiosen Erfolge der Medizin hinweisen zu können und gleichzeitig vor überzogenen Erwartungen zu warnen. Die Bäume wachsen natürlich nicht in den Himmel. Was die Industrie anbelangt: Wenn sie an Globuli verdienen kann, kuscht sie doch auch. Schauen Sie sich mal die Homepage des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) an.
esanum: Faktisch gibt es eine Reihe von frei verkäuflichen OTC-Medikamenten, deren Wirksamkeit zumindest zu hinterfragen ist. Wie sollen aus Ihrer Sicht die Politik und die Krankenkassen mit Homöopathie umgehen?
Schmacke: Meine Forderung lautet, dass gleiche Maßstäbe für alle Präparate gelten müssen, die Heilung und/oder Linderung bei Krankheiten versprechen. Die Sonderregelungen für die Homöopathie im Arzneimittelgesetz und im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sind längst überholt. Das andere ist die Frage, ob der Patientenschutz bei den momentanen OTC-Regelungen wirklich ausreichend ist.
esanum: Gibt es Ihrer Meinung nach Ansätze der Alternativmedizin, die unterstützenswert sind?
Schmacke: Den Begriff Alternativmedizin halte ich schon für den Anfang des Problems. Wie die ehemalige Herausgeberin des New England Journal of Medicine, Marcia Angell, bin ich der Meinung: Es gibt nur eine einheitliche Medizin und keinen Pluralismus in der Medizin. Was sich bewährt hat, soll in den Kanon der Medizin aufgenommen werden. Ein Beispiel dafür ist das Johanniskraut, davor auch die Taxane, die ursprünglich aus der Eibe gewonnen wurden und jetzt glücklicherweise in erforderlichen Mengen synthetisiert werden können.
Man kann auch andere Dinge in Studien weiter verfolgen. Ich denke an jüngste Studien zu Yoga als additivem Verfahren. Da müssen wie immer weitere gut gemachte Studien zeigen, ob Yoga bei der Behandlung seelischer Störungen die bisherigen Verfahren wie Verhaltenstherapie und Medikamente wirksam ergänzen kann – oder ob sich das doch nicht bestätigen lässt.
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