Als Carsten erfuhr, dass er HIV-positiv ist, bekam er Angst: Würde er mit Mitte 30 an Aids sterben müssen? Die Diagnose war für ihn ein Schock: “Ich hatte die alten Bilder im Kopf, dass ich ganz schnell Flecken im Gesicht bekomme und sterbe.”
Heute, sieben Jahre später, weiß der 41-jährige Berliner, dass seine Ängste unberechtigt waren. Er lebt nun selbstverständlich mit HIV, nimmt täglich Medikamente, die die Vermehrung des Erregers im Körper unterbinden und damit verhindern, dass das Virus die Immunerkrankung Aids auslöst. Er kann HIV nicht mehr weitergeben und hat eine ähnliche Lebenserwartung wie HIV-negative Menschen. Und er engagiert sich in einem neuen Projekt der Deutschen AIDS-Hilfe als Buddy für Menschen, denen es so geht wie ihm vor sieben Jahren.
Carsten hätte sich damals einen Freund gewünscht, der auch HIV-positiv ist und mit dem er über alle Ängste hätte sprechen können. Sein Arzt konnte ihm aber nur medizinische Ängste nehmen, der Berater in der Aidshilfe musste die professionelle Distanz wahren.
Und die Selbsthilfegruppe, die Carsten besuchte, “um andere Positive kennenzulernen und hautnah zu sehen: die leben noch”, beruhigte ihn zwar: “Mit HIV kann man gut und lange leben.” Aber nach drei Besuchen kam Carsten nicht wieder, weil ihn die Themen überforderten: “Viele hatten nur über Sex geredet – für mich war Sex in der damaligen Situation völlig undenkbar.”
In Berlin leben laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts 15 000 Menschen mit HIV oder Aids. Jährlich kommen 550 Menschen hinzu, die sich neu mit dem Virus infizieren. Um die Lücke zwischen professionellen Beratern und Selbsthilfegruppen zu schließen, hat die Deutsche AIDS-Hilfe im April in mehreren deutschen Großstädten ein neues Projekt namens “Sprungbrett” gestartet.
Dabei können sich Neuinfizierte auf der Seite sprungbrett.hiv einen Buddy – also Kumpel – suchen, der sie freundschaftlich auf ihren ersten Schritten im positiven Leben begleitet. Die Buddys leben selbst mit HIV, sind schon weiter in der Bewältigung ihrer Erkrankung und wurden von der Deutschen AIDS-Hilfe geschult, erzählt Projektleiterin Heike Gronski: “Die Buddys hören zu, erzählen von ihrer eigenen Geschichte, vermitteln ein authentisches Bild vom Leben mit HIV und helfen damit denen, die ganz am Anfang stehen, eine neue Perspektive zu entwickeln.”
Interessierte können einen Buddy anschreiben, mit ihm telefonieren und sich treffen. “Wir wollen, dass die Neuinfizierten jemandem gegenübersitzen, der selbstverständlich und selbstbewusst mit seiner Infektion umgeht, und ihnen damit die verinnerlichte Stigmatisierung nimmt”, sagt Heike Gronski. “Viele Menschen mit HIV leiden unter Schuldgefühlen und machen sich Vorwürfe.”
Carsten ist nun einer von vier Buddys in Berlin und von 50 bundesweit. “Es ist kein Weltuntergang, ein positives Ergebnis zu bekommen. Ich bin ein positives Vorbild und ein lebender Beweis dafür, dass sich ohne Einschnitte mit HIV leben lässt – mit Beruf, Freunden, Beziehung und Sexualität.” Bei ihm hat sich bereits eine HIV-positive Frau gemeldet: “Sie ist am Telefon aufgeblüht, weil sie heilfroh war, endlich mal jemanden zu haben, der dasselbe durchgemacht hat wie sie und der sie versteht.”
Heute kann Carsten seiner Infektion sogar etwas Positives abgewinnen: “Ich habe in der positiven Community viele wertvolle Menschen kennengelernt und Freunde gefunden, die ich sonst nie getroffen hätte.”
Text und Foto: dpa /fw